Das Benehmen des Propheten war eine Reflektion der qur’anischen Weisheiten. Von Schaikh ‘Abdalhaqq Bewley

Ausgabe 206

„Edles Verhalten und richtiges Handeln reinigen und erleuchten den Einzelnen andererseits, stellen aber auch eine Verbesserung und Bereicherung für die Gesellschaft als Ganzes dar. Dies ist der Kern der Wissenschaft vom Verhalten.“

(iz). Allah, der Erhabene, spricht in Seinem Edlen Buch über Seinen Gesandten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben: „Und du bist wahrlich von großartiger Wesensart.“ (Al-Qalam, 4)

Und der Prophet sagte über sich selbst in einem Hadith: „Ich wurde entsandt, um guten Charakter zu vervollkommnen.“ (Muwatta, Imam Malik) Und eine andere Version dieses bekannten Hadithes, „edler Charakter“, lässt den Schluss zu, dass dies der vorrangige Zweck ­seiner Mission war. Kehren wir zum Buche ­Allahs zurück, finden wir einen Vers, in dem Allah, der Majestätische, seinen Propheten anweist, uns zu sagen: „Sprich: ‘Wenn ihr Allah liebt, dann folgt mir. So liebt euch Allah und vergibt euch eure falschen Handlungen.’“ (Al ‘Imran, 31)

Oft sind diese Zitate die Einleitung zu einer Betrachtung auf die besonderen Charaktereigenschaften, wie sie vom Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, während seines Lebens in dieser Welt so perfekt verkörpert wurden. Gemeinsam betrachtet ermöglichen diese drei Aussagen – ganz allgemein – die Untersuchung der essenziellen ­Natur des menschlichen Verhaltens, seiner entscheidenden Wichtigkeit auf einer indivi­duellen Ebene, aber auch seiner spirituel­len und politischen Auswirkungen – sowohl negativ wie positiv – für die Gesellschaft als Ganzes.

„Manieren machen den Menschen.“ Dieses berühmte Motto von William von Wykeham, dem Staatsmann und Gründer der Schule von Winchester im 14. Jahrhundert, wurde mir als Kind oft vorgetragen. Üblicherweise geschah dies, wenn ich dabei versagte, „bitte“ oder „danke“ zu sagen; oder auch für jeden anderen Versuch meiner verzweifelten Großeltern, mein Verhalten gesellschaft­lich annehmbarer zu machen. Blickt man aber auf die ursprüngliche Bedeutung dieser antiken Weisheit, dringt man in den Kern unserer Betrachtung vor. Übersetzt in eine moderne Sprache lautet die Bedeutung dieses Mottos: „Du bist, was du tust.“ In anderen Worten, das Verhalten der Menschen bestimmt, was sie im Wesentlichen sind und legt die Form ihres Lebens und ihre Schicksals fest – sowohl auf individueller, wie auf sozialer Ebene. Allah, der Erhabene, sagte uns im Qur’an: „Dies ist, weil Allah niemals eine Gunst, die Er einem Volk erwiesen hat, ändert, bis sie das ändern, was in ihnen selbst ist, und weil Allah Allhörend und Allwissend ist.“ (Al-Anfal, 54)

Der zweite Wandel, auf den hier Bezug genommen wird – derjenige, den die Leute vornehmen -, manifestiert sich im Verhalten der Menschen dieser Welt. Bei einem Blick auf die Berichte über vergan­gene Völker in Allahs Buch wurde ihr Niedergang in jedem Fall wegen einem falschen Verhalten ihrerseits verursacht: das arrogante Festhalten an Götzendienst, schamloser Ungehorsam gegenüber ­Allahs Befehlen, grausame Ungerechtigkeit, sexuelle Abartigkeit und himmelschreiendes finanzielles Fehlverhalten. Dies sind einige Beispiele von ­schlechtem Verhalten, dass zur Zerstörung antiker Gesellschaften führte.

Diese direkte Beziehung zwischen verschiedenen Arten des schlechten Verhallen und den schädlichen sozialen wie politischen Konsequenzen als Folge wurde ausdrücklich in einem Hadith der Muwatta beschrieben: „Jahja überlieferte von Malik von Jahja ibn Said, dass er ‘Abdullah ibn ‘Abbas sagen hörte: ‘Das Stehlen von der Beute erscheint nicht in einem Volk, außer dass Schrecken in seine Herzen geworfen wird. Unzucht verbreitet sich nicht unter einem Volk, außer dass es viele Todesfälle unter ihm gibt. Menschen machen weder die Maße kürzer noch die Gewichte leichter, ­außer dass sie von ihrer Versorgung abgeschnit­ten werden. Menschen sprechen nicht ohne Befugnis Recht, außer dass sich Blut(vergießen) in ihren Reihen ­ereignet. Menschen brechen ihre Eide nicht, ­außer dass Allah ihren Feinden Macht über sie gibt.’“

