Hamas-Terror und seine Folgen: Seit gestern herrscht offiziell Krieg zwischen Israel und der Hamas. Beschuss aus dem Libanon. Ein erster Überblick der Ereignisse
Berlin (dpa, kann, iz). In den frühen Morgenstunden des 7. Oktober erklärte die Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert, den Beginn einer „Militäroperation“. Das sagte Militärchef Mohammed Deif am Samstagmorgen. Seit Beginn schoss die Organisation tausende Flugkörper auf Israel ab.
Hamas-Terror in bisher unbekanntem Ausmaß. Sorgen um Entführte
Neben den bekannten ungelenkten Raketenangriffen auf Ziele in Israel kam es zu massiven Angriffen jenseits des Grenzzauns. Einheiten überwanden die Grenzsperren zu Fuß, mit Fahrzeugen und mit Ultraleichtfahrzeugen. Sie griffen mehr als 14 Siedlungen, Städte sowie Stützpunkte an.
Neben einer hohen Zahl entführter Bürger und Soldaten starben mehr als 500 Zivilisten durch Terroraktionen. Aus Israel ist inzwischen von mehr als 600 Toten und unzähligen Verletzten die Rede. In Gaza sollen nach Angaben der Gesundheitsbehörden mindestens 370 Menschen bei israelischen Luftangriffen getötet worden sein.
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Hamas hat bei ihrem Angriff nicht nur zahlreiche Menschen ermordet, viele Bewohner der Grenzregion wurden verschleppt. Darunter sind Deutsche. Schätzungen, die von Medien kolportiert werden, gehen über die offizielle Zahl hinaus: Demnach sollen sich rund 170 Israelis in Gefangenschaft im Gazastreifen befinden – auch alte Menschen und Kinder.
An mehreren Orten gelang es der israelischen Armee, von der Hamas als Geiseln genommene Israelis zu befreien. Die Bemühungen um die Befreiung weiterer Geiseln dauern an.
Angriff kam unerwartet
Der massive Angriff aus dem Gaza-Streifen kam unerwartet. Allerdings hatte sich die Lage vor allem im besetzten Westjordanland zuletzt wieder zugespitzt. Ministerpräsident Netanjahu muss sich inzwischen unangenehme Fragen von Bevölkerung, Medien und Opposition gefallen lassen: Zum Zeitpunkt des Terroranschlags befand sich ein großer Teil aktiver Einheiten in den palästinensischen Gebieten des Westjordanlands.
Im Gazastreifen leben nach UN-Angaben mehr als zwei Millionen Menschen unter schlechten Bedingungen. Die von der EU, den USA und Israel als Terrororganisation eingestufte Hamas hatte 2007 gewaltsam die alleinige Macht übernommen. Tel Aviv verschärfte daraufhin eine Blockade des Küstengebiets, die von Ägypten unterstützt wird.
Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid forderte den Premierminister auf, eine Notstandsregierung zu bilden. Er habe dem Regierungschef angeboten, Differenzen beiseitezulegen, um die Gefahr eines sich ausweitenden Krieges zu bewältigen. Mit dem gegenwärtigen extremistischen Sicherheitskabinett könne er keinen Krieg führen.
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Netanjahu: „Wir sind im Krieg“
„Bürger Israels, wir sind im Krieg“, verkündete Ministerpräsident Benjamin Netanyahu am Samstag aus dem Militärhauptquartier. Offiziell wurde das Land in Kriegsbereitschaft versetzt. Als Reaktion auf den Angriff hätten Kampfflugzeuge den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen angegriffen, bestätigte ein Armeesprecher.
„Der Feind wird einen Preis zahlen, wie er ihn noch nie zuvor gekannt hat“, sagte er in einer ersten Reaktion auf den anhaltenden Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen in einer Videobotschaft auf dem Portal X.
„Die Hamas hat heute Morgen einen schweren Fehler begangen und einen Krieg gegen den Staat Israel begonnen“, sagte der israelische Verteidigungsminister Joav Galant am Samstag. Soldaten kämpften „an allen Stellen, an denen eingedrungen wurde“. Derzeit würden die verbliebenen Hamas-Einheiten auf israelischem Gebiet bekämpft.
Dabei soll es nicht bleiben. Nachdem die Streitkräfte in den Kriegszustand versetzt wurden, zieht Tel Aviv verfügbare Einheiten und Reservisten zusammen. Sie sollen Gaza nicht nur aus der Luft, sondern auch vom Boden aus angreifen.
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Teheran „gratuliert“ zum Terror
Im Gegensatz zu weiten Teilen der Welt „gratulierte“ der Sprecher des iranischen Außenministeriums der Hamas nach ihrem Angriff. Die Operation sei „ein Wendepunkt in der Fortsetzung des bewaffneten Widerstands des palästinensischen Volkes gegen die Zionisten“, sagte Nassar Knaani der Agentur ISNA am Samstag.
Am selben Tag riefen Abgeordnete im Teheraner Parlament zu Beginn der Sitzung „Nieder mit Israel“. Ein hochrangiger Militärberater von Staatsoberhaupt Khamenei äußerte sich nach dem Großangriff zustimmend. „Wir unterstützen diese Operation, und wir sind sicher, dass auch die Widerstandsfront dieses Anliegen unterstützt“, meinte Kommandeur Rahim Safavi.
