Wunden verarzten, Traumatisierte trösten

Es ist heiß, es stinkt und es herrscht Chaos: Ärzte und Pfleger leisten am Flughafen von Tacloban Nothilfe. Der Patientenstrom reißt nicht ab. Nur die körperlichen Wunden versorgen reicht nicht.

Tacloban (dpa). Mehr als 100 Patienten drängen sich in dem engen Raum, die Menschen kauern auf dem Boden, auf Tischen, auf einer umgedrehten Getränkekiste. Kinder schreien, Verletzte stöhnen. Dies ist die Klinik am Flughafen von Tacloban, im Herzen des Taifun-Katastrophengebiets auf den Philippinen. Pflegepersonal versucht mit den primitivsten Mitteln rund um die Uhr, einen nicht abreißenden Strom von Patienten mit dem Nötigsten zu versorgen.

Ein Mann liegt auf einem Bettgestell ohne Matratze, eine Frau hält seine Infusionsflasche. Eine alte Frau sitzt zusammengekauert in einem Rollstuhl, die Hände vor das Gesicht geschlagen. Eine junge Mutter hat mit ihrem Baby einen Bürostuhl ergattert: Sie zieht die Füße hoch, um der matschigen Brühe auf dem Boden zu entgehen. Auf dem Tisch in der Mitte des Raumes liegen Mullbinden und ein Blutdruckmessgerät. Die Ärzte behelfen sich mit wenig Material.

Jesseli Mogul ist 16. Ihre Brüder haben sie hereingetragen. Ihr rechtes Bein ist auf die doppelte Größe angeschwollen. Als der Taifun ihre Nachbarschaft am vergangenen Freitag in Stücke riss, traf sie ein Stück Wellblech am Bein. Die Wunde ist schwer entzündet. Das Mädchen weint. «Wir haben Angst, dass das Bein amputiert werden muss», sagt ihr Bruder Jerson. Die Ärzte können die Wunde hier nur notdürftig säubern. Seit 24 Stunden versuchen die Brüder, einen Platz für Jesseli zu ergattern, damit sie zur Behandlung nach Manila ausgeflogen werden kann.

Ärztin Tsang kam keine 24 Stunden nach dem Taifun in Tacloban an. Das zerstörte Flughafengebäude direkt neben dem Tower war das Beste, was sie für den Aufbau der Nothilfestation finden konnte. Die Fensterscheiben sind kaputt, das Dach ist halb abgerissen. Bei Regen verwandelt sich der Boden in eine Matschlache.

«Es ist chaotisch, aber wir tun unser Bestes, und versuchen, jedem zu helfen», sagt sie. «Wir dachten, wir würden nur Erste Hilfe leisten, bevor die Patienten ausgeflogen werden, aber wir sahen uns plötzlich mit komplizierten Fällen konfrontiert.» Am Montag half die Ärztin, hier Baby Bea Joy auf die Welt zu bringen.

Der Platz für die Patienten reicht hinten und vorne nicht. Jemand hat hinter dem Gebäude ein Zelt errichtet, dort drängen sich Dutzende weitere Menschen, die Hilfe brauchen.

Ariane Meg Mengullio (18) hat tiefe Schnittwunden in beiden Beinen. Sie sitzt auf einem Plastikstuhl in einer Ecke, an ihren Rucksack geklammert und starrt ins Leere. Die Mutter sitzt neben ihr, der Vater ertrank in der Sturmflut, die Taifun «Haiyan» brachte. «Plötzlich sprang unsere Küchentür auf und eisiges schwarzes Wasser strömte herein», erzählt sie von dem schrecklichen Morgen vor fast einer Woche. «Das Wasser floss rasend schnell. Ich habe meinen Vater rausgetragen, aber wir sind in der Flut plötzlich untergegangen. Mein Bruder hat mich hochgezogen, aber meinen Vater habe ich verloren.»

«Viele unserer Patienten sind wie betäubt», sagt der medizinische Koordinator der Klinik, Marvin De Jesus. «Wir müssen uns nicht nur um ihre Verletzungen kümmern, sondern sie auch trösten, sie sind traumatisiert. Plötzlich waren wir als Psychologen gefragt.» Unter den Patienten sind auch Soldaten, die in der Stadt bei den Aufräumarbeiten und der Bergung der Leichen helfen. Viele können die traumatischen Erlebnisse allein nicht verarbeiten, sagt De Jesus.

Das Team hat schwere Kopfverletzungen behandelt, gefährliche Infektionen, die fast schon die Knochen erreicht hatten. Sie haben Diabetes-Patienten gehabt, aber weder die Möglichkeit, den Blutzucker zu messen noch die Medikamente, die dringend benötigt werden. «Manchmal reißt Patienten oder Angehörigen der Geduldsfaden, weil sie dringend Hilfe brauchen», sagt Ärztin Tsang. «Wir verstehen die Gefühle, aber wir müssen Prioritäten setzen.»

Im Zelt nebenan sind jede Menge Mütter mit Kleinkindern mit Fieber und schwerem Durchfall. Hinter einem Zaun, der die Klinik abschirmt, stehen noch mehr Frauen. Kinder übergeben sich, andere wimmern, weil sie Bauchschmerzen haben.

Die Lage in der Stadt ist katastrophal. Es gibt kein sauberes Wasser, die Familien hausen unter freiem Himmel, einige in einer stinkenden Brühe, die mit Kadavern, Fäkalien und Unrat verseucht ist. «Auch die Soldaten kommen inzwischen mit Durchfall her», sagt die Ärztin. «Sie geben ihre Trinkvorräte denen, die es noch nötiger brauchen und trinken dann auch schmutziges Wasser.»