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Reiseblog Westbalkan: Auf dem Skanderbegplatz in Tirana

skanderbegplatz
Fotos: Autor

IZ-Herausgeber Abu Bakr Rieger auf den Spuren von Evliya Çelebi: Der Skanderbegplatz oder das heutige Albanien.

(iz). Vor über 30 Jahren war ich zuletzt in Tirana und die modernisierte Stadt ist nicht mehr wiederzuerkennen. Wir flanieren durch die Hauptstadt Albaniens und genießen das mediterrane Flair. Gefühlt gibt es hier die weltgrößte Dichte an Restaurants und Cafés. Autos brausen durch die Straßen und überall ist das pulsierende Leben zu spüren.

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Auf dem Skanderbegplatz

Auf dem Skanderbegplatz bietet sich die bewegte Geschichte des Landes als eine Rundumschau an. An der Fassade des Nationalhistorischen Museums erzählt ein riesiges Wandmosaik von den Idealen des sozialistischen Realismus vergangener Zeiten.

Dargestellt werden typische Figuren – Frauen, sozialistische Arbeiter und Kämpfer – die mit wehenden Fahnen den Weg in das neuzeitliche Albanien beschreiten. Neben dem Skanderbeg-Denkmal hat sich auch die Ethem-Bey-Moschee gehalten. Ein Wunder, denkt man an die kommunistische Geschichte der Stadt. Der Sakralbau ist heute ein Symbol für Wiederbelebung der religiösen Traditionen.

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Wir besuchen das nahegelegene Bunker-Art-Museum. In der atombombensicheren Anlage – ein Gang verband es mit dem Innenministerium – wird die abgründige, kommunistische Geschichte der Jahre 1944-1990 aufgearbeitet. Jugoslawien, das stalinistische Russland und China hießen die Partner des Diktators Enver Hoxha, bis er schließlich das Land in die totale Isolation führte.

Polizei und Geheimdienst schufen nicht nur undurchdringliche Grenzen, sondern ebenso einen perfekten Überwachungsstaat. Die Fotokunst, deren Entstehen wir noch neulich im Murabi-Museum in Shodra bewunderten, mutiert hier zu einer obsessiv eingesetzten Überwachungstechnik.

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Hoxha wollte eine Welt ohne Religion

Tausende fielen der Politik zum Opfer oder verbrachten Jahrzehnte in dunklen Lagern. Hoxha, Sohn eines Imams, schuf 1967 den ersten atheistischen Staat der Welt. Entsprechend der berühmten Aussage Dostoyevski’s war in einer Welt ohne Gott dem Machthaber selbst alles erlaubt.

Moscheen, Kirchen und Synagogen verloren ihre Bedeutung, Priester und Imame wurden verfolgt oder ermordet. 1976 hieß es im Artikel 37 der Verfassung: „Der Staat erkennt keine Religion an, unterstützt atheistische Propaganda, um eine wissenschaftliche, materialistische Weltanschauung in den Menschen zu begründen.“ 

Bis in das Jahr 1991 gab es in dem Land keinerlei Demonstrationen, bis schließlich eine wütende, verarmte Zivilgesellschaft das Denkmal des Diktators vom Sockel stieß. 

Das Museum schließt in einem Raum, der sich mit erkenntnistheoretischen Fragen beschäftigt, mit Manipulationen, optischen Täuschungen und vorschnellen Feind-Markierungen. Keine Frage: Die Albaner sind sich der Schattenseiten von Ideologien und dem Wesen übergriffiger Staaten bewusst. Erfahrungen, die für die Zukunft Europas entscheidend sind.

Robert Manesse über Albanien

Zurück am Skanderbegplatz entdecken wir neben der Oper ein hübsches Café und einen internationalen Buchladen. Es gibt drei deutsche Bücher: Goethes „Faust“, Stefan Zweigs „Schachnovelle“ und passenderweise „Die Erweiterung“ von Robert Menasse. Der österreichische Schriftsteller beschäftigt sich mit seinem an der Wirklichkeit angelehnten Roman mit der Zukunft Albaniens. Er versteht nicht, dass die Aufnahme des Landes in die Europäische Union – obwohl die Albaner in großer Mehrheit bekennende Europäer sind – nur schleppend vorankommt.

Bei einem Capuccino beginnen wir einige Passagen zu lesen. Ein Berater des albanischen Ministerpräsidenten rät zu Beginn des Buches dem Politiker zu einer Finte. Er soll rhetorisch alternative Optionen für das Land ins Spiel bringen, um die europäische Politik zu einer schnelleren Aufnahme zu bewegen.

Zur Wahl steht ein Nationalismus, der ein Großalbanien anstrebt oder gar eine ökonomische Anlehnung an China. Menasse erwähnt auch – ausgesprochen durch den polnischen Ministerpräsidenten – einige geläufigen Bedenken gegen die Aufnahme Albaniens. „Wir wollen keinen muslimischen Staat in der EU!“, „der Markt ist zu klein!“ oder „mafiöse Seilschaften wirken hinter den Kulissen!“.

Wohin steuert dieses sympathische Land und wie sichert man langfristig den bescheidenen Wohlstand, der sich nach den Jahren der Isolation entwickelt hat? Die Idee, dass Albanien eines Tages Teil eines Europa der Regionen wird, ist eine friedliche Option und hört sich für viele junge Leute vielversprechend an.

Unter diesen Voraussetzungen wäre auch die Religionsfreiheit gesichert. Ganz sicher werden junge Albaner nicht für eine Wiederkehr säkularer, genauso wenig wie religiöser Ideologien optieren. Für die europäische Balkanpolitik gilt daher ein alter Grundsatz: Wer zu spät kommt, bestraft das Leben.