Der entscheidende Punkt dabei ist, dass unser Verhalten eine direkte Auswir­kung – negativ oder positiv – auf unser Sein hat und auf das, was sich in ­unserem Leben ereignet. Dies ist ein wesentlicher Aspekt der Weise, wie Allah die Existenz erschafft. Er sagt in einem Vers, der ein Echo auf denjenigen ist, den wir vorher betrachteten: „Allah ändert nicht den Zustand eines Volkes, solange es nicht ändert, was in sich selbst ist.“ (Ar-Radd, 13)

Dies macht deutlich, dass ein Wandel in zwei Richtungen stattfinden kann – zum Besseren oder Schlechteren. Dies wiederum ermöglicht uns einen Einblick in die wahre Natur des menschlichen Verhaltens. Entweder bewegt es sich im Einklang mit den grundlegenden Gesetzen der Existenz und stellt den Schöpfer des Universums zufrieden. In diesem Fall ist das Ergebnis positiv und nützlich für den betroffenen Menschen. Oder es widerspricht den fundamentalen Regeln und verärgert Allah. In diesem Fall werden die Konsequenzen negativ sein und die Verantwortlichen schädigen.

Schlechtes Verhalten und falsches Handeln sind korrumpierend und zerstö­rerisch – sowohl für das Individuum wie für die gesamte menschliche Situation. Edles Verhalten und richtiges Handeln reinigen und erleuchten den Einzelnen andererseits, stellen aber auch eine Verbesserung und Bereicherung für die Gesellschaft als Ganzes dar. Dies ist der Kern der Wissenschaft vom Verhalten. Sie ist etwas, dass in die eigentliche Textur unserer Existenz verwoben ist. Und führt uns in den Kern der Göttlichen Rechtleitung und in das innere Geheimnis des menschlichen Verhaltens.

Aus diesem Grund ist es notwendig zu verstehen, was die Natur des richtigen Verhaltens ist. Andernfalls besteht die Gefahr, dass wir sowohl uns zerstören, als auch unsere Welt. In dem bekannten Lichtvers (Ajat An-Nur) zieht Allah das Gleichnis einer Lampe, in der Sein Licht durch ein kristallklares Glas scheint, das es beschützt und das ihm erlaubt, ungehindert in die Welt hinaus zu strahlen. Viele der großen ­Qur’ankommentatoren (Mufassirun) waren der Ansicht, dass dies eine Metapher für den Propheten ist. Das Licht ist die Rechtleitung, die er von seinem Herrn überbrachte. Die Weise, in der dieses Licht in der Welt erschien, war das Verhalten des Propheten, möge ­Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, während seines irdischen Lebens. Das Licht äßerte sich in seinen Worten und Handlungen; darin, wie er auf all die unzähligen Situationen, die seinen Alltag bilde­ten, traf und mit ihnen umging.

Schaikh Muhammad ibn Al-Habib erläutert dies in einer Qasida (Muhammadun manscha’u): „Denn er ist höchste Manifestation von Allahs Namen und das vollkommene, fehlerfreie Geheimnis der Eigenschaften.“ In anderen Worten, das Verhalten des Propheten, möge ­Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, und sein alltägliches Handeln während ­seines Lebens waren nichts geringeres als eine vollkommene Reflexion der Eigenschaften Allahs, soweit dies im Zusammenhang der menschlichen Existenz möglich ist. Dies ist die Natur des „gewaltigen Charakters“, den Allah Seinem ­Ge­sand­ten im Qur’an zugeschrieben hat. Zur gleichen Zeit ist diese perfekte Verhaltensweise genau jene Rechtleitung, die ihm sein Herr befohlen hat, sie an den Rest der Menschheit weiterzugeben. ‘Aischa, seine Ehefrau machte dies sehr deutlich, als sie über ihn befragte wurde und ­berichtete: „Sein Charakter war der Qur’an.“ Mit anderen Worten, die Botschaft, die er überbringen musste, wurde vollkommen durch sein Verhalten reflektiert – er war die Göttliche Rechtleitung in Aktion.

Wir finden dies wunderschön am Anfang der Sure Ja-Sin beschrieben, die als das „Herz des Qur’an“ bekannt wurde. Wir wissen, dass dies einer der Namen des Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben. Alle drei Dinge – die Göttliche Rechtleitung, sein eigenes Wesen und die Umsetzung dieser Rechtleitung in seinem Leben – kommen hier zusammen. Die Sure beginnt: „Ja-Sin. Beim Weisen Qur’an. Du bist wahrlich einer der Gesandten auf einem Geraden Weg.“ (Ja-Sin, 1-4)

