Über Vergangenheit, Gegenwart und ­Zukunft der muslimischen Selbstorganisation und der Religionsgemeinschaften in Deutschland

Ausgabe 241

Die unterschiedlichen muslimischen Gemeinschaften stehen hinsichtlich der rechtlichen und gesellschaftlichen Partizipation des Islams in Deutschland vor ähnlichen Herausforderungen. Aufgrund des unterschiedlichen Grades der Institutionalisierung und Professionalisierung wurden sie bis Ende der 1990er Jahre mit diesen Fragen jedoch zu unterschiedlichen Zeiten konfrontiert.

Die Fokussierung auf muslimische Gemeinschaften in der Religionspolitik spätestens seit Mitte der 2000er Jahre und die zusätzliche Aufnahme der Integrations- und Sicherheitspolitik in diese Debatte hat zu einem Nivellierungs-, oder zumindest einem beschleunigten Weiterentwicklungsdruck geführt. Statt der bisher eher gemächlichen und im Wege des Trial-and-Error stattfindenden Entwicklung im eigenen Tempo, mussten die Gemeinschaften nun zusätzlich einer öffentlichen Erwartung gerecht werden.

Möglichkeiten der Zusammenarbeit
Neben dem eigenen inneren Antrieb, die muslimische Einheit voranzutreiben, war es auch der äußere Druck, der die Bildung von gemeinsamen Strukturen voranschreiten ließ. So etablierte sich im März 2007 der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM). Der KRM setzte sich zusammen aus der Ditib, dem Islamrat, dem VIKZ und dem ZMD. Vertreten waren in diesem Gremium damit fast 90 Prozent aller Moscheegemeinden in Deutschland.

Ziel des KRM war es, die Etablierung gemeinsamer Strukturen auf der Landesebene in Form von Landesreligionsgemeinschaften voranzutreiben. Damit sollten auf der Ebene der Bundesländer die Anforderungen, die zuletzt in mehreren Entscheidungen von Bundesverwaltungs- und verfassungsgericht mit Blick auf (muslimische) Religionsgemeinschaften formuliert worden sind, erfüllt werden. So sollten zum einen die Bundesländer jeweils einen gemeinsamen Ansprechpartner für die Belange der Muslime in ihrem Land haben, zum anderen sollten die muslimischen Gemeinschaften weiter zusammenwachsen und bei gemeinsamen Fragestellungen auch gemeinsam handeln.

Notwendigkeit der Kooperation
Die Zusammenarbeit der bis dahin eher isoliert voneinander agierenden Gemeinschaften erwies sich insbesondere in den Bereichen als notwendig, die gemeinhin unter dem Begriff der „res mixta” zusammengefasst werden. Der Aspekt der Zusammenarbeit und der Kooperation mit dem Staat in diesen Bereichen führte auf muslimischer Seite zu einer weitaus größeren Begründungs- und Darlegungsanforderung hinsichtlich der eigenen Positionen, Strukturen und Inhalte, als es für die bisher eher nach innen fokussierte Arbeit der Gemeinschaften notwendig gewesen war. Vieles bisher Selbstverständliche musste nun einem Partner verständlich oder zumindest nachvollziehbar gemacht werden, der bisher im Bereich der „res mixta” kaum mit muslimischen Gemeinden zu tun gehabt hatte und weitgehend aus den Erfahrungen mit den Kirchen vorgeprägt war.

Während der Staat, hier insbesondere in Form der Kultusbehörden in den Ländern, zumindest auf einen etablierten und funktionierenden Behördenapparat zurückgreifen konnte, mussten die muslimischen Gemeinschaften die notwendigen Strukturen, aber auch die Inhalte, erst noch aufbauen. Ein Unterfangen, das sich als schwierig herausstellte. Aufgrund der jeweils eigenen geringen Ressourcen und der unterschiedlich schwachen Infrastruktur erwies sich eine innermuslimische Kooperation immer wieder als alternativlos.

Bereiche der Kooperation
Inhaltlich bestehen keine Bekenntnisunterschiede zwischen den sunnitischen Gemeinschaften, die einen nach Verbandszugehörigkeit getrennten Unterricht erfordern würden. Auf der Grundschulebene können sich sogar sunnitische und schiitische Gemeinschaften auf ein Kerncurriculum einigen, wie die Entwicklungen um die Einführung eines islamischen Kerncurriculums in Niedersachsen gezeigt haben.

