Hintergrund: Tausende Afrikaner zieht es jede Woche vom Niger aus nach Europa. Ein Bericht von Katrin Gänsler

Ausgabe 243

Grenzzäune und Stacheldraht halten junge Westafrikaner nicht davon ab, ihr Heil in Europa zu suchen. Für viele ist die lebensgefährliche Reise die letzte Hoffnung.

Agadez (KNA). Das Stadtzentrum von Agadez, der größten Stadt im Norden des Niger, wirkt in der Mittagshitze wie verlassen. Die kleinen Restaurants und die wenigen Souvenirläden sind leer. Niemand würdigt die historische Lehmmoschee – sie wurde ursprünglich 1515 errichtet und gilt als eines der bedeutendsten Bauwerke in der Sahelzone – auch nur eines Blickes. Früher war die Altstadt, die seit 2013 auf der Weltkulturerbe-Liste der Unesco steht, ein Touristenmagnet.

„Leider hat sich das geändert“, klagt Oumarou El Hadji Ibrahim Oumarou Ed Dasuki. Er ist seit 2012 Sultan von Agadez und damit Autoritätsperson, Mahner und Streitschlichter zugleich. Wegen zahlreicher Entführungen durch Terroristen der AQMI (Al-Kaida im islamischen Maghreb) kommen kaum noch Touristen. „Dabei ist es wieder viel friedlicher hier“, so wirbt der Sultan für seine Heimatstadt.

Trotzdem ist Agadez ein begehrtes Reiseziel. Die Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern war über Jahrhunderte wichtiges Handelszentrum, eine „Kreuzung“, wie der Sultan es nennt. Hier kamen Karawanen an und brachten Salz. Heute bringen die großen Überlandbusse aus der Hauptstadt Niamey wöchentlich Tausende Migranten, die sich auf die gefährliche Reise nach Libyen, Algerien und Europa machen.

Meist sind es junge, hagere Männer, die versuchen, unsichtbar zu bleiben. Viele stammen aus den Mitgliedstaaten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS. Allerdings haben sie nur zerknitterte Papierchen als Ausweise und nicht den notwendigen ECOWAS-Reisepass. Der Niger hat jüngst seine Gesetze gegen Menschenschmuggel drastisch verschärft. Nun drohen jahrzehntelange Haftstrafen. Wenn die Migranten nachts vor dem Stadttor von Agadez aus den Bussen steigen, bringen ihnen die Mittelsmänner das bei, die sie in ihre Quartiere, die Ghettos, bringen. Ebenso wie die Vermieter der Unterkünfte profitieren sie von den Migrantenströmen.

Auch Ibrahim will kein Aufsehen erregen. Der 23-Jährige aus Gambia hat zwei Wochen bis nach Agadez gebraucht und wirkt nach seiner Ankunft ängstlich. Wenn alles gut läuft und seine Eltern ihm Geld für die Weiterreise schicken, kann er sich schon in wenigen Tagen auf den Weg durch die Sahara machen. Trotzdem bleibt er vorsichtig und blickt sich auch in der katholischen Mission, in der viele Männer wie er um Hilfe bitten, misstrauisch um. Seinen richtigen Namen nennt er lieber nicht.

Ob er tatsächlich bis nach Europa wolle, wisse er noch nicht. „Dorthin, wo es Arbeit gibt“, sagt er vage. Bis zum Sturz des Gaddafi-Regimes suchten viele Migranten Arbeit in Libyen. Doch seitdem das nordafrikanische Land zusehends im Chaos versinkt, ist es für immer mehr Menschen nur noch Durchgangsstation. Deshalb schließt auch Ibrahim die Reise über das Mittelmeer bis nach Europa nicht aus.

„Vielleicht gehe ich ja doch nach Deutschland“, sagt er, lächelt schief und bewegt dabei nervös seine Finger. Was er dort machen werde, sei ihm relativ egal. „Ich will mehr verdienen als in Gambia. Geld nach Hause schicken, sparen, später eine Frau und Kinder haben.“ In seiner Heimat habe er in einem Hotel gearbeitet – doch ohne Chancen auf Verbesserung. „Die Jungen verdienen nicht genug. 100 oder 150 US-Dollar reichen doch nicht zum Leben“, sagt er und schüttelt den Kopf.

Deshalb hätten er und seine Familie alles zusammengekratzt. Schon jetzt habe die Reise umgerechnet mehrere hundert Euro gekostet. Allein für die Busfahrkarte von Niamey nach Agadez habe er umgerechnet knapp 31 Euro bezahlt. An jedem Polizeiposten habe er Geld berappen müssen. Ein Platz in den überladenen Pick-ups, die immer in der Nacht zum Dienstag abfahren, koste weitere 230 Euro. Damit wäre er an der Grenze zu Libyen.

Dass die Fahrt durch die Sahara und die Weiterreise über das Mittelmeer riskant, vielleicht sogar tödlich ist, weiß Ibrahim. Über gesunkene Boote im Mittelmeer und Skelette in der Sahara wird in Afrika genauso berichtet wie in Europa. Doch das schrecke ihn nicht ab, ebenso wenig wie Ankündigungen einzelner Staaten, Grenzzäune zu errichten. „Ich sterbe lieber auf dem Weg nach Europa, als in meiner Heimat auf den Tod zu warten“, sagt er und versucht, ein bisschen verwegen zu lächeln.

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