Ehrengast Indonesien: „Wir haben eine Tradition des Schreibens“. Von Thomas Maier

Das als exotisch geltende Indonesien hat mutige Autorinnen, die heiße Eisen anfassen. Dies will der Ehrengast der Welt auf der Frankfurter Buchmesse zeigen.

Jakarta (dpa). Indonesien hat ehrgeizige Ziele auf der Frankfurter Buchmesse: Das Gastland will im Oktober seine unbekannte Literatur der Welt nahebringen und zu Hause die Lesekultur hoffähig machen, sagt Goenawan Mohamad. Der 73-jährige Dichter und Essayist ist die literarische Galionsfigur seines Landes und für den Auftritt in Frankfurt verantwortlich. Er saß während der Militärdiktatur von Suharto zeitweise in Haft. Die Aufarbeitung der Massaker nach dem Putsch vor 50 Jahren soll ein Schwerpunkt in Frankfurt sein. Kommende Woche (23.6.) wird das Programm offiziell vorgestellt.

Frage: Herr Mohamad, Indonesien ist auf dem literarischen Archipel ein schwarzer Fleck. Was können wir in Frankfurt erwarten?

Goenawan Mohamad: Wir wollen der Welt zeigen, dass Indonesien nicht nur für Exotik oder Bali steht, sondern auch eine kreative Literatur hat. Wir sind ein vielfältiges Land mit 250 Millionen Menschen. Für Indonesien wollen wir mit dem Auftritt zugleich den Anschub geben, dass Lesen zur Gewohnheit wird.

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Frage: Die Indonesier gelten ja nach den Zahlen der Weltkulturorganisation Unesco alles andere als fleißige Leser. Hängt das mit der uralten oralen Tradition zusammen, nach der Geschichten in den Dörfern einfach weitererzählt werden?

Goenawan Mohamad: Nein, das ist ein weiteres Vorurteil. Wir haben auch eine Tradition des Schreibens. Dass die Leute nicht viel lesen, dafür ist die jahrzehntelange Vernachlässigung der Bildung zuständig. Literatur bedeutet für viele nur, einige Dinge aus Büchern auswendig zu lernen.

Frage: Heute sind alle jungen Indonesier in den sozialen Medien unterwegs oder schauen TV-Soaps. Wer will da überhaupt noch lesen?

Goenawan Mohamad: Es gibt wichtige Unterschiede. Fernsehen tötet die Lust zum Lesen, und das Fernsehen hier ist leider schrecklich. Aber auf Facebook oder Twitter wird ja auch geschrieben und gelesen.

Frage: Ein Schwerpunkt in Frankfurt wird die literarische Wiederaufarbeitung der Massenmorde unter der Militärdiktatur von Suharto sein, die sich dieses Jahr zum 50. Mal jähren. Wieso wird dieses Thema mit einer geschätzten Opferzahl von bis zu einer Million in Indonesien immer noch tabuisiert?

Goenawan Mohamad: Das Tabu ist längst nicht mehr so stark, wie es war. Nach dem Ende Suhartos im Jahr 1998 hat sich durch die Reformbewegung (Reformasi) einiges geändert. Es gibt neue Bücher, die jetzt auch umfassender an das Thema herangehen. Einige Romane gerade von Frauen werden jetzt zur Buchmesse übersetzt. In Indonesien sind sie Bestseller.

Frage: Indonesien ist zu fast 90 Prozent muslimisch. Der Einfluss des islamischen Fundamentalismus ist in den vergangenen Jahren gewachsen, zugleich sind einige der bekanntesten Autoren des Landes Frauen. Wie passt das zusammen?

Goenawan Mohamad: Das klingt in der Tat wie ein Paradox. Nach 1998 haben Autorinnen wie Ayu Utami angefangen, über Sexualität, Politik und Religion offen und ungeschminkt zu schreiben. Aber man muss auch sagen, dass die Rolle der Frau im indonesischen Islam nie so restriktiv war wie in arabischen Ländern. Indonesien hat das Wahlrecht für Frauen zum Beginn der Staatsgründung 1945 eingeführt – in Frankreich war es übrigens dasselbe Jahr.

ZUR PERSON: Goenawan Mohamad (73), Journalist, Poet und Essayist, hat in Jakarta die einflussreiche Wochenzeitschrift „Tempo“ mitbegründet. Das Magazin war zweimal unter Suharto verboten. Mohamad, auch international bekannt, gilt als einer der wichtigsten Intellektuellen des Landes.

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