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Muslimisches Leben in Deutschland?

Ausgabe 315

Foto: Erdal Aslan

(iz). Der im Frühjahr 2021 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgelegte Forschungsbericht „Muslimisches Leben in Deutschland“ ist eine Pflichtlektüre für engagierte Muslime … vor allem, wenn sie in den Moscheen oder Madrassen tätig sind. Leider ist der Text so anspruchsvoll Deutsch verfasst, dass selbst gut vorgebildete Leser zeitweise Probleme haben werden. Dennoch sollten Engagierte sich die Mühe machen, diesen Bericht durchzuarbeiten.

Er ist das Beste, was ich bisher gelesen habe. Und ich bin als deutscher Muslim seit den 1970er Jahren engagiert, hier Muslime heimisch werden zu lassen. Daher sollte niemand die nachfolgenden Bemerkungen als die im hiesigen Diskurs übliche negative Kritik auffassen.

Die Vielfalt des „religiösen“ Lebens ist nicht nur groß, sondern auch derartig unterschiedlich, dass manche Muslime bestimmte Gebetsstätten nur zum Gebet betreten, um nach dessen Ende sofort zu gehen. Sie tragen auch nichts zum Unterhalt des Gebäudes bei, in dem eine Madrassa liegt. Die meisten Moscheen werden deswegen von nur wenigen unterhalten, was die Mehrheit der Gläubigen für selbstverständlich hält.

Die seit Jahren diskret wachsende Minderheit der deutschstämmigen Muslime profitiert davon. Pauschal werden sie als „Konvertiten“ bezeichnet. Leider werden sie im Bericht nicht erwähnt. Das gleiche gilt für die zahlreichen anderen Muslime wie den westafrikanischen Muslimen beziehungsweise den russischen. Sie gehören zum muslimischen Leben ebenso wie die Tariqats, von denen sich manche Verbände distanzieren. Einige der mystisch orientierten Gruppen haben nicht einmal den in Deutschland für Vereine üblichen Status.

Frauen, die sich einer Tariqa anschließen, tragen ihr Kopftuch fast nur dort. Sie beteiligen sich auch nicht am deutschen Diskurs, der für manche Muslime merkwürdig ist, denn es ist nicht das einzige körperliche Phänomen, das Muslime beachten. Hierzu gehört die Pflicht zur Reinigung, die Außenstehende als Wascherei abtun, und die Beschneidung der Jungen. Die Bereitstellung von Beschneidung ist eine der diskreten Dienstleistungen der vielen Verbände und muslimischer Ärzte, ohne die ein muslimisches Leben auf Dauer nicht bestände. 

Die Studie macht deutlich, dass rund 40 Prozent der muslimischen Minderheit die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ohne auf die Konsequenzen einzugehen. So können Muslime Beamte werden, Lehrer, Polizisten oder Soldaten. So gehörten muslimische Soldaten zum Kontingent  in Bosnien und Afghanistan. Seit Jahren bemühen sich die Verbände um einen Bundeswehr-Imam, der die Seelsorge in der Truppe übernehmen kann.

Im Laufe der Jahre stehen Muslime nicht nur in den Reihen der Mannschaften, sondern dienen ebenen so als Unteroffiziere und Offiziere. An den Standorten, wo viele Muslime stationiert sind, hat sich die Küche auf diese Kameraden eingestellt. Dadurch erhielt die Integration eine Selbstverständlichkeit, die im bürgerlichen Leben teilweise noch zu vermissen ist.

Das gilt auch für die inzwischen zahlreichen Cafés und Restaurants, in denen muslimische Familien beim Shopping Pause machen können. Muslime können sicher sein, dass man ihnen nur Halal-Speisen anbietet. Nicht nur bei gutem Wetter, sondern auch bei trübem sitzen hier alle Bürgerinnen und Bürger einer Stadt vor dem Lokal zusammen. Integration ist in solchen Situationen kein Fremdwort, vielmehr die korrekte Beschreibung der Situation.

Wenn man muslimisches Leben in Deutschland beschreiben möchte, dann genügen sozialwissenschaftliche Begriffe nur bedingt. Dies gilt auch für die von vielen Muslimen abgeschlossenen Bausparverträge, die in der Gemeinde realisiert werden, in denen man seit Jahren lebt.

Selbstverständlich gibt es noch die Ballungsräume. Der muslimische Akademiker, dessen Vater im Bergbau an der Ruhr schuftete, verlässt das Ruhrgebiet, um sich eine andere Wohnung zu suchen. Ein Auslöser dafür ist sicherlich der Wunsch seine Kinder auf eine entsprechende Schule schicken zu können; was die Frage des Religionsunterrichtes dringend werden ließ. 

Es ließen sich noch manche Bemerkungen meinem Kommentar hinzufügen, ohne dabei dem christlich-säkularen Gesamtbericht schaden zu wollen. Er stellt einen wichtigen Schritt in Richtung einer Integration der muslimischen Minderheit dar. Er macht vor allem deutlich, an welchen Stellen wir Muslime noch arbeiten müssen, um nicht in die Fallen früherer Minderheiten zu geraten.

Ein Kommentar zu “Muslimisches Leben in Deutschland?

  1. Ich muss sagen, dass ich Appetit bekommen habe, mir diesen Bericht durchzulesen. Danke liebes IZ- Team für das schmackhaft machen.

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