Rassistische Deutungsmuster: Eine vorurteilsbehaftete Einstellung bei Medien beeinflusste die Berichterstattung über den Nationalsozialistischen Untergrund

Frankfurt (GFP.com). Eine kommunikationswissenschaftliche Studie stellt der Berichterstattung deutscher Massenmedien über die rassistischen Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ein vernichtendes Zeugnis aus. Demnach folgte die bundesrepublikanische Presse der Strategie der Repressionsbehörden, die bis zum Auffliegen der Terrororganisation im November 2011 auf die Kriminalisierung der Opfer und die Entpolitisierung der Anschläge zielte.

Laut den Autoren ist es ein „strukturelles Merkmal“ der deutschen Medienberichterstattung, Migranten zuvörderst als „Bedrohung“ wahrzunehmen. Dies habe sich bereits bei der Verwendung des Begriffs „Döner-Morde“ für die Gewalttaten des NSU gezeigt. Journalisten hätten den Betroffenen auf diese Weise zunächst ihre „Individualität genommen“, um sie dann als Angehörige einer migrantischen „Parallelwelt“ zu porträtieren, die letztlich für die Verbrechen verantwortlich sei.

Im Unterschied zu anderen Kriminalitätsopfern habe man den Opfern des NSU „nur vereinzelt Empathie“ entgegengebracht; die zahlreichen Hinweise ihrer Angehörigen auf neonazistische Täter seien „medial weitgehend unbeachtet geblieben“.

“Ausländerkriminalität“
Laut einer Studie, die von der Otto-Brenner-Stiftung der Industriegewerkschaft Metall in Auftrag gegeben worden ist, hatten deutsche Massenmedien „maßgeblichen Anteil“ daran, dass die Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds NSU) und ihre Angehörigen fast ein Jahrzehnt lang „öffentlich verdächtigt wurden, in kriminelle Aktivitäten verstrickt zu sein, die angeblich den Hintergrund der Morde bildeten“.

Zurückgeführt wird dies auf die Orientierung führender Journalisten an den „Deutungsmuster(n)“ der Repressionsbehörden: „So folgte die Berichterstattung den Mutmaßungen über Schutzgelderpressung, Drogenkriminalität, Auftragskiller oder Geldwäsche und trug zu einem Bild bei, in dem die Verantwortung für die Morde der ‘organisierten Kriminalität’ zugewiesen wurde, die wiederum als ‘ausländisch’ markiert wurde.“

Wie die Autoren erklären, korrespondiere dieser Befund mit den Ergebnissen zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen, wonach „Ausländer“ und „Asylbewerber“ von den Medien „überproportional häufig“ mit „Regelverletzungen“ sowie „konflikt- und krisenhaften Entwicklungen“ in Verbindung gebracht und als „Bedrohung“ wahrgenommen würden: „Dieses Motiv reicht von ‘sozialen Spannungen’ und ‘Minderheitenkonflikten’ über die Bildung von ‘Slums’ und ‘Ghettos’ sowie die Gefahr des ‘Missbrauchs des Asylrechts’ und den Verweis auf die wachsende Konkurrenz am Arbeitsmarkt bis zu den nach dem 11. September 2001 deutlich vermehrt auftretenden Redeweisen über die ‘terroristische Gefahr’ aufgrund zu lascher Einwanderungsregeln.“

“Döner-Morde” Den Autoren der Studie zufolge war die von deutschen Medien zur Bezeichnung der NSU-Verbrechen hervorgebrachte Wortschöpfung „Döner-Morde“ für die Stigmatisierung und rassistische Ausgrenzung der Opfer „zentral“. Den Ermordeten sei damit „die Individualität genommen“ worden, was es wiederum ermöglicht habe, sie als Teil einer vermeintlichen türkischen „Parallelwelt“ zu porträtieren, die neben der deutschen Mehrheitsgesellschaft existiere und mit dieser nichts zu tun habe.

Aufbauend auf dieser Konstruktion sei dann von der deutschen Presse eine „Mafia-Verstrickung“ der Getöteten behauptet und diesen damit ein „Teil der Verantwortung für das Geschehene“ zugeschrieben worden, heißt es. Als „markantes Beispiel“ für diese Form der Berichterstattung zitieren die Wissenschaftler einen 2005 in der Tageszeitung WELT erschienen Artikel, dem zufolge die Opfer ermordet wurden, „weil sie als Drogentransporteure … Geschäfte auf eigene Faust machten“.

