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Hamas-Terror fordert Hunderte Tote: Israel erklärt Krieg

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Hamas-Terror und seine Folgen: Seit gestern herrscht offiziell Krieg zwischen Israel und der Hamas. Beschuss aus dem Libanon. Ein erster Überblick der Ereignisse

Berlin (dpa, kann, iz). In den frühen Morgenstunden des 7. Oktober erklärte die Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert, den Beginn einer „Militäroperation“. Das sagte Militärchef Mohammed Deif am Samstagmorgen. Seit Beginn schoss die Organisation tausende Flugkörper auf Israel ab.

Hamas-Terror in bisher unbekanntem Ausmaß. Sorgen um Entführte

Neben den bekannten ungelenkten Raketenangriffen auf Ziele in Israel kam es zu massiven Angriffen jenseits des Grenzzauns. Einheiten überwanden die Grenzsperren zu Fuß, mit Fahrzeugen und mit Ultraleichtfahrzeugen. Sie griffen mehr als 14 Siedlungen, Städte sowie Stützpunkte an.

Neben einer hohen Zahl entführter Bürger und Soldaten starben mehr als 500 Zivilisten durch Terroraktionen. Aus Israel ist inzwischen von mehr als 600 Toten und unzähligen Verletzten die Rede. In Gaza sollen nach Angaben der Gesundheitsbehörden mindestens 370 Menschen bei israelischen Luftangriffen getötet worden sein.

Foto: Fars Media Corporation, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY 4.0

Hamas hat bei ihrem Angriff nicht nur zahlreiche Menschen ermordet, viele Bewohner der Grenzregion wurden verschleppt. Darunter sind Deutsche. Schätzungen, die von Medien kolportiert werden, gehen über die offizielle Zahl hinaus: Demnach sollen sich rund 170 Israelis in Gefangenschaft im Gazastreifen befinden – auch alte Menschen und Kinder.

An mehreren Orten gelang es der israelischen Armee, von der Hamas als Geiseln genommene Israelis zu befreien. Die Bemühungen um die Befreiung weiterer Geiseln dauern an.

Angriff kam unerwartet

Der massive Angriff aus dem Gaza-Streifen kam unerwartet. Allerdings hatte sich die Lage vor allem im besetzten Westjordanland zuletzt wieder zugespitzt. Ministerpräsident Netanjahu muss sich inzwischen unangenehme Fragen von Bevölkerung, Medien und Opposition gefallen lassen: Zum Zeitpunkt des Terroranschlags befand sich ein großer Teil aktiver Einheiten in den palästinensischen Gebieten des Westjordanlands.

Im Gazastreifen leben nach UN-Angaben mehr als zwei Millionen Menschen unter schlechten Bedingungen. Die von der EU, den USA und Israel als Terrororganisation eingestufte Hamas hatte 2007 gewaltsam die alleinige Macht übernommen. Tel Aviv verschärfte daraufhin eine Blockade des Küstengebiets, die von Ägypten unterstützt wird.

Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid forderte den Premierminister auf, eine Notstandsregierung zu bilden. Er habe dem Regierungschef angeboten, Differenzen beiseitezulegen, um die Gefahr eines sich ausweitenden Krieges zu bewältigen. Mit dem gegenwärtigen extremistischen Sicherheitskabinett könne er keinen Krieg führen.

Foto: World Economic Forum / Manuel Lopez, via flickr | Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0

Netanjahu: „Wir sind im Krieg“

„Bürger Israels, wir sind im Krieg“, verkündete Ministerpräsident Benjamin Netanyahu am Samstag aus dem Militärhauptquartier. Offiziell wurde das Land in Kriegsbereitschaft versetzt. Als Reaktion auf den Angriff hätten Kampfflugzeuge den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen angegriffen, bestätigte ein Armeesprecher.

„Der Feind wird einen Preis zahlen, wie er ihn noch nie zuvor gekannt hat“, sagte er in einer ersten Reaktion auf den anhaltenden Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen in einer Videobotschaft auf dem Portal X.

„Die Hamas hat heute Morgen einen schweren Fehler begangen und einen Krieg gegen den Staat Israel begonnen“, sagte der israelische Verteidigungsminister Joav Galant am Samstag. Soldaten kämpften „an allen Stellen, an denen eingedrungen wurde“. Derzeit würden die verbliebenen Hamas-Einheiten auf israelischem Gebiet bekämpft.

Dabei soll es nicht bleiben. Nachdem die Streitkräfte in den Kriegszustand versetzt wurden, zieht Tel Aviv verfügbare Einheiten und Reservisten zusammen. Sie sollen Gaza nicht nur aus der Luft, sondern auch vom Boden aus angreifen.

