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Zakat stärkt die Gemeinschaft

Ausgabe 304

Foto: Lisa-S, Shutterstock

Abdalhakim Akanmu ist der Leiter ­einer bunten Gemeinschaft von Muslimen im englischen Norwich. Sie trifft sich in der schönen Ihsan-Moschee im Zentrum des mittelalterlichen Ortes. 2011 kam Akanmu aus dem Londoner Stadtteil Brixton.

Zu seinen Pflichten gehört seit drei Jahren das Nehmen und Verteilen der Zakat, der islamischen Pflichtabgabe auf das Vermögen. Für ihn ist dieser Teil seiner Aufgaben als Verantwort­licher der Gemeinschaft „einer der ­befriedigendsten Aspekte“. Sie sei ein Mittel zur Erhebung und Stärkung der Gemeinde und Hilfe für die Bedürf­tigen in seinem Umfeld.

Frage: Erzählen Sie uns bitte etwas über Ihre Gemeinschaft und wie Sie zur lokalen Sammlung und Verteilung der Zakat kamen?

Abdalhakim Akanmu: Meine Gemeinschaft hat ihren Mittelpunkt in der Norwicher Ihsan-Moschee. Sie wurde vor über 40 Jahren von konvertierten Muslimen gegründet. Sie ist insofern ungewöhnlich, da sie aus Muslimen mit verschiedenen Hintergründen besteht. Dazu gehören Karibianer, Europäer, Afrikaner und Asiaten. Seit 14 Jahren gehöre ich ihr an. Ursprünglich lebte ich in London und kam zu verschiedenen Veranstaltungen nach Norwich, bevor ich dorthin zog.

Frage: Was führte Sie zur Sammlung der Zakat?

Abdalhakim Akanmu: Soweit ich weiß, hatte die Gemeinschaft immer ­einen Verantwortlichen, der die Abgabe lokal einnahm und weitergab. Im ­November 2017 wurde ich gebeten, die Verantwortung zu übernehmen. Die Etablierung der Zakat gehört daher zu meinen Aufgabengebieten. Mein Hauptaufgaben sind die Sichtung des Mondes und – darauf basierend – die Ankündigung des Ramadan sowie der Feiertage, die Gewährleistung des Freitagsgebetes sowie die Sorge um das Wohlergehen der Mitglieder.

Frage: Wie stellt man fest, wer sie überhaupt empfangen sollte?

Abdulhakim Akanmu: Als ich anfing, gab es ein Team von fünf oder sechs Personen. Wir haben eine Liste aller Männer und Frauen erstellt, von denen wir glaubten, sie könnten Hilfe gebrauchen. Da wir in einer relativ kleinen Gemeinde ­leben, ist es oft einfacher zu wissen, ob Menschen in Schwierigkeiten sind. Manchmal kommen Informationen zu mir, wenn nicht direkt, dann über einen Dritten. Einfach nur durch meine ­Verantwortung erreichen mich viele ­Hinweise. So bekommt man wirklich ein Gespür für Gemeinschaft.

Frage: Wie gehen Sie die Sammlung an und wie gestaltet sich ihr Prozess?

Abdulhakim Akanmu: Wenn mich jemand darüber informiert, dass er oder sie Zakat zahlen muss, und wenn der entsprechende Zeitpunkt im Jahr gekommen ist, dann besuche ich diese Person vorzugsweise mit einer Person des Wissens oder jemandem vertrauenswürdigen. Praktisch ist das jedoch nicht immer der Fall. Es gab auch Fälle, bei denen Leute ihre Zakat in meinen Briefkasten warfen und mich mit ihr daheim besuchten. Es gibt also verschiedene Wege. Sobald ich die Zakat habe, sprechen wir ein Gebet für den Gebenden und verteilen sie so schnell wie möglich. Normalerweise wird alles binnen weniger Tage verteilt.

Frage: Kann man feststellen, wer eigentlich bezahlen muss, und verlassen Sie sich einfach auf die Ehrlichkeit der Menschen?

Abdulhakim Akanmu: Das ist eine knifflige Sache. Solange die Leute nicht auf einen zukommen und tatsächlich ­sagen, was sie zahlen müssen, ist es schwierig, das es in der heutigen Zeit so viel gibt, was man „versteckten Reichtum“ nennt. Kommt jemand zu mir und bestätigt, dass eine Zakatpflicht vorliegt, dann helfe ich bei der Berechnung und Bezahlung. Dann liegt es in meiner Verantwortung, dies an die Bedürftigsten weiterzugeben.

Tatsächlich ist es eine enorme Angelegenheit, wenn man in der Lage ist, die Zakat zu bezahlen. Das ist massiv! Es ist solch ein Segen – nicht nur für die Gemeinschaft, sondern für die jeweils betroffene Person. Es wird gesagt, dass sie bis zu einem gewissen Grad eine gefallene Säule ist. Ich habe das Gefühl, dass die Auswirkungen, die wir als Muslime haben könnten, wenn diese Säule richtig wiederbelebt würde, nicht vollständig verstanden werden. Wir könnten uns dadurch massiv stärken, weit mehr, als es heute möglich ist. Wenn es eine Chance gibt, Muslime gerade in dieser Zeit zu stärken, müssen wir sie umsetzen.

