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Sich ein neues Bild machen

Ausgabe 348

bild moin und salam
Foto: Julius Matuschik, AIWG

Alltag unter deutschen Dächern: Das Projekt „Moin und Salaam“ hat einen Bildband herausgegeben.

„In deutschen Medien werden oft Bildwelten genutzt, die Muslim_innen und den Islam in einer einseitigen und stereotypischen Weise darstellen. Diese wiederkehrenden Bilder erzeugen einen Framing-Effekt, der die muslimische Gegenwart als fremd, gefährlich oder exotisch erscheinen lässt. Diese Bildsprache entspricht nicht einer Einwanderungsgesellschaft, in der Religionsfreiheit herrscht und Muslim_innen schon lange ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft sind.“ Julius Matuschik

(iz). Das, was gemeinhin und oft zu leichtfertig als „Islam in Deutschland“ beschrieben wird, lässt sich nicht einfach auf demographische Angaben, weltanschauliche Hintergründen oder Statistiken über die Anzahl von Gebetsräumen reduzieren. Vielmehr ist das Thema ein großer Strom, der sich aus vielen Jahrzehnten, Seitenarmen und Quellgebieten speist.

Islam in Deutschland – eine Geschichte in Bildern

Hierzu gehören Geschichten und Biografien. Und nicht nur die große, allumspannende Vergangenheit eines ganzen Landes, sondern die all seiner Elemente. Dass heute in Deutschland Allah an unzähligen Orten angebetet und Sein Prophet geliebt werden, ist nicht Folge eines plötzlichen Ereignisses. Obwohl in den 1960er Jahren viele „Gastarbeiter“ kamen, lebten hier schon längst MuslimInnen und ihre Gemeinschaften.

Insbesondere das Individuelle, Partikulare entgeht dem generalisierenden Blick. Der jüdische Architekt, der in den 1920ern den Islam annimmt und die Shoa überlebt, gehört genauso dazu wie der heute namenlose nordafrikanische Kriegsgefangene des 1. Weltkrieges, der in einem Lager für Muslime dem Ende des Blutvergießens entgegenfieberte.

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Mittlerweile hat man sich in Deutschland jenseits einiger spezialisierter Wissenschaftler begonnen, diese Facetten unserer Geschichte in Betracht zu ziehen. Ein Beispiel dafür ist das seit Jahren stetig wachsende Onlineprojekt „Moin und Salam“. Sie ist visuell und thematisch wie eine Reportage aufgebaut, in der verschiedene Abschnitte oder Themen behandelt werden und wirft Schlaglichter auf vergangene Spuren sowie die aktuelle Gegenwart des Islams und des muslimischen Lebens in Deutschland.

Muslimisches Leben wird visualisiert

Das von der AIWG produzierte Angebot ist keine bloße Textwüste. Vielmehr schafft es aus der Verbindung von historischen Aufnahmen (die teils auch aus unbekannten Archiven stammen), aktuellen Bildern des muslimischen Lebens in Deutschland vom Fotografen Julius Matuschik sowie Texten ein Gesamtkunstwerk.

Diese Erklärungen über das Gestern und Heute des Islam in unserem Land kommen von der Politik- und Religionswissenschaftlerin Raida Chbib.

Die gut gemachte Webseite besteht nicht aus Abstraktionen. Gezeigt werden Geschichte und Erfahrungen von MuslimInnen in Deutschland, die durch ihre Vermittlung Einblicke in ihr Leben und ihre Sichtweisen geben.

Die deutsch- und englischsprachige Seite ist ein informatives und vielseitiges Angebot, das allen Interessierten einen tieferen Einblick in das Leben von Muslimen in Deutschland bietet. Sie ist sowohl für den Schulunterricht als auch für die private Lektüre geeignet.

Verschiedene Zielgruppen

Mit dem Projekt sollen insbesondere drei Zielgruppen erreicht werden. Zum einen soll es dazu beitragen, dass die deutsche Bevölkerung mehr über den Islam und das Leben von Muslimen in Deutschland erfährt. Es möchte Vorurteile und Ängste abbauen und ein besseres Verständnis für die Vielfalt der muslimischen Lebenswelten fördern. Auch soll ein Dialog zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen angeregt und die interkulturelle Toleranz und Akzeptanz gestärkt werden.

Es richtet sich zeitgleich an die deutschen Muslimen. Es möchte ihnen eine Plattform bieten, ihre Geschichten und Erfahrungen zu erzählen. Es will dabei helfen, sich als Teil der Gesellschaft zu fühlen und ihre Identität zu stärken. Und es möchte Vernetzung und Austausch zwischen Muslimen in Deutschland fördern.

Auch wenn Aufbereitung und Aufmachung keinen akademischen Fokus haben, sollen Akademiker und Multiplikatoren erreicht werden. Es bietet Aktiven aus den Bereichen Bildung, Politik und Religion fundierte Informationen und Materialien zum Thema Islam in Deutschland  und will sie dabei unterstützen, in ihrer Arbeit Vorurteile abzubauen und interkulturelles Verständnis zu fördern.

Die Kooperation von Matuschik und Chbib wird fortgesetzt. Jetzt haben die beiden MacherInnen von „Moin und Salam“ im Kerber Verlag einen gleichnamigen Bildband veröffentlicht. Er trägt den Titel „Moin und Salam – Muslimisches Leben in Deutschland“.

Inhaltlich ist der gut aufgemachte Band in die Kapitel Geschichte, Anfänge, Beheimatung, Glaubensgemeinschaft und Zusammenleben gegliedert. Immer wieder hält die Erzählung inne, um ein spezifisches Thema oder einen gesonderten Aspekt wie die Rolle des indisch-muslimischen Denkers Iqbal in Deutschland oder die Lage von Kriegsgefangenen aufzubereiten.

Nachtrag: Angesicht des Anspruchs und der Wirkung von „Moin und Salaam“ war unser Rezensent verwundert, dass die IZ im Kapitel über muslimische Medien nicht einmal einen Halbsatz bekommt.

* Julius Matuschik (Hrsg.) & Raida Chbib (Hrsg.), Moin und Salam: Muslimisches Leben in Deutschland, Kerber Verlag, April 2024, 208 Seiten, ISBN 978-3735609526, Preis: EUR 42,-