Hilfsorganisationen schlagen Alarm für den Sahel: In den kommenden Monaten könnten dort 40 Millionen Menschen Hunger leiden. Aufgrund der Gewalt und sinkender Finanzierung lassen sich diese aber immer schwerer erreichen. Von Katrin Gänsler
Cotonou/Ouagadougou (KNA/iz). Die schwere Krise in den Sahelstaaten verschärft sich weiter und wird dennoch viel zu wenig beachtet. So lautet das Fazit des Anfang Juni veröffentlichten Rankings zu den am meisten vernachlässigten Flüchtlingskrisen der Welt, das der Norwegische Flüchtlingsrat (NRC) jährlich erstellt. Burkina Faso, wo mehr als 1,8 Millionen Menschen im eigenen Land auf der Flucht sind, liegt mittlerweile auf Platz zwei, Tschad auf Platz fünf und Mali auf Platz sechs. Während in den ersten drei Monaten des Ukraine-Kriegs täglich rund 85.000 Artikel auf Englisch veröffentlicht wurden, waren es im ganzen Jahr 2021 nur 27.000 zur Flüchtlingskrise in Burkina Faso.
Hauptauslöser war vor mehr als zehn Jahren der Konflikt im Norden Malis, als Teile der Tuareg-Bevölkerung – sie hatte schon Jahrzehnte zuvor kritisiert, marginalisiert zu werden – gegen den Staat rebellierten. Extremistische Gruppierungen konnten sich ungehindert ausbreiten. In den folgenden Jahren sollten die Anti-Terrorismus-Mission der französischen Armee, die Stabilisierungsmission für den Norden Malis der Vereinten Nationen (Minusma), ein Friedensabkommen und zwei Präsidentenwahlen Stabilität und Frieden bringen; doch das Gegenteil ist der Fall.
Seit 2020 hat es zwei Putsche gegeben. Selbsternannter Präsident ist mittlerweile General Assimi Goita. ACLED, eine nichtstaatliche Organisation in den USA, die Daten zu Konflikten weltweit erhebt, spricht von „eskalierenden Unruhen“. Organisierte politische Gewalt habe von 2020 auf 2021 zugenommen. Als besorgniserregend gilt zudem die Präsenz der Söldner der russischen Wagner-Gruppe. Ihnen wird vorgeworfen, an dem schweren Massaker in Moura in Zentralmali beteiligt gewesen zu sein. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht von mehr als 300 Toten.
Vor allem die der Al-Qaida nahestehende Gruppe für die Unterstützung des Islam und der Muslime (JNIM) hat sich längst nach Burkina Faso ausgebreitet. Zunehmend betroffen ist Niger. Nach Informationen nigrischer Medien starben seit 2013 mehr als 1.200 Menschen durch Terroranschläge, wie Verteidigungsminister Alkassoum Indatou Ende Mai sagte.
Niger gilt in der Region noch als stabiles Land, in dem Mohamed Bazoum im vergangenen Jahr zum Präsidenten gewählt wurde. Dagegen ist in Burkina Faso seit Ende Januar ebenfalls das Militär an der Macht. Die katastrophale Sicherheitslage hatte den Putsch begünstigt. Junta-Chef und Übergangspräsident Paul-Henri Sandaogo Damiba plante, die Armee umzustrukturieren und besser auszustatten. Ende Mai kam es jedoch erneut zu einem schweren Anschlag im Osten des Landes mit mehr als 50 Toten.
Die Unsicherheit weiter verschärfen könnte nun eine Hungerkrise. Die Hilfsorganisation International Rescue Committee (IRC) spricht von einem Rekordniveau. Zwischen 2015 und 2022 habe sich die Zahl derer, die Nahrungsmittelnothilfe benötigen, von 7 auf mehr als 30 Millionen erhöht. Schätzungen gehen davon aus, dass im Juni bis zu 40 Millionen Menschen Hunger leiden könnten. So dramatisch ist die Entwicklung zuletzt vor zehn Jahren gewesen. Gleichzeitig mangelt es an einer Finanzierung. Das Welternährungsprogramm WFP der Vereinten Nationen kündigte bereits im Mai an, Lebensmittelrationen für Binnenvertriebene und Geflüchtete zu kürzen. Als problematisch gilt auch, dass Regionen kaum zugänglich sind. Aufgrund der Gewalt können etwa in Burkina Faso Bedürftige nur schwer erreicht werden.
Durch den Ukraine-Krieg steigen in der Region, die von Weizenimporten abhängig ist, die Lebensmittelpreise. Gleichzeitig ist der Klimawandel besonders stark spürbar. Regenfälle lassen sich immer schlechter prognostizieren, bleiben aus, oder Starkregen überschwemmt die Felder. Doch auch die bleiben häufig brach liegen. Gerade außerhalb der Städte ist die Bevölkerung kaum vor Überfällen und Angriffen geschützt. Farmer trauen sich zunehmend nicht mehr, ihre Äcker zu bestellen.