Studie: Internetspionage von NSA und BND gleichen sich

Berlin/Washington (GFP.com). Mit demonstrativer Empörung reagiert Berlin auf die jüngsten Enthüllungen über die NSA-Lauschangriffe in der deutschen Hauptstadt. Berichten zufolge ist nicht nur die Bundesregierung von den Spionagemaßnahmen betroffen: Angela Merkels Mobiltelefon wurde bereits 2002 abgehört; damals führte sie die Opposition. Am Wochenende ist zudem bekannt geworden, dass Frankreich und mutmaßlich noch weitere Staaten systematisch Daten an die NSA liefern. Dies geschieht in Übereinstimmung mit einem eigens geschlossenen Geheimdienst-Abkommen. Offenbar hebeln die beteiligten Dienste mit der Weiterleitung von Datenmaterial aus ihrem eigenen Land Gesetze aus, die es untersagen, Bürger ihrer Staaten selbst auszuspionieren. Derartiger Methoden bedient sich auch die Bundesrepublik. Eine aktuelle Studie, die von einer deutschen und einer US-amerikanischen Stiftung gemeinsam veröffentlicht worden ist, kommt darüber hinaus zu dem Schluss, die Internetspionage des BND unterscheide sich nicht wesentlich von derjenigen der NSA. Tatsächlich schließt der BND-Präsident nicht aus, dass bei der Sammlung von Datenmaterial sogar Kommunikationen der US-Regierung abgefangen werden; das geschehe allerdings selbstverständlich nur “zufällig”.

Spionage-Filiale am Pariser Platz
Mit demonstrativer Empörung reagiert Berlin auf die jüngsten Enthüllungen über die Lauschangriffe der NSA in der deutschen Hauptstadt. Demnach werden die Spionageattacken, etwa diejenige auf Angela Merkel, deren Mobiltelefon einem Bericht zufolge seit 2002 abgehört wird, in Berlin von der US-Botschaft am Pariser Platz aus durchgeführt. Dort residiere, heißt es, eine Spionage-Außenstelle der “Special Collection Services” (SCS), die “mit modernen Hochleistungsantennen” Datenmaterial im gesamten Regierungsviertel sammle. Involviert sei auch die CIA. Ähnliche Einrichtungen habe es laut einer Übersicht aus dem Jahr 2010 “an rund 80 Standorten weltweit” gegeben, heißt es weiter – darunter 19 europäische Städte, etwa Paris, Madrid, Rom, Prag, Genf und Frankfurt am Main.

Kaum Unterschiede zwischen NSA und BND
Während sich das Hauptaugenmerk in der aktuellen Debatte darauf richtet, dass die amerikanische NSA mutmaßlich sogar die Bundesregierung abgehört hat – die Kanzlerin inklusive -, verweisen Kritiker darauf, dass im Grundsatz sämtliche westlichen Geheimdienste dieselben Methoden anwenden wie die US-Spionage – auch der BND. Tatsächlich liegen mittlerweile mehrere Untersuchungen vor, die NSA und BND bezüglich ihrer Aktivitäten und ihres gesetzlichen Spielraums vergleichen. Demnach sind die Unterschiede gering.

Gesetze: weit gefasst
Das geht etwa aus einer Analyse hervor, die die deutsche “stiftung neue verantwortung” und das “Open Technology Institute” der “New America Foundation” im vergangenen Monat veröffentlicht haben. Die Analyse vergleicht die Internetspionage US-amerikanischer, britischer und deutscher Geheimdienste. Ihr zufolge sind in allen drei Ländern die gesetzlichen Rahmenbestimmungen durchaus “weit gefasst” und lassen den Diensten große Ermessensspielräume. Obwohl die Bestimmungen für die Spionage im Inland jeweils erheblich schärfer sind als diejenigen für die Spionage im Ausland, wird in der Praxis oft erst einmal alles gesammelt, was die Dienste aufgreifen können. Erst danach werden die Inlands-Kommunikationen gelöscht, “allerdings nur dann, wenn sie keine Informationen enthalten, die für die Auslandsspionage von Interesse sind”. Der Jura-Professor Niko Härting weist zudem in einer weiteren Analyse darauf hin, dass sowohl NSA als auch BND nur die Rechte von Bürgern ihres eigenen Landes bzw. in ihrem eigenen Land wahren müssen. Demnach ist der BND “nach § 1 Abs. 2 Satz 2 BND-Gesetz an Datenschutzrechte nur gebunden, soweit er in Deutschland operiert”. Als sicher kann Härting zufolge auch gelten, dass sich der BND – ganz wie die NSA – bei seinen Operationen im Ausland nicht an die dort geltenden Gesetze hält.

