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Sunzi oder die Karikaturen

Foto: Pixabay | Lizenz: CC0 Public Domain

„Wenn du nicht stark bist – sei klug. (…) Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft.“ Sunzi

(iz). Das innermuslimische Gespräch im Westen ist unter anderem dadurch geprägt, dass das Phänomen der Macht beziehungsweise Handlungsfähigkeit und die Frage nach ihnen zumeist ausgeblendet bleibt. Das heißt nicht, dass sie verschwinden, sondern dass ein eigenes Verständnis verunmöglicht wird. Vorhandene Ansätze sind entweder die Nachahmung des nietzeanischen Konzepts von „Macht als organisierter Wille“ – was bisher in den sogenannten islamischen Ländern kläglich scheiterte. Oder es gibt die Hoffnung, der Andere – halb böse gesehen, halb bewundert – werde uns diese im Prozess einer erhofften, zukünftigen „Anerkennung“ verleihen.

Wie alltagswirksam die Frage nach der Macht ist, zeigen Phänomene wie der aufgeflammte „Karikaturenstreit“. Wir müssen uns mit Themen wie Macht oder Strategie beschäftigen. Ansonsten bleiben wir reaktiv und auf Erregungsmomente beschränkt. Hier ist der antike chinesische Stratege Sunzi (oder Sun Tzu) kein schlechter Anfang.

1. Wenn man in politischer Hinsicht relativ machtlos ist, lässt sich keine Macht projizieren. Ist nicht in der Lage, den Anderen zu einer Änderung seines Verhaltens bewegen bzw. zwingen.

In der jetzigen Lage haben die im Westen lebenden Muslime nicht den Einfluss, das symbolische Kapital und kaum reale Möglichkeiten, im Rahmen der hiesigen Verhältnisse steuernd auf mediale und öffentliche Diskurse wie den über die angeblichen „Karikaturen“ einzuwirken. Jenseits (verständlicher) emotionaler Empörung (die in sich den Zyklen der Aufmerksamkeitsökonomie verhält) und individuellen Boykottaufrufen verpufft die aufgewandte Energie. Schlimmstenfalls führt unbedachtes Verhalten (wie das Poltern aus außereuropäischen Hauptstädten) dazu, das Klima zu verschärfen.

2. Jede Reaktion auf einen Angriff offenbart dem Gegner die eigenen Stärken und Schwächen. Darum muss sie gut bedacht werden.

Wenn unsere Reaktion kraftlos ist oder hilflos erscheint, und wir nicht in der Lage sind, dem Angreifer Einhalt zu gebieten, offenbart unserer Reaktion unser Fehlen an Konzepten, Ressourcen und Führung. Öffnet uns für weitere Attacken. Daher sollte jede Reaktion im kollektiven Sinne gut bedacht werden.

3. Einen Angriff des Gegners anzunehmen, heißt, seine Definitionsmacht in der gewählten Arena anzuerkennen. Im Grunde wissen wir doch, dass die dargestellten Personen absolut nichts mit dem realen Menschen, dem Edlen Gesandten und Siegel der Propheten zu tun haben, oder?

In dem Moment, in dem wir uns in eine Auseinandersetzung begeben, deren Ort und Zeitpunkt wir nicht selbst gewählt haben, unterwerfen wir uns der Definitionsmacht eines anderen und akzeptieren sie. Ein hingeworfener Fehdehandschuh muss nicht aufgenommen werden. Im Grunde wissen Muslime bei klarem Kopf genau, dass die in solchen Zeichnungen dargestellte Person absolut nichts mit dem historischen Menschen, dem edlen Gesandten und Siegel der Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, zu tun haben.

4. In der Position der Schwäche ist jeder nicht geführte Konflikt ein Gewinn.

Das führt Punkt 3 fort. In unserer jetzigen Situation – ohne ausreichende Selbstorganisation, Führung und spirituelle sowie materielle Ressourcen – ist die Verweigerung des „Gefechts“ in sich ein Gewinn. Nicht nur bleiben wir gelassen, wir verweigern dem Angreifer weitere Öffnungen – wie überzogene Rhetorik, Wut, Fehlern in der Denklogik etc.

5. Reagieren wir, weil wir uns angegriffen fühlen oder die Person des Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben? Wenn Letzteres der Fall ist, warum tun wir im Alltag so wenig, um sein Beispiel zu manifestieren?

Jede erfolgreich geführte Auseinandersetzung setzt eine Absicht und ein Ziel voraus. Dafür muss man sich klar sein über die Motivation und Absichten seines Handelns. Ist unsere Reaktion (ungeachtet ihrer Rechtmäßigkeit) die Folge der eigenen Verletzlichkeit oder der Liebe zum Edlen Gesandten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben? Wenn wir vorgeben, den Propheten zu lieben, Allahs Heil und Segen auf ihm, wieso wänden wir nicht die vergleichbare Emotionalität auf, wenn es darum geht, seine Sunna positiv zu manifestieren?

6. Wer die Terminologie und die Themen vorgibt, dominiert die Auseinandersetzung. Man muss wissen, in was für eine Lage man sich begibt.

Begeben wir uns in einen Konflikt, dessen Bedingungen wir nicht gewählt haben, unterwerfen wir uns der Definitionshoheit des Anderen. Das heißt, wir begeben uns in einer Lage, in der fremde Regeln gelten. Wir müssen demnach nicht nur die Regeln kennen und sie beherrschen. Wir müssen ebenso verstehen, wie unsere Reaktionen auf den Anderen wirken. Das Argument der verletzten religiösen Gefühle bleibt wirkungslos beim Angreifer, da es für ihn keine nennenswerte Relevanz hat. Im zeitgenössischen Freiheitsdiskurs hat „Meinungsfreiheit“ einen ungleich höheren Stellenwert als „religiöse Gefühle“.

7. Wir müssen das Terrain kennen, um uns darin bewegen zu können. Es hat zumindest den Eindruck, dass das in Debatten wie diesen nicht immer der Fall ist.

Hier zeigt die Anführung „religiöser Gefühle“ als Argument gegen solche „Karikaturen“, dass einige Muslime nicht ganz das „Schlachtfeld“ kennen. Ihre Argumentation setzt voraus, dass alle Seiten von den gleichen Voraussetzungen ausgehen.

8. Jede Auseinandersetzung – und das sind mediale Diskurse (die längst die Form nichtmilitärischer Angriffe angenommen haben) – braucht ein kollektives Subjekt und damit ein Moment von Führung. Ohne Kopf keine Koordinierung seiner Glieder.

Es gehört zur gegenwärtigen Realität des Islam im Westen, genauer gesagt in Deutschland, dass es kein muslimisches Subjekt gibt. Trotz aller Floskeln wie „der Islam“ oder der „organisierte Islam“ wird Führung in solchen Debatten schmerzlich vermisst. Das führt nicht nur zur privatisierten Reaktion von muslimischer Seite (beziehungsweise zur Kooptierung aus dem Ausland). Die jetzige Lage verunmöglicht ebenso eine Koordinierung und Güterabwägung, was im konkreten Fall das richtige Handeln wäre.

Jede Reaktion hat Konsequenzen und wird vom Anderen wahrgenommen. Wollen Muslime im Westen nicht nur emotional und/oder empört reagieren, müssen sie sich ein Mindestmaß an Wissen über Macht und Strategie aneignen. Ansonsten finden wir uns in der „Wiederkehr des Ewig Gleichen“ wieder.