Damit dennoch ein getrennter Unterricht eingeführt werden könnte, wird die Schulverwaltung den Nachweis einer inhaltlichen Unterscheidbarkeit zwischen den antragstellenden Gemeinschaften auf der Bekenntnisebene einfordern. Unterschiede in der Pädagogik oder Didaktik wären keine ausreichenden Gründe.

Die muslimische Community in Deutschland hat einen Bedarf an theologischen Bildungsstätten, die die grundlegende Wissenstradition des Islams aufgreifen und weiterentwickeln. Neben dem Betrieb von eigenen Einrichtungen bietet sich dazu in Deutschland auch die Einrichtung von theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten an – eine Möglichkeit, die mittlerweile bereits zur Realität geworden ist.

Gerade die Einrichtung von theologischen Lehrstühlen an den staatlichen Universitäten erfordert eine Zusammenarbeit zwischen den Gemeinschaften. Weder gibt es zahlenmäßig ausreichend qualifiziertes Lehrpersonal, damit jede Gemeinschaft „eigene“ universitäre Fakultäten einrichten kann, noch könnte theologisch nachvollziehbar begründet werden, welche inhaltlichen Unterschiede zwischen den jeweils „eigenen“ bekenntnisgleichen Einrichtungen bestehen sollen.

Friedhöfe
Während in den letzten 20 Jahren die Einrichtung von muslimischen Grabfeldern in bestehenden kommunalen Friedhöfen den Bedarf an Begräbnisstätten für Muslime noch decken konnte, stellt sich heute immer häufiger die Frage nach einem eigenen Friedhof für Muslime.

Theologisch ist es dabei nicht begründbar, dass es für jede muslimische Gemeinschaft einen eigenen Friedhof geben muss. So ist es keine Seltenheit, dass Mitglieder einer Familie jeweils unterschiedliche Gemeinden besuchen. Dabei spielen jedoch die persönlichen Präferenzen und Vorlieben des jeweiligen Familienmitglieds eine Rolle, nicht eine tiefergehende theologische Positionierung oder Unterscheidung.

Wohlfahrtseinrichtungen
Einer Trennung nach Verbandszugehörigkeit würde es auch in fast allen Wohlfahrtseinrichtungen an Sinnhaftigkeit fehlen. In Bereichen wie in Kindergärten oder in Altenheimen wird die jeweilige Verbandszugehörigkeit kaum Auswirkungen auf die inhaltliche Ausrichtung der Einrichtung haben. Vielmehr werden sich mögliche unterschiedliche Konzepte nicht in theologischen Aspekten unterscheiden, sondern eher hinsichtlich des Profils oder der angebotenen Dienstleistungspalette.

Sinnvoller erscheint es für die muslimischen Gemeinschaften, gemeinsame Kriterien und Mindeststandards zu formulieren und deren Einhaltung zu gewährleisten. Dabei wird die Unterscheidung eher über das jeweilige Profil und die Angebote an die Kunden der jeweiligen Einrichtungen geschehen, nicht unbedingt über die Verbandszugehörigkeit. Die Etablierung eines gemeinsamen muslimischen Wohlfahrtsverbands wird dazu der richtige Weg sein.

Feiertage und Gebetszeiten
Die Frage der Feiertage und Gebetszeiten ist an sich eine innerislamische Fragestellung. Aber zumindest hinsichtlich möglicher Schul- und Arbeitsbe­freiungen hat sie auch eine öffentliche Relevanz.

Noch immer führen unterschiedliche Berechnungsmethoden dazu, dass Muslime in Deutschland ihre wichtigsten Feiertage an unterschiedlichen Tagen begehen. Mit der Gründung des Koordinationsrats der Muslime in Deutschland trat bereits zumindest für die Mitgliedsgemeinden des KRM eine Vereinheitlichung ein. Eine allgemeine Einigung konnte bisher jedoch noch immer nicht erreicht werden. Ein Mehr an Kooperation zwischen den muslimischen Gemeinschaften würde das gemeinsame Feiern und das gemeinsame Beten erleichtern.

Dieser Text ist die gekürzte Variante eines mehrteiligen Essays.