, ,

Berlin: Netzwerk veröffentlicht Zahlen zu Übergriffen

Foto: CLAIM Allianz

Das Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit (Inssan e.V.) dokumentiert mit 228 Vorfällen für das Jahr 2020 eine gefährliche Entwicklung in Berlin. Im Vergleich zum Vorjahr mit 265 Meldungen ist das nur ein leichter Einbruch überwiegend im Diskriminierungsbereich sozialer Nahraum. Antimuslimischer Rassismus in Berlin nimmt zu. Die Fallzahlen steigen kontinuierlich an – von 115 Vorfällen im Jahr 2017, 176 Taten im Jahr 2018, 265 Vorfällen im Jahr 2019 auf 228 im Jahr 2020 – trotz Corona-Pandemie und Lockdown.

Berlin (Inssan e.V./iz). Die Anlaufstelle erfasst seit 2016 systematisch Beleidigungen, Anfeindungen, Benachteiligungen und tätliche Angriffe auf Muslim*innen und Menschen, die als solche markiert werden. Es handelt sich um eine standardisierte Datenerfassung. Bei den Fallzahlen handelt es sich um Meldungen betroffener Menschen. Die Dokumentationsstelle arbeitet nicht als Recherche- und Monitoringstelle. Meldungen werden überwiegend schriftlich über den Meldebogen oder über den Meldelink www.inssan.de/meldung an die Anlaufstelle herangetragen.

Dem Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit wurden im Jahr 2020 insgesamt 228 Vorfälle gemeldet. Das ist ein Abfall von 13,9 Prozent zum Vorjahr (2019: 265), aber eine Steigerung über 100 Prozent zum Jahr 2017 (115). Ein Grund für den leichten Einbruch der Zahlen liegt im veränderten Lebenszustand in Folge der Corona-Pandemie. Dazu kommt noch, dass die Arbeit der Anlauf- und Beratungsstelle während der Pandemie nur eingeschränkt weitergehen konnte. Die eingeschränkte Durchführung von Empowerment-Angeboten hat sich auf das Meldeverhalten der Betroffenen ausgewirkt.

Die Dokumentationsstelle zählt im Bereich sozialer Nahraum kontinuierlich die meisten Vorfälle.

Für das Jahr 2020 wurden 48,7 Prozent der Fälle im sozialen Nahraum erfasst. Hierzu zählen Vorfälle in der Öffentlichkeit, wie auf der Straße, in öffentlichen Verkehrsmitteln und der Nachbarschaft.

12 Prozent der Fälle stammen aus dem Bereich Bildung. Hierzu zählen Kita, Hort, Schule, Universität, und berufliche und nichtberufliche Weiterbildungen und Praktika.

0,9 Prozent der Meldungen betreffen den Bereich Arbeit. Hierzu zählen Arbeitssuche, Bewerbung, Arbeitsplatz, sowie private Arbeitsvermittlung.

16 Prozent der Meldungen sind aus dem Bereich Güter- und Dienstleistungen. Hierzu zählen Mietverträge, Versicherungen, Einzelhandel und Gesundheitswesen.

Die im Jahr 2019 erweiterte Datenerfassung um den Lebensbereich „Online“, um hierunter jene Fälle von Antimuslimischem Rassismus zu erfassen, die Betroffene in sozialen Medien und auf Webseiten erfahren, machen 11,4 Prozent der Fälle aus.

Wie aus der Dokumentation von 2020 hervorgeht, wurden 214 der meldenden Personen vordergründig aufgrund ihrer tatsächlichen und zugeschriebenen islamischen Religionszugehörigkeit diskriminiert. 147 Muslim*innen erfuhren zudem auch aufgrund ihrer (zugeschriebenen) ethnischen Herkunft Anfeindungen und 101 Personen auch aufgrund ihres Geschlechtes. Somit überschneiden sich bei einer Vielzahl von Meldungen verschiedene Diskriminierungsgründe. Diese Diskriminierungsgründe oder Zuschreibungen sind fest miteinander verflochten und erzeugen spezifische Diskriminierungserfahrungen. Religion ist eine entscheidende Kategorie in der intersektionalen Diskriminierung.

Insgesamt sind Frauen häufiger vom Antimuslimischen Rassismus betroffen als Männer. Im Jahr 2020 waren 63,5 Prozent der Betroffenen weiblich. Nur 13 Prozent der Meldungen kamen von Männern, der Rest von geschlechtsgemischten Gruppen oder ohne Angabe des Geschlechts. „Trotz der in Folge der Corona Pandemie angeordneten Kontaktbeschränkungen verzeichnen wir nur einen leichten Rückgang der Fallzahlen. Dieser Einbruch ist überwiegend im Diskriminierungsbereich ‘Sozialer Nahraum’ festzustellen. Wir registrieren in den letzten Jahren immer noch einen kontinuierlichen Anstieg von Antimuslimischen Rassismus, was weiter besorgniserregend ist“, so Zeynep Çetin, Projektleiterin des Netzwerks gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit.

Weiter führt Zeynep Çetin aus: „Eine statistische Erfassung von Antimuslimischen Rassismus ist nicht möglich ohne wirksame Empowermentangebote. Durch die Arbeit im Bereich Empowerment und Sensibilisierung, die wir im Projekt letztes Jahr nur in digitaler Form leisten konnten, versuchen wir die Betroffenen zu stärken. Dies führt auch dazu, dass Betroffene sich in ‘geschützten Räumen’ mit Menschen, die Ähnliches erfahren, über Strategien austauschen und ihre Vorfälle bei uns melden. So können wir Antimuslimischen Rassismus sichtbarer machen und helfen, das Dunkelfeld zu erhellen.“

Inssan e.V. fordert, wie die wenig veränderte Debatte um Antimuslimischen Rassismus auch ein Jahr nach dem rassistischen Anschlag in Hanau zeigt, dass öffentlich geführte antimuslimisch-rassistische Debatten vor allem in Politik, staatlichen Einrichtungen, der Justiz und den Bildungseinrichtungen als solche benannt und entschieden angegangen werden, denn struktureller und institutioneller Rassismus ermöglicht und zieht Anfeindungen gegenüber als muslimisch markierten Menschen mit sich.

Von der Berliner Politik fordert Inssan e.V. den Auf und Ausbau  spezifischen Beratungsstelle bei Inssan e.V., um Betroffene besser begleiten und unterstützen zu können. Auch fordern wir die Erweiterung der Dokumentationsstelle um das Monitoring, um das Dunkelfeld zu erhellen.

Wir begrüßen ausdrücklich die vor wenigen Wochen einberufene unabhängige Expert*innenkommission zum Antimuslimischen Rassismus, wo auch unsere Vorstandsvorsitzende Lydia Nofal und unser Geschäftsführer Mohamad Hajjaj vom Islamforum Berlin in das Gremium gewählt worden sind. Dieses Gremium sollte dauerhaft etabliert werden.