Je wichtiger China für die muslimische Welt wird, desto geringer werden die Chancen, dass sie sich für die Uiguren einsetzen wird.
(iz). Wenige Tage, bevor Pakistans Ministerpräsident Imran Khan (siehe S. 6) geschasst wurde, lud er die Außenminister der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) nach Islamabad ein. Ein Teilnehmer des Meetings war brisant: Chinas Außenminister Wang Yi. Da verwundert es auch nicht, dass in der Abschlusserklärung nichts von den Uiguren zu finden war.
Wenige Tage später veröffentlichte das Uigurische Menschenrechtsprojekt (UHRP) einen Bericht zur „Kollaboration zwischen arabischen Staaten und China in der grenzüberschreitenden Repression von Uiguren“. Detailliert werden darin Pekings Bemühungen beschrieben, uigurischen Dissidenten in einer Region habhaft zu werden, die früher sicher für diese war: die arabische Welt. Je stärker die Beziehungen der Region zu China würden, desto drastischer sei die grenzüberschreitende Repression geworden. Seit 2001 seien mindestens 292 der durch Verfolgung gefährdeten Menschen deportiert worden.
Als ein drastisches Beispiel schilderten die Menschenrechtler das Beispiel Ägypten. Dort seien 2017 mehr als 200 uigurische Studenten der Al-Azhar-Moschee bei Razzien und Überfällen verhaftet worden. Mindestens 45 der religiösen Studenten seien nach China geschickt worden. Von einigen wurde nie wieder etwas gehört. Aussagen von Betroffenen legen den Schluss nahe, dass bei den anschließenden Verhören chinesische Polizisten anwesend waren.
„Wir haben Fälle von Chinas länderübergreifender Unterdrückung von Uiguren in arabischen Staaten gesammelt und analysiert. Dazu haben wir Originalinterviews mit Uiguren geführt, die aus der Region geflohen sind und Berichte von Experten und Zeugen sowie öffentliche Quellen in englischer und arabischer Sprache ausgewertet. Darunter gehören Regierungsdokumente, Menschenrechtsberichte und Berichte glaubwürdiger Nachrichtenagenturen“, heißt es in der Einleitung des Berichts.
Nach Ansicht der Studienautoren setzt China dabei auf fünf Mechanismen der Repression, um den Uiguren in der arabischen Welt habhaft zu werden. Peking hat sein im Inland entwickeltes System von digitaler Überwachung jenseits seiner Grenzen ausgeweitet. Damit könne es Uiguren außerhalb ihrer Heimat genau observieren. Wie einige Experten seit Langem anmerken, nutzt Peking dafür das von den USA in die Welt gesetzte Terror-Narrativ. Es dient als Rechtfertigung der Verhaftung und Auslieferung von Uiguren nach China. Ein wichtiges Vehikel ihrer Überwachung seien Einrichtungen für religiöse Studien sowie die Strukturen für Hadsch und Umra. Gerade bei ihrer Organisation setzen die saudischen Behörden immer häufiger chinesische Überwachungstechnologien ein. Schließlich würden ihnen in den MENA-Staaten Reisedokumente verweigert, was sie a) staatenlos und b) noch verletzlicher für Deportationen nach China machten.
Die uigurischen Menschenrechtler empfehlen Akteuren der MENA-Region und darüber hinaus politische Maßnahmen. Westliche Regierungen sollten sichere Fluchtwege für Exiluiguren zur Umsiedlung schaffen und Einwanderungsquoten erhöhen. Die internationale Gemeinschaft müsse neue, sichere Zufluchtsorte schaffen und uigurische Flüchtlinge neu ansiedeln, da die traditionellen Exilorte für die Uiguren rar würden. Arabische Regierungen müssten die internationale Unterstützung durch muslimische und multilaterale Organisationen nutzen, um das Problem im Verbund anzugehen und die transnationale chinesische Unterdrückung in der Region zu stoppen.
Ob diese ambitionierten Forderungen Aufnahme bei den eigentlich gemeinten Regierungen des Nahen Ostens sowie Chinas Nachbarn wie Pakistan finden, kann bezweifelt werden. Die Teilnahme des Pekinger Chefdiplomaten Wang Yi zeigt nicht nur, dass viele Verbündete des Westens in der muslimischen Welt spätestens seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine selbst von einer „Zeitenwende“ ausgehen. Es zeigt auch, dass die muslimischen Uiguren kaum bis keine Unterstützung vom Kernbereich der OIC-Mitglieder erwarten können.
Es gibt handfeste Gründe, warum sich die „muslimische Welt“ offiziell nicht für die uigurische Sache erwärmen kann. Weite Teile sind entweder auf Peking angewiesen, andere hoffen auf zukünftige Kooperationen. Augenfällig wird das am Beispiel Pakistan. „China hat Hunderte Milliarden US-Dollars in Pakistan investiert“, sagte der ehemalige pakistanische General und Analyst Haroon Aslam. „Das verleiht ihm einen erheblichen Anteil im Land. Politische Stabilität heißt ökonomische Stabilität.“ Umer Karim vom Londoner Thinktank royal United Services Institute ist der Ansicht, der „muslimische Block“ bewege sich geopolitisch und ökonomisch vom Westen weg. China sei sich der zunehmenden anti-westlichen Stimmung im Zielgebiet durchaus bewusst. Wang habe seine Worte in Islamabad mit Bedacht gewählt, indem er an die gemeinsame Geschichte, politische Neigungen und Aussicht auf wirtschaftliche Partnerschaften mit der muslimischen Welt appellierte.
Der Report findet sich hier: uhrp.org