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Regierungsberater warnen vor Zuspitzung von Großmachtkonflikten durch Coronavirus

Ausgabe 308

Foto: moinzon, Adobe Stock

(GFP.com). Berliner Regierungsberater rechnen mit einer deutlichen Verschärfung diverser globaler Konflikte durch die Covid-19-Pandemie. So sei etwa zu befürchten, dass Konflikte in Entwicklungsländern durch eine weitere Verarmung befeuert würden, hieß es in einer aktuellen Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Schon jetzt hätten etwa in Mexiko im Kampf gegen die Pandemie Drogenkartelle hoheitliche Aufgaben übernommen.

Hinzu komme, dass auch Großmachtkonflikte sich zuspitzten, vor allem derjenige der USA gegen China – denn „die Erwartung, dass China sich erheblich schneller von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie erholen“ werde, begünstige in Washington „einen konfrontativen Kurs“ gegen Beijing. Nicht zuletzt drohen sich auch bestehende Spannungen und Konflikte in der EU zu verschärfen; die wirtschaftlichen Einbußen fallen schon jetzt in Südeuropa deutlich höher als im ohnehin reicheren Norden aus. In dieser Situation geht Berlin dazu über, Impfstoffe nicht mehr – wie abgesprochen – nur gemeinsam über die EU zu beschaffen, sondern zusätzlich im nationalen ­Alleingang.

Wie die Stiftung Wissenschaft und ­Politik (SWP) in einer aktuellen Studie bestätigt, werden sich infolge der Covid-19-Pandemie die globalen Kräfteverhältnisse mutmaßlich deutlich verschieben. Dies liegt der SWP zufolge daran, dass eine ganze Reihe von Ländern Ost- und Südostasiens die Pandemie vergleichsweise erfolgreich bekämpft haben. Hingegen müssten „praktisch alle übrigen Weltregionen … erheblich größere wirtschaftliche Verluste“ hinnehmen, heißt es in der Analyse; dies gelte für die EU, in hohem Maß auch für die USA und „geradezu dramatisch“ für einige Schwellenländer, insbesondere für Mexiko, Brasilien und Indien.

„Zu erwarten“ sei daher, dass „China und Ostasien an relativem ökonomischem Gewicht gewinnen und noch ­rascher als prognostiziert zum Gravitationszentrum der Weltwirtschaft werden“. So schätzt die SWP, dass der Anteil Ostasiens an der globalen Wirtschaftsleistung von 29,4 Prozent im Vorkrisenjahr 2019 auf 32,6 Prozent im Jahr 2025 ansteigen wird – bei parallelem Rückgang des US-Anteils von 24,5 Prozent auf 22,7 Prozent und einer relativen Stagnation der EU (2019: 17,8 Prozent; 2025: 17,9 Prozent). Die SWP bilanziert: „Politisch könnte daraus eine Kräfteverschiebung erwachsen.“

Drastische Verluste sagt die SWP ­zudem den Entwicklungsländern voraus. „Einbrüche bei der weltweiten Nachfrage nach Rohstoffen, aber auch im Tourismussektor treffen einige dieser Staaten schwer“, heißt es in der Analyse.

Hinzu komme, „dass externe Quellen wie Rücküberweisungen versiegen und internationale Hilfsmaßnahmen sich auf sehr viele betroffene Staaten verteilen“. Da in vielen Ländern Arbeitslosigkeit und Armut zunehmen, während zugleich die „Preise für Güter des täglichen ­Bedarfs“ stiegen, sei mit härteren Verteilungskonflikten zu rechnen – dies in einer Lage, in der die Coronakrise „den ohnehin begrenzten Handlungsspielraum vieler Regierungen“ in wachsendem Maß begrenze.

„Teilweise haben nichtstaatliche ­Gewaltakteure in der Pandemie Hilfe und quasistaatliche Leistungen erbracht“, ­berichtet die SWP: So haben beispielsweise „die Taliban in Afghanistan, Kartelle in Mexiko und Gangs in Südafrika“ unter anderem „Lebensmittel und ­Gesundheitsinformationen verteilt und mitunter Ausgangssperren durchgesetzt“. „Im Wettstreit um Autorität und Legitimität drohen ohnehin schon schwache Staaten weiter an Boden zu verlieren“, warnt der Think-Tank. Der „Gefahr einer von Covid-19 verstärkten Abwärts­spirale“ bis zum Staatszerfall seien auch noch funktionierende Staaten ausgesetzt, etwa Mosambik.