Foto: imago/UPI Photo

Teheran „gratuliert“ zum Terror

Im Gegensatz zu weiten Teilen der Welt „gratulierte“ der Sprecher des iranischen Außenministeriums der Hamas nach ihrem Angriff. Die Operation sei „ein Wendepunkt in der Fortsetzung des bewaffneten Widerstands des palästinensischen Volkes gegen die Zionisten“, sagte Nassar Knaani der Agentur ISNA am Samstag.

Am selben Tag riefen Abgeordnete im Teheraner Parlament zu Beginn der Sitzung „Nieder mit Israel“. Ein hochrangiger Militärberater von Staatsoberhaupt Khamenei äußerte sich nach dem Großangriff zustimmend. „Wir unterstützen diese Operation, und wir sind sicher, dass auch die Widerstandsfront dieses Anliegen unterstützt“, meinte Kommandeur Rahim Safavi.

Am Sonntag erklärte ein Hamas-Sprecher vor Journalisten, man habe dafür iranische Hilfe erhalten. Ein Vertreter Khameneis bestätigte dies.

Libanesischen Medienberichten zufolge begrüßte die vom Iran unterstützte Hisbollah die Angriffe der Hamas. Die „siegreiche Operation“ sei eine entscheidende Antwort auf die ständigen Verbrechen der Besatzer und die Entweihung von Heiligtümern, heißt es demnach in ihrer Erklärung.

Foto: World Economic Forum / Manuel Lopez, via flickr | Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0

UN warnt vor „Mehrfrontenangriff“

Der UN-Sonderkoordinator für den Nahostfriedensprozess, Tor Wennesland, verurteilte in einem X-Beitrag den „Mehrfrontenangriff“ auf Israel.

„Diese Ereignisse haben zu schrecklichen Gewaltszenen und zahlreichen israelischen Todesopfern und Verletzten geführt, von denen viele vermutlich innerhalb des Streifens entführt wurden“, so Wennesland, der ein sofortiges Ende der Gewalt auf Zivilisten forderte.

Der Angriff habe „schreckliche Auswirkungen auf die israelische Zivilbevölkerung“, sagte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk laut einer Mitteilung. Er forderte ein sofortiges Ende der Gewalt und rief Tel Aviv auf, bei seinen Vergeltungsschlägen in Gaza „alle Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, um zivile Opfer zu vermeiden“.

Außenministerin warnt vor „großer Eskalation“

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock warnte nach dem Großangriff vor einer Eskalation in der Region. „Dieser Tag ist eine Zäsur, ein beispielloser Akt der Eskalation durch die Hamas“, sagte die Grünen-Politikerin am Samstag in Berlin. „Durch diese Terrorangriffe besteht nun die unkalkulierbare Gefahr einer großen regionalen Eskalation.“ Sie könne nur „auf das Schärfste davor warnen, dass sich andere diesem Terror anschließen“.

„Nichts rechtfertigt unterschiedslosen Raketenbeschuss, Kommandoangriffe auf friedliche Zivilisten, die brutale Entführung von unschuldigen Menschen“, so Baerbock. Die Geiselnahmen der Hamas seien „abscheulich und verstoßen gegen das humanitäre Völkerrecht“.

Der Terror der Hamas müsse sofort beendet werden. Die Bundesregierung stehe solidarisch an der Seite Israels. Das Land habe laut dem internationalen Recht einen verbrieften Anspruch auf Selbstverteidigung. Zugleich forderte sie die Palästinenser auf, sich vom Terrorismus und dem Vorgehen der Hamas zu distanzieren.

„Deutschland verurteilt diesen massiven und rücksichtslosen Angriff auf Zivilisten aus der Luft und vom Land aus“, schrieb der deutsche Botschafter in Tel Aviv, Steffen Seibert, auf X.

Vor dem Bundespräsidialamt, dem Kanzleramt und dem Bundestag wehte am Sonntag die israelische Flagge. Auf das Brandenburger Tor wurde sie am Samstagabend Fahne projiziert. Bundesweit wurden die Sicherheitsvorkehrungen vor israelischen und jüdischen Einrichtungen erhöht.

Foto: Ecrusized, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 4.0

Die USA forderten alle Seiten auf, von Gewalt und Vergeltungsangriffen abzusehen. Der Angriff der Hamas-Terroristen werde „unmissverständlich verurteilt“, zitiert die Zeitung „Haaretz“ aus einer Stellungnahme des US-Büros für palästinensische Angelegenheiten.

Die chinesische Führung verlangte ein Ende der Gewalt.  China sei zutiefst besorgt über die jüngste Verschärfung der Spannungen, hieß es am Sonntag in einer Mitteilung des Pekinger Außenministeriums. Alle Beteiligten sollten „Zurückhaltung üben, das Feuer sofort einstellen, die Zivilbevölkerung schützen und sicherstellen, dass sich die Situation nicht weiter verschlechtert“.

Der einzige Weg zu einer Beilegng sei die Umsetzung einer „Zwei-Staaten-Lösung“ und die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates.