Damit einhergehend hätten die deutschen Medien offen Parallelen zwischen Tätern und Opfern gezogen, erklären die Autoren: „Die Darstellung der Tatverdächtigen in Wort und Bild wurde über einen langen Zeitraum von Begriffen und visuellen Markern bestimmt, die diese als ‘Ausländer’ bzw. ‘Fremde’ markierten; es war von ‘Osteuropäern’, einem ‘Dunkelhäutigen’ bzw. einem Mann mit ‘Mongolen-Gesicht’ die Rede, die im Verdacht stünden, mit den Verbrechen zu tun zu haben.“ Gleichzeitig sei den Opfern des NSU – im Unterschied zu anderen Kriminalitätsopfern – „nur vereinzelt Empathie“ entgegengebracht worden.

„Mauer des Schweigens“
Auch der Umgang deutscher Medien mit potenziellen Zeugen der NSU-Morde und den Angehörigen der Opfer war der Studie zufolge von rassistischen Klischees geprägt. Exemplarisch zitieren die Autoren einen Text des Internetportals SPIEGEL-online, in dem der Familie eines Getöteten vorgeworfen wird, nicht mit den Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren und bewusst für die Aufklärung des Verbrechens relevante Fakten zu unterschlagen.

Wörtlich hieß es hier: „Die … Befragten schwiegen eisern. Die Kripo erntete bei den Familienmitgliedern meist nur Kopfschütteln. Ehefrauen wollten von den Geschäften des Mannes nichts gewusst haben, enge Freunde verwandelten sich über Nacht in oberflächliche Bekannte, man habe sich nur gelegentlich gegrüßt, das war’s.“

Wie die Wissenschaftler schreiben, kulminierte die hier zum Ausdruck kommende „Unterstellung einer Mitwisserschaft“ in der „Metapher der ‘Mauer des Schweigens’, die in den Medien zitiert wurde“; auch hätten deutsche Journalisten vielfach „das Bild gezeichnet, die „schwer durchdringbare Parallelwelt der Türken schütz(e) die Killer’“.

Zensur
Passend dazu seien von deutschen Medien Hinweise auf neonazistische Täter bewusst unterschlagen worden, schreiben die Autoren der Studie. So habe etwa der öffentlich-rechtliche Westdeutsche Rundfunk (WDR) die Aussage der Tochter des 2006 in Dortmund getöteten Mehmet Kubaşık, es handele sich bei dem Mord an ihrem Vater um eine „ausländerfeindliche Tat“, aus einem Interview „rausgeschnitten und nicht gesendet“.

Selbst die von Angehörigen der Opfer im Mai und Juni 2006 in Kassel und Dortmund organisierten Demonstrationen, in deren Verlauf die deutschen Behörden eindringlich zur Suche nach neonazistischen Tätern aufgefordert wurden, seien „medial weitgehend unbeachtet geblieben“, heißt es.

Medienstrategie
Wie die Urheber der Studie feststellen, entsprach die Berichterstattung über die rassistische Mordserie des NSU weitestgehend „der von den Ermittlungsbehörden verfolgten Medienstrategie“, die vor allem auf die „Kriminalisierung der Opfer“ gezielt habe. Zwar sei von der Polizei im August 2006 auch „Hass auf Migranten“ als mögliches Motiv für die Morde genannt worden, jedoch hätten die Ermittler und in ihrer Folge zahlreiche Journalisten dies stets mit dem Zusatz versehen, besagter Hass resultiere mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus einem persönlichen „negative(n) Erlebnis mit einem Türken“.

Damit habe man gemeinsam das Mordmotiv „auf doppelte Weise entpolitisiert“, erklären die Autoren: „Es wurde zur Folge individueller Erfahrung heruntergespielt … und eine verfestigte rassistische Weltanschauung oder gar Einbindung in extrem rechte Strukturen über die diskursive Figur des ‘Einzeltäters’ kategorisch ausgeschlossen.“

Die hierin zum Ausdruck kommende Haltung hat in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Terroranschlag auf das Münchner Oktoberfest 1980 nicht zuletzt dank willfähriger Medien Tradition; sie lässt sich allerdings in Anbetracht der mittlerweile vorliegenden Erkenntnisse über den NSU nicht mehr aufrechterhalten.

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