Kontrolle: streng geheim
Die “stiftung neue verantwortung” und die “New America Foundation” weisen zudem darauf hin, dass auch die Kontrolle geheimdienstlicher Aktivitäten in den USA, Großbritannien und Deutschland durchaus “eingeschränkt” ist. Hauptaufgabe der Kontrolle sei es, das Verlangen der Regierungen nach “nationaler Sicherheit” gegen die “Verfassungsrechte der jeweiligen Bürger abzuwägen”. In keinem der drei untersuchten Länder habe jedoch die Kontrolle der Ausweitung der Spionageprogramme “eine bedeutsame Grenze” gesetzt. Zudem sei die Kontrolle “fast vollständig geheim”; über etwaige Maßnahmen gegen Kompetenzüberschreitungen sei deshalb nichts bekannt. Härting fügt hinzu, dass der BND – im Gegensatz zur NSA, die sich ihre Lauschspionage im Voraus genehmigen lassen muss – “für Abhörmaßnahmen keinerlei gerichtliche Erlaubnis” einzuholen braucht.

Der Sinn der Datenweitergabe
Schließlich erinnern die “stiftung neue verantwortung” und die “New America Foundation” daran, dass die westlichen Geheimdienste eng kooperieren und dabei offenkundig “ähnliche Instrumente” für die Sammlung, Analyse und Auswertung von Daten nutzen. Der BND verfüge über “enge Bindungen an die NSA, die auf die Partnerschaft im Kalten Krieg” zurückgingen “und für die weltweiten Anti-Terror-Anstrengungen auf den neuesten Stand gebracht worden” seien. Es sei “klar”, dass damit die Möglichkeit gegeben sei, “sich auf andere Geheimdienste zu verlassen, um die Kommunikation im eigenen Land zu überwachen” – indem man verbündeten Diensten den Zugriff auf die Daten des eigenen Landes ermögliche. Die deutschen Geheimdienste weisen in der Tat regelmäßig darauf hin, dass sie Spionage-Erkenntnisse über den salafistischen Terrorismus, die sie selbst nicht gewonnen hätten, aus den USA erhielten. Eine ähnliche Arbeitsteilung findet jüngsten Berichten zufolge systematisch zwischen dem anglophonen Bündnis “Five Eyes” (USA, Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland) auf der einen und Frankreich, Italien, Schweden und Israel auf der anderen Seite statt: Man eröffnet den Zugriff auf Daten aus dem eigenen Land und erhält im Gegenzug die Resultate. Entsprechende Kooperationen mit der Bundesrepublik sind bereits seit den 1950er Jahren wirksam.

BND-Spionage in den USA
Dass der BND sich an der Arbeitsteilung auch aktiv beteiligt, beweist nicht nur seine Spionagetätigkeit in Afghanistan: Dort greift der deutsche Dienst die Kommunikation auch der Regierung ab und leitet sie – sofern man seinen Äußerungen glauben darf – an NATO-Verbündete weiter. Dass dabei eine deutsche Journalistin mit ausspioniert wurde, ist bekannt (german-foreign-policy.com berichtete ); weder bekannt noch überprüfbar ist, ob weitere Journalisten, eventuell auch deutsche, betroffen waren oder heute noch sind. Bekannt ist mittlerweile auch, dass der BND Telefongespräche, Faxe, SMD und E-Mails in den Vereinigten Staaten abgreift. Davon, dass er relevante Daten über US-Amerikaner, die die NSA selbst nicht erheben darf, an sie weiterreicht, kann ausgegangen werden. BND-Präsident Gerhard Schindler bekräftigt offiziell, dass der deutsche Dienst die US-Regierung nicht ausspioniert. Er schließt jedoch “etwaige zufällige Erfassungen” von Kommunikation der US-Regierung nicht aus, erklärt aber natürlich, sie würden “durch unsere technischen Systeme (…) gelöscht”. Ob dies vor oder nach der Lektüre geschieht, teilt Schindler nicht mit.