Koordinationsrat der Muslime verurteilt Gewalt und fordert sofortiges Ende

„In Israel und Palästina kam es wieder zur Gewalteskalation. Die Hamas startete einen Angriff gegenüber Israel, bei der auf beiden Seiten mehrere hunderte Menschen ums Leben gekommen sind. Tausende Menschen wurden verletzt und befürchten, dass die Kämpfe weiter anhalten“, hieß es in einer Pressemitteilung des Koordinationsrates der Muslime (KRM).

„Wir als KRM verurteilen die Raketenabschüssse und Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und appellieren an alle Parteien, der Gewalt ein Ende zu setzen und auf keinen Fall noch weiter eskalieren zu lassen.“ In diesen Zeiten sei Besonnenheit und Mäßigung gefordert, „ansonsten droht die Gefahr, dass es zu fürchterlichen Gewaltexzessen und -überschreitungen kommt“. (sw)

Bangladesch: Mehr als Tausend Tote wegen Dengue-Fieber

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In Bangladesch starben nach Behördenangaben bisher mehr als 1.000 Menschen an dem Dengue-Virus.

Die Todeszahl sei deutlich höher als in den Vorjahren, hieß es aus dem Gesundheitsministerium in Dhaka. 2022 wurden demnach 281 Todesfälle erfasst, im Jahr davor 105. Für das Jahr 2020 sind nur sieben Tote registriert. Die Statistik reicht bis ins Jahr 2000 zurück.

Dhaka (dpa). Bei Bangladeschs schlimmsten Dengue-Ausbruch seit Statistikbeginn sind inzwischen mehr als Tausend Menschen an der Krankheit gestorben.

Foto: Las, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 4.0

Bangladesch: Mehr als 206.000 bestätige Dengue-Fälle

Insgesamt habe es in diesem Jahr bereits mehr als 206.000 bestätigte Dengue-Fälle gegeben, hieß es weiter. Das Dengue-Virus wird von Aedes-Stechmücken übertragen, die in tropischen und subtropischen Klimazonen zuhause sind. Sie brüten in stehendem Wasser.

Auch in einigen Ländern Südamerikas kam es in diesem Jahr vermehrt zu Dengue-Fällen. Die Regierung Guatemalas rief deshalb sogar den Gesundheitsnotstand aus.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigte sich besorgt wegen der Ausbreitung des Erregers. Inzwischen sei die Hälfte der Weltbevölkerung einer Dengue-Gefahr ausgesetzt, hieß es.

Dengue-Fieber wurde früher Knochenbrecher-Fieber genannt, weil es starke Gliederschmerzen verursachen kann. Gegen Dengue gibt es Impfstoffe, allerdings mit teils starken Nebenwirkungen, aber keine speziellen Medikamente, außer solchen, die das Fieber senken.

Foto: jcomp, Freepik.com

Klimawandel spielt eine Rolle bei Ausbreitung

Klimatische Veränderungen in den Endemie-Gebieten spielten eine Rolle bei der Ausbreitung, sagte kürzlich Sebastian Ulbert, Abteilungsleiter Impfstoffe und Infektionsmodelle beim Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie in Leipzig. „Es wird wärmer und feuchter, die Mückendichte steigt. Die Menschen leben enger beieinander, was eine Übertragung durch die Insekten erleichtert.“

Aedes-Mücken, die Dengue übertragen können, gebe es bei uns auch schon, und Reiserückkehrer brächten das Virus auch hin und wieder mit. Bisher sei es hierzulande aber nicht warm genug, dass sich das Virus gut in den Mücken vermehren und dann übertragen werden könne. Dengue sei keine harmlose Virusinfektion. Kleine Kinder seien vor allem gefährdet.

„In den südeuropäischen Ländern ist das Klima mittlerweile ausreichend, dass in der warmen Jahreszeit die Viren über die Mücken übertragen werden“, hatte Peter Kremsner, Direktor des Instituts für Tropenmedizin, Reisemedizin und Humanparasitologie am Universitätsklinikum Tübingen, kürzlich erklärt. „Auch hier wird es zukünftig eher mehr Übertragungen geben.“

Bangladesch ist nach UN-Angaben eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Zudem ist das südasiatische Land sehr dicht besiedelt, weshalb sich das Virus dort besonders gut ausbreiten kann. Ein staatliches Dengue-Impfprogramm gibt es bisher nicht.

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Libyen: Schwierige Versorgung der Opfer in den Überschwemmungsgebieten

Libyen: Die verheerende Lage in den Katastrophengebieten des Bürgerkriegslandes stellt Rettungsteams vor enorme Herausforderungen. Zufahrtsstraßen sind weggeschwemmt, Brücken unter Schlamm begraben. Hilfsorganisationen rufen zu Unterstützung auf.

Bengasi (dpa/KNA/iz). Nach den verheerenden Überschwemmungen in Libyen stehen die Rettungsteams vor gewaltigen logistischen Herausforderungen. Die Fluten haben Zufahrtsstraßen zur besonders schwer betroffenen Hafenstadt Darna weggeschwemmt, wichtige Brücken sind unter Schlammmassen begraben.

