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Ohne Maß: Rhetorik gefährdet deutsch-türkische Freundschaft

Ausgabe 262

Foto: E. Güvercin

(iz). Jeder, dem die deutsch-türkische Freundschaft am Herzen liegt, muss sich in diesen Tagen Sorgen machen. Bezeichnend dafür ist die Eskalation der Sprache, die sich auch in abstrusen, geschichtlichen Anspielungen zeigt: Weder agiert die deutsche Regierung mit „Nazi-Praktiken“, noch ist der türkische Präsident ein „Sultan“. Es steht zudem zu befürchten, dass diese ideologische Auseinandersetzung auf dem Rücken der Muslime in Deutschland ausgetragen wird.
Hin und wieder muss man bei aller Sympathie für die Türkei auch den Realitätsverlust der in Deutschland agierenden türkischen Organisationen beklagen. Sie haben – aus meiner Sicht – viel zu wenig für die Versachlichung der Debatte und zu deren Inhalten, nach innen und nach außen, beigetragen. Könnte es sein, dass man über die Jahre sogar eine Art Echokammer gebildet hat?
Bevor man permanent über Benachteiligungen jammert, muss man die Sorgen beziehungsweise Bedenken der deutschen Bevölkerung zur Kenntnis und sie inhaltlich ernst nehmen. Nur auf dieser Grundlage kann man die islamophoben oder rassistischen Argumentationsketten von sachlichen Argumenten unterscheiden.
Für einen Durchschnittsdeutschen wirkt es zunächst einmal befremdlich, dass in Deutschland ein Wahlkampf im Interesse der Türkei stattfinden soll. Es ist also durchaus legitim zu fragen, ob die Polarisierung der deutschtürkischen Gemeinde für das künftige Zusammenleben in Deutschland konstruktiv ist. Hier müssen türkische Organisationen, die das dennoch befürworten, auch ihre Argumente in die deutsche Gesellschaft transportieren. Sie müssen zeigen, dass sie sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und Wirkung bewusst sind. Tun sie das, oder schärfer gefragt, interessiert sie das überhaupt noch?
Hierzu gehört auch, absurde Vorwürfe („Angela Merkel ruft in Gaggenau an und verhindert Auftritt des türkischen Justizministers“) öffentlich zurückzuweisen. Wer nicht im Wahlkampfmodus agiert, muss sich hier zu Wort melden. Zumindest muslimische Verbände sollten hier nicht einseitig Partei nehmen und vielmehr zur Besonnenheit aufrufen.
Es wäre für die AK-Partei fatal, wenn sie keinen Dialog mehr mit der deutschen Intelligenz führen könnte. Voraussetzung für ein anspruchsvolles Gespräch ist, zuzulassen, dass Themen wie Wahlkampf, Bürgerrechte oder Präsidialsystem zumindest in Deutschland kontrovers diskutiert werden können. Wer jegliche Bedenken und jedes Argument sofort als „Türkeifeindschaft“ einordnet oder die Logik von „wer nicht für mich ist, ist gegen mich“ betreibt, schadet letztlich der deutsch-türkischen Freundschaft. Es gibt heute keine Politik mehr, die man mit dem Enthusiasmus und der blinden Liebe von Fußballfans unterstützen könnte.
Natürlich gibt es auch in Deutschland Kreise, die den Konflikt befeuern. Leider agieren hier manche Medien oft nur noch wie „Staubsauger“, die weniger aufklären wollen, sondern nur noch möglichst viele negative Aspekte zusammentragen.
Gerade die konservativen Parteien Deutschlands haben die historische Chance verpasst, die Türkei in die Europäische Union zu integrieren. Sie waren zunächst in ihrer Weltanschauung irritiert und konnten nicht begreifen, dass ausgerechnet eine muslimisch geprägte AK-Partei die Türkei von der säkularen Diktatur befreit hat.
In diesem Kontext ist interessant, dass die um Demokratie besorgten Außenpolitiker Europas niemals die NATO-Mitgliedschaft der Türkei hinterfragten. Ich dachte, es handle sich um ein Bündnis der westlichen Demokratien. Hier besteht eine gewisse historische Kontinuität. Denn in Zeiten, als in der Türkei ganz offen diktatorische Verhältnisse herrschten, wurde dieses heikle Thema ebenso ausgespart.
Natürlich ist auch der Hinweis berechtigt, dass die Türkei vor wenigen Monaten einen blutigen Putschversuch erleben musste und ihr demokratisch gewählter Präsident getötet werden sollte.
Bei allem Verständnis für die Reaktion der Türkei, sie muss, gerade weil sie für eine neue Demokratie stehen will, nun auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wahren. Ein erster Schritt dazu wäre, sprachlich abzurüsten.