In dieser kurzen Passage kommen die drei Elemente der Botschaft, des Botschafters und ihre Anwendung in einem Atemzug zusammen und es ist beinahe so, als wären sie in Wirklichkeit ein Ereig­nis. Das Buch, sein Empfänger und ­seine Erfüllung können von einem bestimmten Blickwinkel aus betrachtet als ein und die selbe Sache betrachtet werden. Ich will damit sagen, dass die Göttliche Rechtleitung, die der Prophet überbringen musste, in einer Hinsicht nicht von seinen Handlungen in der Welt zu trennen ist. Als er sagte, dass er entsandt wurde, um guten Charakter zu perfektionie­ren, sagte er in der Tat, dass sein eigenes vollkommenes Verhalten den Qur’an verkörperte und die Namen und Eigenschaften Allahs reflektierte. Dies sind exakt die Mittel, durch die andere Menschen ihren Herrn zufrieden stellen können, sein Missvergnügen vermeiden, zu den Leuten des Gartens zu werden und vermeiden, zu den Leuten des Feuers zu werden. Das ist die Bedeutung eines Verses, den wir zuvor behandelten: „Sprich: ‘Wenn ihr Allah liebt, dann folgt mir. So liebt euch Allah und vergibt euch eure falschen Handlungen.’“ (Al ‘Imran, 31)

Die Kernelemente dieses Verhaltens sind offenkundig die Säulen, die das Gebäude des Islam aufrecht erhalten: namentlich die fünf Gebete, die Zakat, das Fasten und die Hadsch. Aber es ist ­ebenso klar, dass diese äußerlichen Handlungen in sich selbst noch nicht ausreichend sind. Wir wissen dies dank vieler ­Qur’anverse und prophetischer Hadithe. Deshalb machten die Rechtsgelehrten das ­Fassen einer festen Absicht zum ersten Pflichtelement jeder Handlung. Und so beginnen so viele Hadithgelehrte (Muhaddithun) ihre Sammlungen mit dem berühmten Hadith, das von Saijiduna ‘Umar überliefert wurde: „Handlungen sind nur durch Absichten…“ In ­anderen Worten, die Gültigkeit jeder Handlung hängt davon ab, dass sie nur für Allah und Seinen Gesandten gemacht wird. Dies macht eine aufrichtige Absicht aus. Ohne sie ist jede Handlung im Wesentlichen wertlos. Aus diesem Grund kann das heutige Gutmenschentum in Wirklichkeit nichts Gutes erreichen.

Allah sagt uns beinah am Ende der Sure Al-Kahf: „Sprich: ‘Soll ich euch über die größten Verlierer in ihren Handlungen unterrichten? Leute, deren Anstrengungen im diesseitigen Leben fehlgeleitet sind, während sie glauben, dass sie etwas Gutes tun.’ Dies sind die Leute, welche die Zeichen ihres Herrn und die Begegnung mit Ihm leugnen. Ihre Handlung werden zu nichts führen und – am Tag der Auferstehung – werden Wir ihnen keinerlei Gewicht beimessen.“ (Al-Kahf, 103-105)

Dies wird weiterhin sehr deutlich in der Sura Ibrahim unterstrichen: „Das Gleichnis derjenigen, die ihren Herrn zurückweisen, ist, dass ihre Handlungen wie Asche sind, die von starken Winden an einem stürmischen Tag verweht werden. Sie haben überhaupt keine Macht über das, was sie sich verdient haben. Dies ist extreme Irreleitung.“ (Ibrahim, 18)

Schaikh Ibn Ata’illah Al-Iskandari bekräftigte diesen Punkt in seinen „Hikam“: „Handlungen sind nicht als unbelebte Formen. Nur durch das gegenwärtige Geheimnis der Aufrichtigkeit werden sie belebt.“ Demnach ist Aufrichtigkeit (Ikhlas) das ausschließliche Handeln für Allah. Sie ist wesentlich, ­damit jede Handlung einen Wert bekommt, bei Allah zählt, ihrem Akteur Nutzen bringt oder für andere überhaupt nur einen Zweck hat. Aber es ist auch lebenswichtig zu erkennen, dass das Gegenteil gleichermaßen wahr ist. Wahre Aufrichtigkeit verlangt nach Handlung. Wenn es diese gibt, dann muss sie notwendigerweise von einem entsprechendem Verhalten begleitet werden.

Wie wir bereits gesehen haben, beinhalten diese Handlungen unausweichlich die fünf Säulen des Islam. Aber aus diesen grundlegenden Quellen entspringen unzählige weitere Handlungen, die genauso Teil von Allahs Din sind. Im Qur’an selbst werden wir kontinuier­lich und beharrlich zu guten Aktionen jeder Art aufgefordert. In der bereits zitier­ten Qasida „Muhammadun Manscha’u“ erwähnten wir zuvor, wie Schaikh Muhammad ibn Al-Habib über die Wunder des Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Das größte der Wunder, die für ihn manihfestiert wurden, ist das Buch, das uns Handlung brachte.“ Sein konstanter Refrain ist: „Diejenigen, die glauben und richtige Handlungen vollziehen.“ Daraus wird ersichtlich, dass diese richtigen Handlungen jede Sphäre der menschlichen Aktivität durchdringen – vom Klassen- bis zum Schlafzimmer und überall dazwischen.

Dieser – mehrteilige Text – ist die gestraffte Übersetzung eines längeren Vortrags.