Foto: Jonathan Stutz, Adobe Stock

Libyen leidet unter Bedingungen eines Bürgerkriegs

Insbesondere der Osten der Stadt sei weiter vom Rest abgeschnitten, berichteten Augenzeugen vor Ort der Deutschen Presse-Agentur. Kommunikationsverbindungen seien teilweise abgerissen.

Auch andere Orte in dem Bürgerkriegsland sind auf Unterstützung angewiesen. Nach Einschätzung des Nothilfebüros der Vereinten Nationen brauchen Hunderttausende Menschen dringend Hilfe.

Das Welternährungsprogramm (WFP) hat unterdessen die Versorgung Tausender Familien in Libyen mit Lebensmitteln aufgenommen. Man habe damit begonnen, dringend benötigte Nahrungsmittelhilfe für mehr als 5000 Familien bereitzustellen, teilte die Organisation mit.

„Diese verheerenden Überschwemmungen haben ein Land heimgesucht, in dem eine tiefe politische Krise bereits so viele Menschen in eine verzweifelte Lage gebracht hat. Neben dem tragischen Verlust von Menschenleben sind nun Tausende von Familien in Darna ohne Nahrung und Unterkunft“, sagte die Exekutivdirektorin des WFP, Cindy McCain.

Foto: EU, Copernicus Sentinel-2, via Wikimedia Commons | Lizenz: Commission Delegated Regulation (EU) No 1159/2013

UN-Büro ruft zu Nothilfen auf

In einem Dringlichkeitsappell rief das UN-Büro für humanitäre Hilfe zu Soforthilfen in Höhe von 71,4 Millionen Dollar (rund 67 Millionen Euro) auf, „um den dringenden Bedarf von 250 000 am stärksten betroffenen Libyern zu decken“.

Die Lage im Nordosten des Landes sei kritisch. Fast 900.000 Menschen in fünf Provinzen des Landes lebten in Gebieten, die vom Sturm „Daniel“ und den dadurch ausgelösten Sturzfluten „direkt und in unterschiedlichem Ausmaß“ betroffen seien.

Eine erste Hilfslieferung des Technischen Hilfswerks (THW) traf unterdessen in Libyen ein. Zwei im niedersächsischen Wunstorf gestartete Bundeswehrflugzeuge mit insgesamt 30 Tonnen Hilfsgütern an Bord seien am Donnerstagabend in der Hafenstadt Bengasi gelandet, sagte ein THW-Sprecher. Es handelte sich den Angaben nach um 100 Zelte mit Beleuchtung, 1.000 Feldbetten, 1.000 Decken, 1.000 Isomatten, 1.000 Wasserfilter und 80 Stromgeneratoren.

Foto: Fotis A., via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 4.0

Sturmtief „Daniel“ erfasste Libyen

„Daniel“ hatte das nordafrikanische Land am Sonntag erfasst und heftige Regenfälle ausgelöst. Nahe der Stadt Darna brachen zwei Dämme, ganze Viertel der 100 000 Einwohner zählenden Stadt wurden regelrecht ins Meer gespült.

„Wir erwarten eine sehr hohe Zahl von Opfern“, sagte Bürgermeister Abdel-Moneim al-Gheithy dem arabischen Fernsehsender Al-Arabija. Ausgehend von den zerstörten Stadtbezirken könnten es „18.000 bis 20.000 Tote sein“.

UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths sagte: „Ganze Wohnviertel sind von der Karte verschwunden.“ Die Lage sei „schockierend und herzzerreißend“. Die vordringlichste Aufgabe sei es nun, die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern.

Nach Einschätzung des Leiters der Libyen-Delegation beim Internationalen Roten Kreuz, Yann Fridez, könnte es „viele Monate, vielleicht Jahre dauern, bis die Anwohner sich von diesem riesigen Ausmaß an Zerstörung erholt haben“.

Angesichts der verheerenden Naturkatastrophen in Libyen wie auch in Marokko, wo ein schweres Erdbeben vor einer Woche Tausende in den Tod gerissen hatte, ruft das Deutsche Rote Kreuz (DRK) zu Spenden auf.

DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt sagte der „Rheinischen Post“ (Freitag): „Wir wissen, dass die Betroffenheit angesichts des Erdbebens in Marokko sowie der Flutkatastrophe in Libyen auch in der deutschen Bevölkerung groß ist und der Wunsch, den Menschen vor Ort Unterstützung zu bieten, ebenso.“

Foto: DITIB Zentralmoschee Köln

Muslime sollen am Freitag für Libyen und Marokko spenden

Muslime in Deutschland sollen sich am Freitagsgebet beteiligen und dabei für die Menschen in Libyen und Marokko spenden. Dazu hat der Koordinationsrat der Muslime (KRM) am Donnerstagabend in Köln aufgerufen.

