Abdulhakim Murad über Geld, Islamic Banking, Ökonomie, Gold und Silber

Ausgabe 206

Der folgende Auszug stammt aus einem Interview, das der Journalist und ­Autor Eren Güvercin mit dem britischen Gelehrten und Universitätsprofessor Abdal Hakim Murad führte.

Alle Religionen, nicht nur der Islam, lehnen Gier ab. In dem Maß, in dem die moderne Wirtschaftslehre davon ausgeht, dass sich der Wohlstand aus einem von Gier angetriebenen Wettbewerb ableitet, widerspricht diese Moderne dem Glauben. Auf eine gewisse Art und Weise ist diese Spannung einer der möglichen Ausdrucks­formen einer größeren Inkompatibilität zwischen religiösen Vorstellungen von der Menschheit als einer im Wesentlichen ethisch und jene, die uns als das erfolgreiche Ergebnis eines jahrtausendealten brutalen Wettbewerbs betrachten – durch einen evolu­tionären Prozess, der ausschließlich durch Eigennutz angetrieben wurde. Islam und andere Glaubensüberzeugungen bieten auf die jeweils eigene Weise eine prophetische und ­radikale Herausforderung für das kapitalistische Ideal der Gier.

Heute verfügt keine muslimische Gesellschaft über eine islamische Wirtschaft. Nationale Eliten und die ­Logik der Globalisierung wenden sich gegen die Wiedergeburt einer ­eigenständigen Wirtschaft auf ethischer Grundlage. Der islamische Bankensektor stellt hier nur eine sehr einseitige Ausnahme dar.

Im traditionellen muslimischen Verständnis kann Reichtum alles sein, dem die Menschen einen Wert beimessen – inklusive immaterieller Güter. Aber Geld ist Gold und Silber. Das heißt, beide besitzen einen Wert, der in ihrer natürlichen Seltenheit begründet ist, die übertriebene und irreale Spekulation und Kapitalbildung auf Grundlage von Zahlungsversprechen ausschließt. Dies reduziert die Möglichkeit eines rapiden Wirtschafts­wachstums auf Grundlage eines flexiblen Kredits. Beide verhindern aber auch die Möglichkeit plötzlicher und wilder Schwankungen, da das Geld [im islamischen Sinne] eine statische Ressource ist und keine potenziell ­unendliche.

Nur wenige oder gar keine der „islamischen Banken“ arbeiten entsprechend der klassischen Regeln innerhalb der Scharia. Beinahe alle sind in das globale Geldsystem eingebunden, dass sowohl ihre Handlungsfreiheit drastisch beeinträchtigt, als auch sie zur Anerkennung von Geld als willkürlichem Symbol zwingt. (…) Trotz ihrer stellenweise Komplizenschaft mit den kapitalistischen Techniken des Bankwesens blieb ihnen die schlimmsten Zerstörungen des jüngsten Einbru­ches erspart. Dies liegt auch daran, weil sie wucherische Hypothekendarlehen und andere spekulative Transaktionen der Geldmärkte vermieden haben. (…)

In dem Maß, in dem der ­scharia-kompatible Finanzsektor im Qur’an ruht – und erfolgreich ist -, können wir davon ausgehen, dass die offenbarten Quellen eine augenblickliche Relevanz haben. Ein religiöses Finanz­system wird jedoch immer Widerstand und Zynismus seitens des Finanzestablishment erzeugen; teilweise wegen seiner Respektlosigkeit gegenüber allen nicht-westlichen Wertvorstellungen und stellenweise auch, weil der Kapitalismus scheinbar erwiesenermaßen ein Modell für ein nachhaltiges und massives Wirtschaftswachstum ist. Der Platz der qur’anischen Vision liegt bei einer ziemlich radikalen, grünen und ethischen Vision des Wirtschafts­lebens. Sie bleiben unverdaulich für die Mainstreambanker und -investoren, die auf der Suche nach hohen Erträgen sind.

Quelle:
erenguevercin.wordpress.com/english