Hintergrund: Wie man traumatisierte Flüchtlinge unterstützen kann. Ein Bericht von Leticia Witte

Albträume, Schlafstörungen, Suizidgedanken: Es gibt einiges, was traumatisierten Flüchtlingen zu schaffen macht. Helfer können sie in vielfältiger Form unterstützen. Manchmal wird aus einem Flüchtling selbst ein Helfer.

Bonn (KNA). Zunehmend beklagen Hilfsorganisationen und Fachverbände fehlende therapeutische Hilfen für traumatisierte Flüchtlinge. Die Rede ist von posttraumatischen Belastungsstörungen nach den oftmals schrecklichen Ereignissen während der Flucht. Die betroffenen Männer, Frauen und Kinder sind nur knapp dem Tod entronnen, haben Not und Misshandlungen durchlitten. Ganz zu schweigen von dem, was sie vor ihrer Flucht in ihren krisengeschüttelten Heimatländern erlebt haben.

Wie sollen aber diejenigen damit umgehen, die Schutzsuchenden helfen – mit Patenschaften, als neue WG-Mitbewohner oder Vormünder? Oder ist das im Alltag gar kein Problem?

Der Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charite, Malek Bajbouj, empfiehlt, „sich auf den gesunden Menschenverstand zu verlassen“, mitfühlend zu sein, irgendwo anzufangen zu helfen. Bei Auffälligkeiten solle ein Helfer lieber einmal zu viel nachfragen und dafür sorgen, dass ein Flüchtling medizinische Hilfe bekomme. „Ein Trauma haben viele, sie haben Traumatisches erlebt“, sagt Bajbouj, der an der Charite eine Spezialsprechstunde für arabischsprachige Migranten leitet. Etwa ein Drittel der Flüchtlinge, die traumatisiert sind, trage Folgekrankheiten davon.

Kürzlich hatte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Jörg Fegert, auf eine verstärkte Forschung zur Traumatisierung vor allem junger Flüchtlinge gedrungen. Es müsse damit gerechnet werden, dass zwischen 30 und 60 Prozent der männlichen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge unter einer posttraumatischen Belastungsstörung litten. Bei den Mädchen seien es bis zu 70 Prozent.

Bei einer Umfrage unter Kliniken habe er erfahren, dass nahezu in jeder Einrichtung zwei bis drei jugendliche Flüchtlinge behandelt würden, die hochgradig suizidgefährdet seien, so Fegert. Wichtig sei, dass möglichst schnell nach der Aufnahme in Deutschland erfasst werde, ob die Menschen traumatisiert seien.

Auch wenn viele Experten über einen Mangel an therapeutischer Hilfe für Flüchtlinge klagen, gibt es schon Unterstützungsangebote – auch kirchliche: So unterhält etwa der Caritasverband für die Stadt Köln ein Therapiezentrum für Folteropfer und Flüchtlingsberatung, im rheinland-pfälzischen Mayen gibt es eine psychosoziale Beratung und Versorgung von Flüchtlingen im ländlichen Raum, ebenfalls eine Caritas-Einrichtung.

Bajbouj sagt, dass bei vielen Flüchtlingen eine Erkrankung oder gar eine mögliche Psychotherapie zunächst nicht im Vordergrund stünden. „Da schalten viele Menschen in einen Überlebensmodus.“ Sobald sie aber einen „sicheren Hafen“ erreicht hätten, könne es zu Alpträumen, Nervosität, Schlafstörungen oder Suizidgedanken kommen. Psychische Erkrankungen seien hierzulande oft stigmatisiert – im Mittleren Osten aber erst recht.

Ohnehin gebe es zu wenige Traumatherapeuten, sagt Bajbouj. Das werde nun angesichts der Flüchtlinge noch sichtbarer. Irgendwo müsse man ansetzen, um zu helfen. An der Charite zum Beispiel hätten sich etwa 30 Psychiater beziehungsweise Therapeuten gemeldet, die ihre Dienste anböten.

Auf schlimme Erlebnisse reagieren Menschen unterschiedlich, manche überstehen sie ohne anhaltende Beeinträchtigungen – und werden produktiv. Etwa Aminu Munkaila aus Ghana, der drei Mal vergeblich versucht hat, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Er geriet nach eigenen Angaben in Seenot, davor hatte er monatelang auf verschiedene Art und Weise versucht, Geld für die weiteren Etappen seiner Flucht zu verdienen, auch in der libyschen Wüste.

Vom Flüchtling zum Helfer: In Ghana hat Munkaila schließlich eine Hilfsorganisation aufgebaut, „African Development Organisation for Migration“. Sie will potenziellen Flüchtlingen eine Alternative und Hoffnung in der Heimat bieten, etwa in der Landwirtschaft. Munkaila sagt, er habe sich damals selbst als Opfer gesehen, heute trage er Verantwortung. „Ich bin mehr als glücklich.“ Er sei mit seinem Engagement heute in der Lage, „sehr, sehr viele Leben“ zu retten.

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