Frage: Hat die Zakat Ihrer Gemeinschaft geholfen?

Abdulhakim Akanmu: Ja, in großem Maße. So hatten wir beispielsweise Kranke, die arbeitsunfähig waren. Manchmal können wir ihnen Geldbeträge von 50 bis 500 Pfund geben. Für sie ist das eine große Hilfe. Sie wissen nicht, dass etwas kommt. Man kann sich also ­vorstellen, dass es ein willkommener Bonus ist, aus heiterem Himmel Geld zu erhalten, wenn man nicht besonders flüssig ist oder kein regelmäßiges Einkommen hat. Das macht etwas mit einem Menschen. Es gab Leute, die mir gesagt haben: „Alhamdulillah, ich hatte nur noch zehn Pfund und erhalte das jetzt. Das Timing ist perfekt.“ Menschen finanziell zu helfen, wird immer geschätzt.

Frage: Gab es neben der konkreten Hilfestellung für den Einzelnen weitere oder unerwartete Effekt dabei?

Abdulhakim Akanmu: Zakat stärkt und vergrößert definitiv die Gemeinschaft. Manchmal merkt man nicht wie. Einige Leute mögen am Rand stehen oder selten die Moschee besuchen, aber für mich bleiben sie immer unsere Leute. Ich sagte vorhin, es sei einer der lohnenderen Teile meiner Rolle, basierend auf einigen der Nachrichten, die Sie erhalten: „Woher wusstest du, dass ich etwas ­brauche?“ oder „Die Tatsache, dass du sogar an mich gedacht hast, als ich seit Monaten nicht mehr mit dir gesprochen habe“. Die Zakat erweitert. Man muss in Verbindung bleiben und ich kann – selbst wenn direkter Kontakt nicht ­möglich ist – über Dritte dem Anderen verbunden sein.

Es gibt auch Mitglieder, die man manchmal seltener sieht, als es andernfalls der Fall wäre. Sie mögen aus irgendwelchen Gründen die Moschee oder ihre Leute meiden. Zakat erweicht die ­Herzen. Ich habe oft Menschen Zakat gegeben, die ich seit Jahren nicht mehr speziell für diesen Zweck in der Moschee gesehen habe, während ich mir ihrer ­finanziellen Probleme bewusst war. Vor Kurzem gab es jemanden, der zwar lange nicht mehr in der Moschee war, aber eine wichtige Rolle in der Zubereitung des Essens für den Ramadan und für ­Obdachlose spielte. Selbst, wenn man sie nicht sieht, weiß man, dass die Herzen in Verbindung bleiben.

Die Wirkung mag nicht unmittelbar sein, aber das ist Allahs Angelegenheit. Wir spielen nur eine Rolle darin.

Frage: Würden Sie anderen Gemeinschaften raten, ebenfalls die Zakat ­lokal zu etablieren?

Abdulhakim Akanmu: Auf jeden Fall! Unsere Gemeinschaft besteht insgesamt aus rund 200 Frauen, Männern und Kindern. Wir sind nicht sonderlich wohlhabend, sodass ich in einem Jahr vielleicht nur eine Handvoll Menschen sehe, die Zakat bezahlen müssen. Und doch habe ich von ihnen viel Gutes gesehen. Wir reden hier nicht von enormen Summen. Bei einer größeren Gruppe kann man davon ausgehen, dass es mehr Zahlungspflichtige gibt. Dann kann das Geld in der Gemeinschaft wie auf einem Karussell kreisen und den Bedürftigen mehr Macht geben. Es wäre definitiv ein großer Vorteil für die Muslime, wenn dies der Fall wäre. Es ist nicht gut genug, sich auf den Staat zu verlassen, um den Bedürftigen in ­unserer Umgebung zu helfen.

Frage: Was ist dann aber mit den Menschen in aller Welt, die unter Schwierigkeiten leiden?

Abdulhakim Akanmu: Ich spreche oft mit verschiedenen Muslimen und sie haben mir gesagt, dass sie dazu neigen, ihren Zakat in das Land zurückzu­schicken, aus dem ihre Eltern oder Großeltern kamen. Nämlich Bangladesch oder Pakistan, um nur einige zu nennen. Sie haben das Gefühl, dort etwas bewirken zu können und ihr Geld werde dort eine größere Hilfe sein als hier. Ich kann das nachvollziehen, aber Zakat bedeutete mir immer etwas anderes. Wir haben immer versucht, dem ‘Amal, der Handlungsweise, von Medina zu folgen. Wir versuchen nicht, das Rad neu zu erfinden, sondern dem Beispiel unserer Vorläufer zu folgen. Zakat ist für mich ein Mittel zur Aufrichtung meiner Gemeinschaft und der Hilfe für die Bedürftigen um mich herum. Ich weiß persönlich, dass mein Handeln so eine lokale Wirkung hat. Ich habe es gesehen. Ich bekomme die Nachrichten; ich bekomme die Anrufe. Ich weiß, dass diese Person krank ist und Probleme hat. Ich kann tatsächlich jemandem helfen, der um mich herum ist. Für mich ist das eigentlich das Wichtigste.