
75. Buchmesse in Frankfurt: Der Philosoph Slavoj Zizek rief das Publikum auf, die Lage der Palästinenser nicht zu vergessen.
Frankfurt (KNA, iz). Überschattet vom Konflikt zwischen der Hamas und Israel ist am Dienstagabend die 75. Frankfurter Buchmesse eröffnet worden. Bei der Eröffnungsfeier im Congress Center der Messe Frankfurt sagte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), die „Macht des Buches“ zeige sich besonders in einer von Kriegen geprägten Zeit. Von Norbert Demuth
Buchmesse als „Marktplatz der Worte“
Schon vor 75 Jahren habe die Buchmesse nach dem Nationalsozialismus zum ersten Mal als „Marktplatz der Worte“ zum demokratischen Austausch und wechselseitigen Verständnis eingeladen, so Roth weiter.
„Wie bitter nötig beides ist, zeigt sich in diesen Tagen, in denen die Barbarei des Terrors erneut jede Grundlage für ein menschliches Miteinander zu zerstören droht“, betonte sie.“
Dieser Angriff auf Frauen, Männer und Kinder in Israel ist ein Angriff auf die Menschlichkeit”, sagte Roth. „Wir verurteilen diesen Terror zutiefst und stehen in voller Trauer und Schmerz an der Seite Israels“, betonte die Kulturstaatsministerin.
Foto: Frankfurter Buchmesse / Marc Jacquemin
Slowenische Staatspräsidentin erinnert an Gewalt, die sprachlos macht
Die slowenische Staatspräsidentin Natasa Pirc Musar als Repräsentantin des diesjährigen Gastlandes der Buchmesse sagte, der brutale Angriff der Hamas gegen Israel mache sie sprachlos.
Doch auch was derzeit im Gazastreifen zu sehen sei, sei ein Angriff auf die menschliche Würde. Deshalb müsse weitere Gewalt gestoppt werden und internationales Recht respektiert werden, forderte Musar.
Bücher zu lesen sei essenziell für die eigene Bildung. “Das macht uns zu einer Zivilisation”, sagte die Staatspräsidentin. Bücher gehörten “nicht nur in die Hände von slowenischen und deutschen Kindern, sondern auch in die von palästinensischen und israelischen Kindern”.
Slavoj Zizek: Die Lage der Palästinenser nicht vergessen
Zu hitzigen Wortgefechten kam es, als der slowenische Autor und Philosoph Slavoj Zizek seine Rede hielt. Darin rief er dazu auf, im Konflikt zwischen Hamas und Israel die Lage der Palästinenser nicht zu vergessen; Zizek rief Israel zur Mäßigung auf.
Seine Rede wurde wiederholt von Zwischenrufen unterbrochen, er vergleiche das Vorgehen Israels mit dem der Hamas und relativiere damit den brutalen Angriff der islamistischen Terroristen – was Zizek empört zurückwies.
Foto: Frankfurter Buchmesse / Marc Jacquemin
Sowohl Buchmesse-Direktor Juergen Boos als auch die Vorsteherin des Börsenvereins, Karin Schmidt-Friderichs, zeigten sich in ersten Reaktionen auf der Bühne irritiert von Zizeks Rede.
Israelische Intellektuelle zeigen Verständnis für Zizek-Rede
Israelische Intellektuelle haben auf der Frankfurter Buchmesse weitgehend mit Verständnis auf die Rede des slowenischen Philosophen Slavoj Zizek reagiert. Bei der kurzfristig eingeschobenen Diskussion „In Sorge um Israel“ am Mittwoch stimmten die meisten israelischen Podiumsteilnehmer dem grundsätzlich zu.
Zizek fordere, „alles muss kontextualisiert werden”, sagte der Publizist und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel. „Vermutlich stimmt das. Aber ich merke, wie schwer es mir fällt.” Er brauche für Gespräche einen Grundkonsens: dass bei den Massakern am 7. Oktober „das absolut Böse“ am Werk war. „Da braucht es keine Kontextualisierung. Darüber kann man nicht diskutieren. Aber wenn wir diese gemeinsame Grundlage haben, können wir über alles sprechen.”
Zizek habe vieles gesagt, was man kritisieren könne, sagte der Schriftsteller Tomer Dotan-Dreyfus. Zutreffend aber sei seine Diagnose, dass es wichtig wäre, die Situation besser zu analysieren. „Ich wünsche mir, dass ich diese Komplexität besser verstehen kann. Damit wir bessere Lösungen finden. Weil die Lösungen, die wir gerade haben, scheinen seit Jahrzehnten nicht zu funktionieren.“
Teile der Rede seien ihm „fremd“ gewesen, sagte der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici. Zutreffend aber sei: „Es gibt ein Leid des palästinensischen Volkes.“
Auf die Frage, wie sicher sie sich nach den Anschlägen in Europa als Israelis und Juden fühlen, sagte Mendel: „Ich fühle mich hier sicher.“ Er könne die Angst jüdischer Menschen in Deutschland teilweise verstehen, „aber es kommt mir vor wie eine Zumutung gegenüber den Menschen in Israel, die wirklich in Gefahr sind“.
Auch Rabinovici findet das „ein bisschen obszön“: Die Bedrohungssituation in Deutschland und Israel sei „nicht zu vergleichen“.
Slavoj Zizeks Rede im Wortlaut:
https://www.youtube.com/watch?v=Xt2JBG3VqKA
Der Beitrag wurde um 14:10 ergänzt und verändert.