In vielen deutschen Moscheen würden Spenden gesammelt für die Opfer von Erdbeben und Überflutungen und deren Angehörige.

Zum KRM gehören neben dem Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) und dem Islamrat die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), der Verband der Islamischen Kulturzentren, die Union der Islamisch Albanischen Zentren in Deutschland und der Zentralrat der Marokkaner in Deutschland.

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Marokko ordnet Staatstrauer an: Mehr als 2.000 Tote nach Erdbeben

marokko erdbeben

In Marokko kam es in der Nacht zum 9. September zu einem schweren Erdbeben. Deutsche Muslime rufen zu Spenden auf.

Rabat/Berlin (dpa/iz). Nach dem schweren Erdbeben seit Jahrzehnten in Marokko haben die Menschen in den Katastrophengebieten die zweite Nacht in Unsicherheit und Trauer um die Opfer verbracht.

In Marokko steigen die Opferzahlen weiter an

Die Zahl der Toten stieg nach Behördenangaben auf inzwischen 2012. Mindestens 2.059 weitere Menschen wurden verletzt, mehr als die Hälfte davon schwer, wie marokkanische Medien in der Nacht auf Sonntag unter Berufung auf das Innenministerium berichteten.

Das Beben vom späten Freitagabend war das schlimmste seit mehreren Jahrzehnten in dem nordafrikanischen Land. König Mohammed VI. ordnete eine dreitägige Staatstrauer an.

Trotz zahlreicher Hilfsangebote aus aller Welt hat die Regierung des Landes bislang offiziell keine Unterstützung angefordert. Dieser Schritt ist nötig, bevor ausländische Rettungskräfte eingesetzt werden können.

marokko erdbeben

Foto: Maghreb Post 2023

Dennoch halten sich Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks (THW) und von weiteren Hilfsorganisationen in Deutschland und anderen Ländern für einen möglichen Flug in das Katastrophengebiet bereit. „Von unserer Seite ist alles in die Wege geleitet“, sagte eine Sprecherin des THW am Samstagabend der Deutschen Presse-Agentur.

Wie das marokkanische Portal Hespress meldete, ist ein erstes spanisches Team mit Suchhunden in Marokko eingetroffen. 

Die Staats- und Regierungschefs der EU boten in einem Brief an den König ihre Hilfe an und drückten ihre Anteilnahme aus. „Als enge Freunde und Partner Marokkos sind wir bereit, Ihnen in jeder Weise zu helfen, die Sie für nützlich halten“, heißt es in dem Schreiben.

Weltgesundheitsorganisation geht von 300.000 Betroffenen aus

Das Epizentrum lag gut 70 Kilometer südwestlich von Marrakesch im Atlasgebirge. Dort liegen Ortschaften entlang steiler und kurvenreicher Serpentinen. Da Erdbeben in Nordafrika relativ selten auftreten, sind Gebäude nach Einschätzung von Experten nicht robust genug gebaut, um solchen starken Erschütterungen standzuhalten. Das Beben der Stärke 6,8 hatte am späten Freitagabend Panik ausgelöst.

Besonders betroffen sind die abgelegenen Dörfer im hohen Atlas, dem Epizentrum des Erdbebens, dort wurde bis jetzt eine hohe Zahl an Todesopfern verzeichnet. Die Bewohner versuchen mit allen möglichen Mitteln, ihre Nachbarn unter den Trümmern zu erreichen. Nach Angaben des Portals „Maghreb Post“ ereigneten sich die meisten Toten im ländlichen Bezirk Al Haouz.

Foto: Max Brown, Unsplash

In Gebieten vom Atlasgebirge bis zur Altstadt von Marrakesch wurden einige Gebäude zerstört und berühmte Kulturdenkmäler beschädigt. Das Beben sei in einem Umkreis von 400 Kilometern zu spüren gewesen, sagte Nasser Jabour, Leiter einer Abteilung des Nationalen Instituts für Geophysik, der marokkanischen Nachrichtenagentur MAP.

Blockierte Straßen hindern Krankenwagen daran, die Verwundeten zu erreichen. Während sich die Behörden bemühen, die Trümmer zu beseitigen, gestalten sich die Rettungs- und Hilfsmaßnahmen angesichts des bergigen Geländes als äußerst schwierig.

Deutschlands Muslime rufen zu Spenden auf

Direkt nach Bekanntwerden des Bebens und seiner Ausmaße riefen muslimische Organisationen und Helfer in Deutschland zur Nothilfe für das marokkanische Erdbebengebiet auf. 

