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Unsere Suche nach Identität

Ausgabe 281

Foto: Junge Islam Konferenz 2018

(iz). Es gehört zu den Eigenschaften dieses Moments, dass sich die meisten Menschen ganz allgemein im Unterschied zu ihren Mitmenschen sehen. Wir tendieren dazu, uns selbst als der Andere zu begreifen. Ob als Muslime oder als Nichtmuslime, als Migranten oder Deutschdeutsche, als Privilegierte oder Unterprivilegierte – hier sind „wir“, dort sind „sie“. Unser Selbstverständnis besteht nicht selten darin, dass „wir“ nicht „sie“ sein wollen. Und das, obwohl so viele dominante Kräfte unseres Lebens erstaunlich uniform sind.
Dabei wäre schon viel geholfen, würden wir uns bewusst, dass diese Suche nach dem eigenen Selbst und die resultierende Abgrenzung zum Anderen ein verbindender Moment ist. Er ist vielen Menschen und ihren Bezugsgruppen in diesem Land gemein. Das ist kein Zufall, denn die Suche nach Identität ist nicht nur Anzeichen für ein Krisenphänomen. Sie selbst zählt zu den philosophischen Grundfragen der Moderne, seitdem der Mensch seiner spirituellen und materiellen Bezüge entfremdet wurde.
Diese manchmal anstrengende Suche nach einem authentischen und funktionierenden Selbstverständnis lässt sich weder verweigern, noch durch simple Antworten abkürzen. Denn die Antwort liegt im Offenen und ist dank unserer dynamischen Existenz eben auch fluide. Weder können wir uns fest und dauerhaft auf ein einzelnes Bild unseres Selbst­ ­versteifen, noch können wir uns dem Thema verweigern.
Im politischen Raum beispielsweise müssen die Menschen Deutschlands auf ihr Bürgersein bestehen, um am gesellschaftlichen Prozess teilnehmen und unsere Rechte einfordern zu können. Andererseits gilt besonders für uns als Muslime, dass auf der Ebene des Herzens die zeitweise Aufgabe von Identität Teil unserer spirituellen Tradition ist. Und wir sind, aufgrund der Natur unseres Daseins als Geschöpfe Gottes per Definition schon ständig im Wandel begriffen. Auch dann, wenn wir einen festen Begriff unseres Selbst fixieren wollen.
Wie die letzten zwei bis drei Mo­nate gut aufzeigen, herrscht unter Deutschlands Muslimen alles andere als durchgehende Einigkeit in Sachen Selbstverständnis. Wie wir im Themenschwerpunkt unserer letzten Ausgabe (Nr. 280) dokumentierten, gibt es eine große Spannbreite angesichts der Frage, ob die Eigenschaften „deutsch“ und „muslimisch“ zusammenpassen. Und diese Uneinigkeit besteht trotz der Tatsache, dass sich unzählige Muslime in diesem Land, deren Zahl anwächst, ganz natürlich als „deutsche Muslime“ begreifen. Eine notwendigerweise positive Antwort auf diese Herausforderung kann viel dazu beitragen, eine ­verfahrene Situation aufzulösen.