Hass auf alles Türkische: Terrorprozess um Anschläge von Waldkraiburg

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Kaputte Scheiben, ein Feuer mit Verletzten – Anschläge auf türkische Läden schreckten vor knapp einem Jahr im oberbayerischen Waldkraiburg auf. Der mutmaßliche Täter sah sich als Kämpfer des IS und plante laut Ermittlern Anschläge mit Toten. Nun beginnt der Prozess. Von Sabine Dobel und Britta Schultejans

Waldkraiburg (dpa). Kiloweise Sprengstoff, fast zwei Dutzend Rohrbomben und eine Pistole: Hätte der mutmaßliche Attentäter von Waldkraiburg all das zum Einsatz gebracht, wären womöglich viele Menschen gestorben. Der Mann, der sich selbst als Anhänger der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) bezeichnete, plante Ermittlern zufolge unter anderem Anschläge auf türkische Einrichtungen und Moscheen – und wollte Imame erschießen. Am Dienstag (2. März) beginnt der Prozess gegen ihn vor dem vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München.

Die Bundesanwaltschaft wirft dem Deutschen kurdischer Abstammung versuchten Mord in 31 Fällen, schwere Brandstiftung und Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vor. Für den Prozess sind 43 Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil könnte im August fallen.

Im Mai vergangenen Jahres war der damals 25-Jährige nach einer mysteriösen Anschlagsserie gefasst worden. In der multikulturell geprägten Stadt Waldkraiburg, eine knappe Autostunde östlich von München, waren im April und Mai 2020 in mehreren Nächten Läden und Restaurants türkischstämmiger Inhaber mit einer übelriechenden Flüssigkeit attackiert worden, ein Laden brannte aus.

Die Festnahme des Mannes am 8. Mai 2020 könnte weitere Taten verhindert haben. Als die Polizei zugriff, hatte er Rohrbomben und kiloweise Sprengstoff dabei.

Schon 2017 soll der Angeklagte gut 45 Kilogramm Sprengstoff und 23 nahezu gebrauchsfertige Rohrbomben hergestellt und in einem Auto aufbewahrt haben. Die Chemikalien – rund 140 Kilogramm – soll er über den Versand bestellt und seinem Arbeitgeber gestohlen haben. Material für Hüllen und Splitterladungen der Bomben kaufte er in Baumärkten.

Dem Vernehmen nach räumte er selbst ein, dass er zwischen 15. und 17. Mai mehrere Moscheen des Islamverbandes Ditib angreifen wollte. Dann wollte er das türkische Generalkonsulat in München und die Ditib-Zentralmoschee in Köln ins Visier nehmen. Bei den Anschlägen auf die Moscheen wollte er die jeweiligen Imame erschießen. Der junge Mann habe sich gegenüber den Ermittlern freimütig geäußert, hieß es.

Die tatsächlichen Anschläge gingen demgegenüber fast glimpflich aus. Der Laden eines türkischen Gemüsehändlers ging in Flammen auf. Bei dieser schlimmsten Attacke in der Nacht zum 27. April wurden vier Bewohner des Hauses durch Rauchgas verletzt. Nur weil Bewohner den Brand bemerkten, gab es laut Bundesanwaltschaft keine Toten.

Am 6. Mai flogen zwei kiloschwere Steine in die Scheiben eines Imbisses. Der Inhaber fand später einen Zehn-Kilo-Eimer, in dem stinkende Brühe transportiert worden war. Der Imbissbetreiber, selbst Muslim, wunderte sich damals: „Es ist Ramadan, das sind Friedenszeiten.“ Gerade dann Gewalt durch einen muslimischen Bruder? „Das kommt mir komisch vor.“

Extremismusexperten sahen in den Anschlägen eine neue Zielrichtung: Erstmals seien habe ein mutmaßlicher Anhänger der Terrormiliz IS türkische Ziele in Europa ins Visier genommen. Hintergrund könne die schärfere Gangart der türkischen Regierung gegen den IS sein.

Laut Bundesanwaltschaft hatte der Mann seit 2017 einen Prozess der religiösen Radikalisierung durchlaufen; er wurde Anhänger eines islamistischen Weltbildes sowie des IS. Die Ermittlungen bestätigten, dass er im Zusammenhang mit dem Vorgehen des türkischen Staates im Syrienkonflikt und dessen Umgang mit bestimmten Predigern in der Türkei einen nachhaltigen Hass auf den türkischen Staat und Menschen türkischer Abstammung entwickelte.

Nach dem Scheitern seiner 2018 nach islamischen Ritus geschlossenen Ehe habe er nach Syrien ausreisen und sich dort dem IS anschließen wollen. Da er damit nicht vorankam, habe er die Vorbereitungen für seine Anschlagspläne in Deutschland vorangetrieben.

Bei Muslimen und türkischstämmigen Bürgern in Waldkraiburg hatten die Anschläge große Sorge ausgelöst. Der Erste Bürgermeister, Robert Pötzsch, sagte im Februar, er hoffe auf ein Urteil, das zeige, „dass solche Taten keinen Platz in unserer Gesellschaft haben“. Die Taten hätten aber das Klima in der Stadt mit gut 25 000 Einwohnern aus rund 100 Nationen nicht beeinträchtigt.