Am Samstag startete die Hilfsorganisation Islamic Relief Deutschland einen ersten Aufruf. „Spende jetzt und hilf den betroffenen Menschen in Marokko!“, hieß es auf ihrer Webseite: https://www.islamicrelief.de/erdbeben-marokko/

Die Tuisa hilft Stiftung veröffentlichte am Sonntagmorgen einen Spendenaufruf für die Menschen im Erdbebengebiet. Mehr dazu findet sich auf ihrer Webseite: https://tuisa.de/

Der Koordinationsrat der Muslime drückt den Marokkanerinnen und Marokkanern Beileid aus und ruft zur Erdbeben-Nothilfe auf:

„Wir sind tief betroffen angesichts der Folgen des Erdbebens in Marokko. Aktuellen Zahlen zufolge sind über 800 Menschen ums Leben gekommen. Es ist zu befürchten, dass diese Zahl noch weiter ansteigen könnte. Möge Allah die Verstorbenen in seiner Barmherzigkeit aufnehmen. Mögen die Verletzten schnell und vollständig genesen“, hieß es auf der Webseite des Verbands.

Alle seien aufgerufen, sich an der Hilfe „für das marokkanische Volk“ zu beteiligen. Partner-Hilfsorganisationen der KRM-Mitglieder hätten jetzt schon mit der Koordinierung der Hilfe begonnen.

Auf der Webseite der Crowdfundingplattform Commonsplace finden sich mehrere Spendenaufrufe für das Erdbebengebiet: https://www.commonsplace.de/

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Opferfest – der höchste Feiertag

ibrahim Opferfest Hadsch

Das Opferfest (‘Id Al-Adha) findet in Erinnerung an den Propheten Ibrahim und seinen Sohn Ismail statt. „Und rufe die Menschen zur Pilgerfahrt. Lass sie zu dir kommen zu Fuß und […]

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Klima-Extreme: Im globalen Süden verbrauchen sich die wachsenden Städte selbst

Klima-Extreme

Naturkatastrophen wie Klima-Extreme sorgen weltweit für Anteilnahme. Danach geraten die Opfer wieder in Vergessenheit. (KNA). Naturkatastrophen sorgen weltweit für Anteilnahme. Danach geraten die Opfer allerdings schnell in Vergessenheit. Dabei leiden […]

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Jemen geht uns alle an

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Die Lage in Jemen ist katastrophal. Die internationale Gemeinschaft darf nicht länger passiv bleiben. (IPS). Während der Jemenkrieg in sein neuntes Jahr tritt, stehen seine Menschen vor einer humanitären Krise […]

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Mindestens 78 Tote nach Massenpanik in Sanaa

Jemen Sanaa

Millionen Menschen im Jemen fehlt es am Nötigsten. Als in Sanaa nun Geldspenden verteilt werden, kommt es zum tödlichen Gedränge. Schüsse und eine Explosion nach einem Kurzschluss sollen die Panik in der Menge in den entscheidenden Minuten noch verschärft haben. Von Johannes Sadek

Sanaa (dpa). Leblos liegen die Körper im Video aufgereiht, Rufe gehen wild durcheinander: Bei einer Massenpanik im Jemen sind nach Angaben der Huthi-Rebellen mindestens 78 Menschen ums Leben gekommen.

Das teilte das Gesundheitsministerium in der Hauptstadt Sanaa am Donnerstag mit. 77 weitere seien verletzt worden, davon schwebten 13 in Lebensgefahr. Den Huthis zufolge war es bei der Verteilung von Spenden am späten Mittwochabend zu einem tödlichen Gedränge gekommen.

Panik nach Geldspenden in Sanaa?

Ein Sprecher des dortigen Innenministeriums erklärte der von den Huthis betriebenen Nachrichtenagentur Saba zufolge, einige Händler hätten ohne vorherige Koordinierung „willkürlich“ Geldspenden verteilt. Daraufhin sei Panik ausgebrochen.

Augenzeugen beschrieben der Nachrichtenseite „Al-Masdar“, wie zeitweise Schüsse zu hören waren. Diese sowie eine Explosion nach einem Kurzschluss sollen die Panik gesteigert und schließlich zum Gedränge geführt haben. An einer Schule hätten sich vorher Hunderte versammelt, um Geldspenden eines bekannten Händlers zu erhalten. Einige örtliche Medien berichteten, die Huthis hätten die Schüsse abgegeben.

Foto: Jennifer Bose, CARE

Der Jemen liegt im Süden der Arabischen Halbinsel und grenzt an Saudi-Arabien. Die Huthis sind eine Gruppe schiitischer Rebellen, die in ihrem seit 2014 laufenden Aufstand weite Teile des Nordens eingenommen haben und auch die Hauptstadt Sanaa kontrollieren.

Seit 2015 herrscht Stellvertreterkrieg im Jemen

Seit 2015 kämpft Saudi-Arabien im Land mit Verbündeten gegen die Huthis. Die UN sehen wegen laufender Verhandlungen derzeit aber auch Chancen auf eine mögliche Entspannung.

