Fünf Konsequenzen aus dem Amri-Ausschuss

Foto: Andreas Troika, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY 2.0

Zwölf Menschen sterben bei dem Anschlag, den ein Islamist im Dezember 2016 in Berlin verübt. Für ihre Angehörigen und für die Verletzten, die zum Teil bis heute unter den Folgen leiden, war wichtig, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Doch ein paar Puzzleteile fehlen noch.

Berlin (dpa). Mehr als drei Jahre lang hat im Bundestag ein Untersuchungsausschuss sprichwörtlich jeden Stein umgedreht. Sein Auftrag: Herausfinden, warum der schlimmste islamistische Terroranschlag auf deutschem Boden nicht verhindert wurde. Obwohl der spätere Attentäter – ein abgelehnter Asylbewerber aus Tunesien – den Sicherheitsbehörden schon als gewaltbereiter religiöser Fanatiker bekannt war, wurde er weder engmaschig überwacht noch abgeschoben. Am 19. Dezember 2016 erschoss er einen polnischen Lastwagenfahrer, rast mit dessen Fahrzeug über den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz und tötet dort elf weitere Menschen. Jetzt übergibt der Ausschuss einen Abschlussbericht an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble.

Was hat der Ausschuss bewirkt?

Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Torsten Renz (CDU) hat im vergangenen Januar den langjährigen Leiter des Landesverfassungsschutzes, Reinhard Müller, in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Eine Kommission erhielt den Auftrag, Strukturen und Abläufe im Nachrichtendienst des Landes zu untersuchen. Der Anlass für diesen Neustart: Der Untersuchungsausschuss des Bundestags hatte herausgefunden, dass nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz ein potenziell wichtiger Hinweis eines Informanten des Verfassungsschutzes von Mecklenburg-Vorpommern zu möglichen Komplizen nicht an die Ermittler weitergegeben wurde – weil der Leiter der Abteilung dagegen war. Außerdem förderte der Untersuchungsausschuss Informationen zu fragwürdigen Waffen-Testkäufen durch die Verfassungsschützer zutage.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat einen neuen Ausweis für Asylbewerber eingeführt. Das Bundesinnenministerium sorgte dafür, dass die Ausländerbehörden und andere staatliche Stellen besser Informationen zu einzelnen Ausländern austauschen können. Zuvor hatte der Ausschuss des Bundestages festgestellt, dass nicht nur Anis Amri mit mehreren falschen Identitäten in Deutschland unterwegs war. Auch andere Islamisten aus seinem Umfeld – darunter sein Landsmann Bilal ben Ammar – hatten sich etliche Aliasnamen zugelegt.

Die Protokolle der Sitzung des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums von Bund und Ländern (GTAZ) sind heute etwas ausführlicher als vor dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz. Im Ausschuss hatte sich herausgestellt, dass über Amri, der Sympathien für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hegte, zwar 13 Mal im GTAZ gesprochen worden war. Aus den Unterlagen ging aber beispielsweise nicht genau hervor, warum man sich so viel Zeit damit ließ, Hinweisen aus Marokko nachzugehen, dass Amri gewaltbereit und gefährlich sei. Auch eine wohl mündlich vorgetragene Bitte aus dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, das Bundeskriminalamt möge den komplexen Fall doch bitte übernehmen, findet sich in keinem Protokoll.

Bei der GTAZ-Arbeitsgruppe „Status“ wurden Veränderungen vorgenommen. Damit die verschiedenen Behörden gemeinsam die Abschiebung von ausländischen Islamisten vorantreiben, denen die Polizei einen Terroranschlag zutraut.

Mit der Entwicklung des neuen Instruments Radar-ITE, das der Polizei bei der Einschätzung sogenannter „islamistischer“ Gefährder helfen soll, war schon vor dem Anschlag begonnen worden. Die Erkenntnisse des Ausschusses haben jedoch dazu beigetragen, dass die Beamten jetzt nicht mehr vorrangig auf Sachverhalte schauen, sondern auch auf die Persönlichkeit des jeweiligen Islamisten, seine Kontakte und auf seine aktuelle Lebenssituation.

Beispielsweise hatte ein Informant vor dem Anschlag gewarnt, Amri wolle mit anderen Einbrüche begehen, um Geld für Waffenkäufe zu beschaffen. Diese Waffen sollten dann für Terroranschläge genutzt werden. Dieses Szenario hielt das Bundeskriminalamt für unwahrscheinlich. Was dabei übersehen wurde: Amri war dennoch hochgefährlich. Er pflegte Kontakt zu einigen der gefährlichsten Islamisten Deutschlands. Er verherrlichte den IS-Terror. Und er hatte wenig zu verlieren: Aussicht auf eine Aufenthaltserlaubnis, ein bürgerliches Leben mit Job und Familie, hatte er nicht. Nach Tunesien wäre er mit leeren Händen zurückgekehrt.

Der Untersuchungsausschuss hat eklatante Missstände in der Staatsschutz-Abteilung der Berliner Polizei ans Licht gebracht. Es fehlte an Personal und an Expertise. Anstatt Amri zu observieren, wie es das Landeskriminalamt von NRW dringend angeraten hatte, sprachen Beamte den Tunesier an, als er am Busbahnhof in Berlin ankam. Später zeigten sie in einer Flüchtlingsunterkunft Bilder von ihm herum. Amri wusste also, dass man ihn im Blick hatte. Er verhielt sich deshalb vorsichtiger, auch in seiner Kommunikation mit Gleichgesinnten. Das Berliner Landeskriminalamt hat seit Januar 2020 eine eigene Abteilung „Islamistischer Extremismus und Terrorismus“.