Am Sonntag erklärte ein Hamas-Sprecher vor Journalisten, man habe dafür iranische Hilfe erhalten. Ein Vertreter Khameneis bestätigte dies.
Libanesischen Medienberichten zufolge begrüßte die vom Iran unterstützte Hisbollah die Angriffe der Hamas. Die „siegreiche Operation“ sei eine entscheidende Antwort auf die ständigen Verbrechen der Besatzer und die Entweihung von Heiligtümern, heißt es demnach in ihrer Erklärung.
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UN warnt vor „Mehrfrontenangriff“
Der UN-Sonderkoordinator für den Nahostfriedensprozess, Tor Wennesland, verurteilte in einem X-Beitrag den „Mehrfrontenangriff“ auf Israel.
„Diese Ereignisse haben zu schrecklichen Gewaltszenen und zahlreichen israelischen Todesopfern und Verletzten geführt, von denen viele vermutlich innerhalb des Streifens entführt wurden“, so Wennesland, der ein sofortiges Ende der Gewalt auf Zivilisten forderte.
Der Angriff habe „schreckliche Auswirkungen auf die israelische Zivilbevölkerung“, sagte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk laut einer Mitteilung. Er forderte ein sofortiges Ende der Gewalt und rief Tel Aviv auf, bei seinen Vergeltungsschlägen in Gaza „alle Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, um zivile Opfer zu vermeiden“.
Außenministerin warnt vor „großer Eskalation“
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock warnte nach dem Großangriff vor einer Eskalation in der Region. „Dieser Tag ist eine Zäsur, ein beispielloser Akt der Eskalation durch die Hamas“, sagte die Grünen-Politikerin am Samstag in Berlin. „Durch diese Terrorangriffe besteht nun die unkalkulierbare Gefahr einer großen regionalen Eskalation.“ Sie könne nur „auf das Schärfste davor warnen, dass sich andere diesem Terror anschließen“.
„Nichts rechtfertigt unterschiedslosen Raketenbeschuss, Kommandoangriffe auf friedliche Zivilisten, die brutale Entführung von unschuldigen Menschen“, so Baerbock. Die Geiselnahmen der Hamas seien „abscheulich und verstoßen gegen das humanitäre Völkerrecht“.
Der Terror der Hamas müsse sofort beendet werden. Die Bundesregierung stehe solidarisch an der Seite Israels. Das Land habe laut dem internationalen Recht einen verbrieften Anspruch auf Selbstverteidigung. Zugleich forderte sie die Palästinenser auf, sich vom Terrorismus und dem Vorgehen der Hamas zu distanzieren.
„Deutschland verurteilt diesen massiven und rücksichtslosen Angriff auf Zivilisten aus der Luft und vom Land aus“, schrieb der deutsche Botschafter in Tel Aviv, Steffen Seibert, auf X.
Vor dem Bundespräsidialamt, dem Kanzleramt und dem Bundestag wehte am Sonntag die israelische Flagge. Auf das Brandenburger Tor wurde sie am Samstagabend Fahne projiziert. Bundesweit wurden die Sicherheitsvorkehrungen vor israelischen und jüdischen Einrichtungen erhöht.
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Die USA forderten alle Seiten auf, von Gewalt und Vergeltungsangriffen abzusehen. Der Angriff der Hamas-Terroristen werde „unmissverständlich verurteilt“, zitiert die Zeitung „Haaretz“ aus einer Stellungnahme des US-Büros für palästinensische Angelegenheiten.
Die chinesische Führung verlangte ein Ende der Gewalt. China sei zutiefst besorgt über die jüngste Verschärfung der Spannungen, hieß es am Sonntag in einer Mitteilung des Pekinger Außenministeriums. Alle Beteiligten sollten „Zurückhaltung üben, das Feuer sofort einstellen, die Zivilbevölkerung schützen und sicherstellen, dass sich die Situation nicht weiter verschlechtert“.
Der einzige Weg zu einer Beilegng sei die Umsetzung einer „Zwei-Staaten-Lösung“ und die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates.
Koordinationsrat der Muslime verurteilt Gewalt und fordert sofortiges Ende
„In Israel und Palästina kam es wieder zur Gewalteskalation. Die Hamas startete einen Angriff gegenüber Israel, bei der auf beiden Seiten mehrere hunderte Menschen ums Leben gekommen sind. Tausende Menschen wurden verletzt und befürchten, dass die Kämpfe weiter anhalten“, hieß es in einer Pressemitteilung des Koordinationsrates der Muslime (KRM).
„Wir als KRM verurteilen die Raketenabschüssse und Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und appellieren an alle Parteien, der Gewalt ein Ende zu setzen und auf keinen Fall noch weiter eskalieren zu lassen.“ In diesen Zeiten sei Besonnenheit und Mäßigung gefordert, „ansonsten droht die Gefahr, dass es zu fürchterlichen Gewaltexzessen und -überschreitungen kommt“. (sw)