Vor allem bedingt durch die Kriegsfolgen spielt sich in dem ohnehin stark verarmten Land eine der schwersten humanitären Katastrophen weltweit ab. Etwa 21 Millionen Menschen sind auf irgendeine Form von humanitärer Hilfe und Schutz angewiesen. Das Welternährungsprogramm (WFP) versucht, 13 Millionen Menschen im Land zu erreichen. Es ist der größte Nothilfeeinsatz des WFP weltweit.

Foto: Husam Alqoliaa, Shutterstock

Militante Huthis machen Händler verantwortlich

In Videos, die die Szenen nach dem Vorfall zeigen sollen, lagen zahlreiche Leichen aufgereiht am Boden. In einem Video war zu sehen, wie Dutzende Menschen sich unter lauten Schreien auf engstem Raum drängen, einige scheinen in der Masse dabei buchstäblich unterzugehen. Die Tragödie trug sich in den letzten Tagen des muslimischen Fastenmonats Ramadan zu.

Der Vorsitzende des Hohen Politischen Rats, Mahdi al-Maschat, sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus und forderte eine Aufklärung des Vorfalls. Ein dafür bestimmter Ausschuss besuchte die Schule laut einem Saba-Bericht noch am Abend.

Zwei mutmaßlich verantwortliche Händler wurden festgenommen. Das Huthi-Innenministerium beschuldigte sie, das Geld ohne vorherige Koordinierung mit dem Ministerium verteilt zu haben.

Die Huthis – offiziell bekannt als Ansar Allah, die „Unterstützer Gottes“ – gehören der Glaubensgemeinschaft der Zaiditen an, einem Zweig des schiitischen Islams. Im Nordjemen herrschen sie in einer Art Zwergstaat, wo sie ihre religiöse Ideologie auf totalitäre Weise durchsetzen. Sie kontrollieren alle Bereiche des öffentlichen Lebens und erheben unter anderem Zölle und Steuern.

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Historikerin Terhoeven: „Opfer sind unbequem für die Gesellschaft“

Opfer Terror Rassismus Hanau Kurtović

Gesellschaftliche Hierarchien spiegeln sich auch im Umgang mit Opfern. Es gibt Betroffene, die eine größere Lobby haben und erfolgreicher für ihre Belange werben können.

Göttingen (KNA). Terroranschläge, Amokläufe oder Mordserien: Immer wieder haben schwere Verbrechen die Gesellschaft in den vergangenen Jahren erschüttert. Während sich die breite Aufmerksamkeit schnell wieder verschiebt, bleiben solche für Überlebende und Hinterbliebene eine Zäsur. Im Umgang mit ihnen hat sich viel verbessert, sagt die Historikerin Petra Terhoeven. Im Interview der KNA spricht sie darüber, welche Probleme dennoch weiterhin bestehen. Von Paula Konersmann

Umgang mit Opfern hat sich verbessert

Frage: Frau Professorin Terhoeven, wie bewerten Sie den gesellschaftlichen Umgang mit Menschen, die von gravierenden Verbrechen betroffen sind?

Terhoeven: Das lässt sich so allgemein schwer beantworten. Tendenziell hat sich der Umgang mit Opfern in den vergangenen Jahrzehnten verbessert – was allerdings nicht bedeutet, dass nicht nach wie vor massive Fehler gemacht werden. Dafür spielen unterschiedliche Rahmenbedingungen eine Rolle, zum Beispiel das Internet.

Foto: Tinnakorn, Shutterstock

Frage: Inwiefern?

Terhoeven: Online wird Menschen, die Leid erfahren haben, bisweilen übel mitgespielt, und es ist viel schwieriger, sie zu schützen. Nach jedem Autounfall gibt es Leute, die Bilder davon im Netz veröffentlichen. Dagegen ist die Sensibilität für das Thema sowohl in der Politik als auch in den seriösen Medien und in der Wissenschaft gewachsen. Manche Fachleute sprechen von einem „turn to the victim“: Sie sehen diese Hinwendung zu den Opfern als entscheidenden Wendepunkt.

Frage: Kann man diesen Wendepunkt zeitlich verorten?

Terhoeven: Jan Philipp Reemtsma, der durch seine Entführung selbst Opfer einer fürchterlichen Gewalttat war, vertritt die These, dass der Wandel eingesetzt hat, als man begonnen hat, den Überlebenden der Schoah zuzuhören.

1976 ist das Opferentschädigungsgesetz in Kraft getreten, in den 80er Jahren wurde in der Folge auch der Status von Opfern vor Gericht stark aufgewertet. In dieser Zeit sind zudem zivilgesellschaftliche Organisationen wie der Weiße Ring entstanden. 1980 erfolgte der Eintrag von posttraumatischen Belastungsstörungen in das internationale Manual für psychische Probleme, das DSM. Seither werden Traumata viel stärker anerkannt.

Foto: ZUMA Press, Inc. / Alamy Stock Photo

Folge vergangener Terroranschläge

Frage: Welche Rolle spielen die Anschläge der vergangenen 20, 25 Jahre?