Dabei hat die Covid-19-Pandemie der SWP zufolge das Potenzial, nicht nur Konflikte innerhalb schwächerer Staaten gefährlich anzuheizen, sondern darüber hinaus „auch als zusätzlicher Treiber bestehender Konflikte zwischen Groß- und Regionalmächten“ zu wirken. Dies sei vor allem dann der Fall, wenn die „wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen“ der Pandemie die jeweiligen Staaten „unterschiedlich hart treffen“: „Eine ­solche Entwicklung schürt die bereits vorhandenen Ängste vor einem relativen Machtverlust“.

So werde etwa „die weit zurückreichende Rivalität zwischen Indien und China“ durch die Pandemie „eher befeuert“; New Delhi habe „nach dem Ausbruch der Seuche die Chance“ gesehen, „ausländische Investitionen, die in China getätigt werden sollen, ins eigene Land zu lenken“ – und es werde von den ­Vereinigten Staaten „ausdrücklich dazu ermutigt“. Vor allem aber werde „die ­Erwartung, dass China sich erheblich schneller von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie erholen könnte als die USA und andere westliche Länder“, in ­Washington wahrscheinlich „einen konfrontativen Kurs gegenüber Peking begünstigen“. In der Tat hat die US-Administration ihre Aggressionen gegen China bereits in den vergangenen Wochen und Monaten ganz erheblich verstärkt.

Auch innerhalb der EU drohe die ­Covid-19-Pandemie Konflikte zu schüren, warnt die SWP. So zeigten „alle Analysen und viele Prognosen, dass die Mitgliedstaaten … unterschiedlich stark von der Pandemie und deren sozioökono­mischen Folgen getroffen wurden und werden“. Das könne trotz der Bemühungen um Hilfsmaßnahmen – darunter vor allem das 750 Milliarden Euro schwere Finanzpaket – „neue Unwuchten und Ungleichzeitigkeiten im Integrationsprozess erzeugen“.

Der Think-Tank weist auf die er­heblichen Differenzen beim dieses Jahr zu erwartenden ökonomischen Einbruch hin; so müsse Deutschland bei der Wirtschaftsleistung 2020 mit einem Minus von 5,98 Prozent gegenüber 2019 rechnen, Polen sogar nur von 3,56 Prozent, während die südlichen EU-Staaten weitaus höhere Einbußen zu befürchten ­hätten – ein Minus von 9,76 Prozent (Frankreich), 10,65 Prozent (Italien) bezie­hungsweise 12,83 Prozent (Spanien). Damit werde „die wirtschaftliche Divergenz in der Eurozone und der gesamten EU weiter ­zunehmen“.

In einem Negativszenario schließt die SWP sogar „Verteilungskonflikte (…) zwischen den EU-Staaten“ nicht aus; diese könnten zum Beispiel dann entstehen, wenn etwa Deutschland trotz verbalen Eintretens für eine Einstufung des Covid-19-Impfstoffs als „globales öffentliches Gut“ dazu übergehe, diesen nicht ­wenigstens EU-weit, sondern „vorrangig an die eigene Bevölkerung“ zu verteilen.

Tatsächlich beginnt die Bundesregierung, sich von der EU abzusetzen und Impfstoffe in nationaler Hoheit an Brüssel vorbei zu beschaffen. Bislang hieß es auch in Berlin stets, zu den Covid-19-Impfstoffen müssten alle Mitgliedstaaten der Union gleichen Zugang haben. Daher sei man darauf bedacht, die Vakzine gemeinsam über die EU zu beschaffen und sie dann – ihre Menge berechnet nach der jeweiligen Bevölkerungszahl – an die einzelnen EU-Länder zu verteilen. In der Tat hat Brüssel inzwischen Impfstoffe bei BioNTech-Pfizer (300 Millionen Dosen), Moderna (160 Millionen Dosen), AstraZeneca (400 Millionen ­Dosen), CureVac (405 Millionen Dosen), Johnson & Johnson (Impfdosen für 400 Millionen Personen) sowie Sanofi-GSK (300 Millionen Dosen) bestellt und ­bereitet ihre Verteilung an die Mitgliedstaaten vor.

Wie am Wochenende bekannt wurde, ist Berlin aber mittlerweile dazu über­gegangen, zusätzlich Impfstoffe auf ­nationaler Ebene zu bestellen – 30 Millionen Dosen bei BioNTech-Pfizer, 20 Millionen Dosen bei CureVac.

Dies dürfte dazu führen, dass die Bundesrepublik eher die sogenannte Herdenimmunität erreicht und eher zum normalen Alltag beziehungsweise zum normalen Wirtschaftsleben übergehen kann als die anderen Staaten der EU. ­Berlin gelänge es damit, seine Vormachtstellung in der EU noch stärker zu konsolidieren.