Kommentar: Sulaiman Wilms zu den negativen Folgen von Ethnopolitik unter islamischen Vorzeichen

Ausgabe 228

(iz). Vorausgeschickt sei, dass man als Nachkriegsdeutscher den historisch unschätzbaren Vorteil hat, dass die zwei bis drei vorangegangenen Generationen bereits an den Experimenten „Nationalismus“ und „Ideologie“ gescheitert sind. Das führte in meiner Generation mehrheitlich zu Gelassenheit bei ethnischen Emotionen. Und unsere Minderheitenrolle innerhalb muslimischer Gemeinschaften hat zumindest den Vorteil, dass wir viel besser geeignet sind, ihre disparaten Elemente zusammenzuhalten.

Von meinem Lehrer habe ich gelernt, dass man in spirituellen, gemeinschaftlichen und materiellen Dingen bereits im Kleinen eingreifen muss, bevor Schlimmeres geschieht. Das heißt, wer am Ende nicht auch einmal bereit ist, jemandem einen Kaffee zu servieren oder die sprichwörtliche Ausnahme zu machen, wird für große Dinge schwerlich zu gebrauchen sein.

Immer häufiger wird klar, dass sich Teilsegmente der (ansonsten viel größeren) muslimischen ­Gemeinschaft in Deutschland seit geraumer Zeit einer Neuorientierung auf die eigene Ethnie hin unterworfen haben. Bestätigt wurde das zumindest für uns in mehreren Dutzend Gesprächen mit Beobachtern und Mitgliedern unterschiedlicher Gemeinden und Strukturen. Hierbei handelt es sich nicht um abstrakte Phänomene für Sozialwissenschaft, sondern es führt zu wahrnehmbaren Folgen unter Muslimen.

Was am Anfang noch als verständliche Reaktion auf die NSU-Morde sowie deren skandalöse Aufarbeitung und die (eher banale, weil erbrechtliche) Frage des Doppelpasses erschien, zieht langsam weitere Kreise. Hinzu kommt, dass sich der Türkei-interne Machtkampf – der quasi Showdown zwischen AKPlern und Gülenistas – erkennbar ins heimische Almaniya verlängerte. So hat die seit Jahrzehnten gewohnte und wichtige spirituelle Einheit unter türkischstämmigen Muslimen erhebliche Risse bekommen. Geraden eben trafen – beim Kölner Massenspektakel – zehntausende aufgeladene „Türken“ (so oft das Eigen- wie das Fremdbild) in potenziell gefährlicher Energie gegeneinander. So weit, so schlecht. Das findet sich auch in der Tagespresse.

Als viel weitreichender könnten sich die tektonischen Verschiebungen erweisen, die sich noch ganz langsam, kaum spürbar hier Bahn brechen: Das Umschalten von der Landes- in die Muttersprache in sozialen Netzwerken wäre zu nennen, wenn es um herausfordernde Themen geht, welche die eigene Identität in Frage stellen. Auch das Fortbestehen von Heiratsmigration geht eigentlich gegen die Sunna, die Leute des Landes zu heiraten.

Immer öfter begegnet mir auch die erklärte Unterscheidung in „wir“ (sprich: meine eigene Gruppe) und „ihr“ (der doofe Rest). Auch, was vor Kurzem noch einem kleinen Kreis an Rassisten und Muslimfeinden vorbehalten war, macht sich jetzt auch auf der Gegenseite (wie beim Autor M. Esmer) Luft: Aggression, Verzerrung und schlicht hanebüchener Unsinn. Dazu gehört auch der inflationäre Nazivergleich.

Richtig gefährlich wird ein solches, eher stilles Ressentiment, sollte es in massiver Ablehnung der Bevölkerung („sind alles nur Rassisten“ oder „Islamfeinde“, „haben uns ausgebeutet“, et cetera) und schließlich in die de facto Vorstellung münden, man gehöre qua seiner Zugehörigkeit zu einem etwas amorphen Volkskörper schon einer besseren Sorte Mensch an. Es ist diese Stam­mesarroganz, die eigentlich mit dem Propheten abgeschafft wurde.

Ich würde nicht zu behaupten wagen, dass wir an diesem Punkt angelangt wären, aber es sind kleine Anzeichen zu sehen, die auf einen Verfall von Denkregeln und Kommunikationsformen auch unter Muslimen hindeuten. Jeder, der meint, er könnte ethnische Sonderrollen beziehungsweise Überheblichkeiten in einem islamischen Zusammenhang behaupten, sollte zumindest gefragt werden, was seine Quellen und wer seine Lehrer sind.

Da aber Nörgeln auf Dauer unbefriedigend ist, sei an etwas erinnert, das vielleicht Abhilfe schaffen könnte. Zuerst einmal sollte der Muslim von Dankbarkeit gegen seinen Schöpfer und Seine Schöpfung geprägt sein. Und es wäre zudem hilfreich, wenn Herr Özkan seine Hatice einem Müller oder einem Alaoui zur Braut geben würde oder der nächste IGMG-Chef Schulze hieße.