Studie warnt vor wachsenden sozialen Spannungen weltweit. Von Joachim Heinz

Bonn (KNA). Die Lage in Syrien steht in diesen Tagen im Blickpunkt – wieder einmal. Während am Mittwoch im schweizerischen Montreux Spitzenpolitiker aus aller Welt über eine friedliche Lösung des seit nunmehr drei Jahren andauernden Konfliktes berieten, stellte die Gütersloher Bertelsmann Stiftung ihren Transformationsindex (BTI) in Bonn vor. Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Auch die 4.000 Seiten dicke Studie der Stiftung blickt nach Syrien – und darüber hinaus in weitere 128 so genannte Transformationsstaaten und Entwicklungsländer. Im Mittelpunkt der alle zwei Jahre aufgelegten Untersuchung steht die Frage, wie sich diese Nationen mit Blick auf Demokratie, Marktwirtschaft und Regierungsqualität entwickeln. Und was sich aus Kriegen und Konflikten lernen lässt.

Anschauungsmaterial gab es in den vergangenen Wochen zuhauf. Die Unruhen in Ägypten, die Demonstrationen in der Ukraine oder die Proteste in Thailand sind nur drei der prominentesten Beispiele. Die Schlüsse, die die 250 Experten aus den von ihnen zusammengetragenen Daten ziehen, geben zu Sorgen Anlass. Ein stetig größer werdendes Gefälle zwischen Arm und Reich und der Wunsch nach politischer Teilhabe heizen rund um den Globus die Spannungen immer weiter an. Künftig werden diese an Intensität und Häufigkeit sogar weiter zunehmen, lautet die Prognose. Im Klartext: Syrien ist nur die Spitze des Eisbergs. Auch andernorts wird die Zahl der Toten und Verletzten im Zuge von Kämpfen und Protesten steigen.

Konfliktpotenzial bergen auch die Autokratien, die seit Jahren einen stabilen Anteil von 42 Prozent der untersuchten Staaten ausmachen. Kurz vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi reihen die Autoren des Transformationsindex erstmals auch Russland in den Kreis dieser Länder ein. Dass in Europa und an seinen Rändern keineswegs eitel Sonnenschein herrscht, belegen die Einzelanalysen zu Bulgarien, Rumänien oder Ungarn. Hier verzeichnet der Index teils massive Einbußen in der Presse- und Meinungsfreiheit. Der Qualitätsjournalismus gehe zugunsten „käuflicher Berichterstattung“ zurück, in Ungarn habe sich die Regierung weitreichende Kontrollmöglichkeiten über die Medienlandschaft gesichert.

Doch wo Schatten ist, ist auch Licht: Als „Silberstreif am Horizont“ werten die Autoren eine bessere politische Beteiligung der Zivilgesellschaft in 23 Ländern. In Indien etwa seien inzwischen drei Millionen Nichtregierungsorganisationen aktiv. Hinzu kommen die Möglichkeiten, sich über Internet und soziale Medien zu vernetzen. Mit diesen Kräften das Gespräch zu suchen: Darin sieht der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung, Aart de Geus, ein wichtiges Mittel zur Lösung von Problemen der wirtschaftlichen und sozialen Gerechtigkeit. Wie das konkret gehen kann? Dafür lohne der Blick nach Lateinamerika etwa auf Uruguay, Chile und Brasilien.

Alle diese Länder liegen im Transformationsindex bei den Kernbereichen Demokratie, Marktwirtschaft und Regierungsqualität unter den Top Ten. Und zeichnen sich, so die Projektleiter Sabine Donner und Hauke Hartmann, durch lernwillige Politiker und einen konstruktiven Dialog mit Protestbewegungen aus. An solche Erfahrungen ließe sich auch in anderen Teilen der Welt anknüpfen, heißt es. Für Syrien freilich ist es dafür bereits zu spät. Und offen ist, ob es auf der Konferenz in der Schweiz zu tragfähigen Lösungen für ein Ende des Bürgerkrieges kommt.