Terhoeven: Im Anschluss an den 11. September 2001, wo 3.000 Menschen gleichzeitig Opfer eines terroristischen Anschlags wurden, haben Angehörige für ihre Belange gestritten – und waren dabei erfolgreich. Was die Opfer rechter Gewalt angeht, muss man die Zäsur deutlich später setzen. Da hat es eine sehr lange Missachtung gegeben, eine gesellschaftliche Nicht-Anerkennung. Das hat sich erst nach der Selbstenttarnung des NSU 2011 teilweise geändert.

Frage: Durch die Terror-Anschläge der jüngeren Vergangenheit ist das Thema näher gerückt …

Terhoeven: Deswegen ist es so wichtig, dass es einen Opferschutzbeauftragten der Bundesregierung gibt, an den sich Betroffene mit ganz konkreten Anliegen wenden können. Oder auch Gedenktage: Ich befasse mich vor allem mit den Opfern von Terrorismus, ihnen ist der 11. März als europäischer Gedenktag gewidmet. Seit 2022 wird der Tag auch bei uns begangen. An diesem Tag im Jahr 2004 wurden Vorstadtzüge in Madrid angegriffen, dabei starben 193 Menschen, und über 2.000 wurden verletzt.

Foto: Pixnio, Amanda Mills

Was sich ändern muss

Frage: Wo sehen Sie Nachholbedarf?

Terhoeven: Die Entwicklungen, die ich beschrieben habe, sind in vielerlei Hinsicht zwiespältig. Es ist auf jeden Fall ein zivilisatorischer Fortschritt, dass es weniger Misstrauen gibt, dem Opfer über Jahrhunderte ausgesetzt waren.

Zugleich gibt es den Begriff „Opfer“ weiterhin als Schimpfwort, insbesondere auf Schulhöfen. Viele Betroffene wollen nicht als Opfer bezeichnet werden, weil sie genau dieses Stigma fürchten, die Unterstellung, man versuche sich unrechtmäßige Vorteile zu erschleichen. Daher kann man nur bedingt von einer Erfolgsgeschichte sprechen.

Frage: Sie haben das Thema NSU angesprochen. Was sagt das über die Wahrnehmung verschiedener Gruppen von Betroffenen aus?

Terhoeven: Gesellschaftliche Hierarchien spiegeln sich auch im Umgang mit Opfern. Es gibt Betroffene, die eine größere Lobby haben und erfolgreicher für ihre Belange werben können. Da andere weniger präsent sind, gibt es weiterhin so etwas wie eine Opferkonkurrenz. Dabei ist es ein Unding, das eine Leid gegen das andere aufzurechnen. Es sollte keine Rolle spielen, ob jemand Opfer eines rechts- oder linksextremen oder auch islamistisch motivierten Anschlags geworden ist.

Foto: DVIDSHUB, via flickr | Lizenz: CC BY 2.0

Eine Frage der Begriffe

Frage: Welchen Unterschied macht es, ob man etwa von „Opfern“, „Überlebenden“ oder „Betroffenen“ spricht?

Terhoeven: Jeder Begriff hat Vor- und Nachteile. Letztlich gilt das Veto der Betroffenen: Wenn jemand sagt, er möchte mit einem bestimmten Begriff nicht bezeichnet werden, dann sollte man das selbstverständlich respektieren. Zugleich fände ich es problematisch, auf den Begriff „Opfer“ vollkommen zu verzichten. Der Kultursoziologe Hans-Joachim Höhn argumentiert, wo auf Begriffe verzichtet wird, da werden bald auch Phänomene ignoriert. Der Begriff kann also auch dazu dienen, Gewalt als illegitim zu markieren.

Frage: Das führt auch zur Frage nach Anerkennung von Leid …

Terhoeven: … nach der Anerkennung eines Leids, das nicht wiedergutzumachen ist – oder nach der Anerkennung einen unwiederbringlichen Verlustes. Für Betroffene kann es wichtig sein, zu vergessen und sich aus dem Opferstatus zu befreien. Aber darüber darf niemand Außenstehendes entscheiden. Opfer sind unbequem für eine Gesellschaft, die lieber verdrängen möchte, wie verletzlich wir alle sind. Die mangelnde Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen, kann eben auch zur Abwertung von Opfern führen: Die sind nicht ernstzunehmen, die sind nicht objektiv, die geben sich mit nichts zufrieden.

Frage: Sie sprechen auch von einem „Stigma durch Hilflosigkeit“. Was ist damit gemeint?

Terhoeven: Unter einem Opfer stellen sich viele Menschen jemanden vor, der passiv ist. Auf diese Rolle werden Betroffene zu Recht ungern festgelegt. Im Englischen wird unterschieden zwischen „victim“ und „sacrifice“, und im Begriff „victim“ steckt schon sprachgeschichtlich viel von dieser Passivität. Die lateinische Wurzel des Wortes verweist auf das besiegt- oder festgebunden werden.

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