Schmugglertunnel dicht: Die Not macht Gazastreifen zur Zeitbombe

Im Gazastreifen leben auf engstem Raum 1,7 Millionen Palästinenser. Die soziale Lage ist schon lange prekär. Die Zerstörung von Schmugglertunneln durch die Ägypter macht alles noch schlimmer.

Gaza (dpa). Friedhofsstille herrscht dort, wo sonst das Knattern zahlloser Stromgeneratoren vom Brummen schwerer Lastwagen und von den Rufen hunderter Arbeiter begleitet wird: Im Grenzbereich zwischen Ägypten und dem Gazastreifen, wo die Schmugglertunnel unter der Grenze münden. Das ägyptische Militär geht nach dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi hart gegen die Tunnel vor.

Hier gelangte vor allem das in die Enklave, was auf der Blockadeliste der Israelis steht: Nicht nur Waffen, sondern auch Zement, Stahl, Chemikalien. Aber auch für den ägyptischen Binnenmarkt heruntersubventionierter Treibstoff, den Israel zwar gerne liefert, aber nur zum dreimal höheren Weltmarktpreis. Und das gilt auch für israelische Nahrungsmittel, die viel teurer sind als die ägyptischen. Zu teuer für viele Bewohner des Gazastreifens.

Von den Versorgungsengpässen wird vor allem der Bausektor hart getroffen, der so gut wie still steht. Die Arbeitslosigkeit steigt wieder rasant und die soziale Not nimmt zu. Es gibt nur noch wenige Stunden pro Tag Strom, und den bisweilen auch nur zwischen Mitternacht und Morgengrauen. „Die Schließung der Tunnel ohne die Öffnung anderer Importwege macht den Gazastreifen zu einer tickenden Zeitbombe, die jeden Augenblick in die Luft gehen kann“, warnt Sami Abu Seif, ein früherer Angestellter der Palästinensischen Autonomiebehörde.

Das ägyptische Militär flutete die Tunnel mit Abwässern, ließ sie sprengen und die Eingänge von Bulldozern mit Sand verstopfen. „Die Lage ist wieder genauso schlimm wie nach 2007“, sagt Abu Ammar, einer der Tunnelbetreiber. Damals verhängte Israel eine inzwischen gelockerte Blockade des Gazastreifens. Seine 20 Angestellten hat der 48-Jährige ohne Lohn und Brot nach Hause geschickt.

Auch die Vereinten Nationen schlagen Alarm. Etwa 80 Prozent der Tunnel seien inzwischen unbrauchbar, sagte der UN-Koordinator für den Friedensprozess im Nahen Osten, Robert Serry, am Dienstag in einem Bericht im Sicherheitsrat. Wenn die Importmöglichkeiten nicht durch legale Grenzübergänge in den Gazastreifen erweitert würden, drohe eine weitere Verschlechterung der ohnehin schon schwierigen wirtschaftlichen und humanitären Lage.

Serry befürchtet offenbar, dass sich Not und Frustration in dem von der Außenwelt weitgehend abgeschotteten Gazastreifen wieder in Gewalt gegen Israel entladen könnte. Ausgerechnet jetzt, wo Israel und die gemäßigteren Palästinenser in Ramallah um Präsident Mahmud Abbas sich unter US-Vermittlung um eine Wiederaufnahme der Friedensgespräche bemühen.

„Jede Verletzung der Waffenruhe (mit Israel vom vergangenen November) durch Raketenbeschuss (Israels vom Gazastreifen aus) in diesem politisch heiklen Augenblick wäre nicht nur inakzeptabel, sondern auch völlig verantwortungslos“, warnte Serry die Hamas und andere, militantere Gruppen in der Enklave. Am Mittwoch schlugen jedoch wieder zwei dort abgefeuerte Granaten in Israel ein.

Während des kurzen Jahres der Präsidentschaft Mursis hatten die Betreiber der Schmugglertunnel freie Bahn, die Wirtschaft boomte, den Hamas-Führern standen in Kairo die Türen zum Präsidentenpalast offen und auch die leidgeprüfte Bevölkerung der Enklave konnte das Nadelöhr des Rafah-Grenzüberganges etwas leichter als früher passieren. Das ist jetzt Vergangenheit. Und der Gazastreifen schaut gebannt, was wohl die Zukunft in Ägypten für ihn bereithält.