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Nach 54 Jahren: Wenn die Herrschaft einer Familie endet

herrschaft syrien deutschland

Innerhalb von 12 Tagen beendeten die Syrer aus eigener Kraft die blutige und ungerechte Herrschaft der Assad-Familie. Inmitten des Jubels bleiben Fragen über die Zukunft.

(dpa, iz). Am 15. März 2011 begannen friedliche Proteste in der südsyrischen Stadt Daraa gegen die Diktatur von Bashar Al-Assad und die Herrschaft seines Familienclans.

Anstatt in einer Demokratisierung und Befreiung des Landes mündete der „Arabische Frühling“ in Syrien zu einem schier unendlichen Bürger- und Stellvertreterkrieg, der hunderttausenden Syrern das Leben kostete und Mio. in die Flucht trieb. Dieses Kapitel der syrischen Geschichte scheint an ihr Ende gekommen zu sein.

Die Regierungszeit von Machthaber Assad in Syrien ist selbst der staatlichen Armee zufolge beendet. Dies habe das Armeekommando den Regierungssoldaten mitgeteilt und diese damit außer Dienst gestellt, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus syrischen Militärkreisen.

HTS-Führer Al-Julani im ersten Interview mit einer westlichen Reporterin nach der Einnahme von Aleppo. (Screenshot: CNN)

Das Ende der Herrschaft des Assad-Clans: Es begann mit einer begrenzten Offensive

Erst vor anderthalb Wochen starteten die HTS-Rebellen ihre Offensive – und scheinen ihr Ziel erreicht zu haben. Verschiedene oppositionelle Gruppen haben jetzt aus mehreren Himmelsrichtungen die Hauptstadt Damaskus eingenommen. Der ehemalige Machthaber Baschar Al-Assad hat das Land verlassen – man munkelt in Richtung Moskau.

Innerhalb kurzer Zeit übernahmen die Aufständischen die Kontrolle über viele Orte, darunter Aleppo und Hama, weitgehend kampflos. Erst am Samstag hatten die Rebellen das strategisch wichtige Homs eingenommen. Verschiedene andere Gruppen rückten zugleich von Süden aus Richtung Damaskus vor. Sie eint bisher das Ziel, Assad stürzen zu wollen.

Wie der Sprecher einer der bewaffneten Fraktionen erklärte, markiere der 8. Dezember 2024 das „Ende einer dunklen Ära“ der Unterdrückung unter Assad und seinem Vater Hafiz.

Bisheriger Ministerpräsident will angeblich kooperieren

Syriens Ministerpräsident Mohammed al-Dschalali blieb eigener Darstellung zufolge im Land und will bei einem Machtwechsel Kooperieren. „Wir sind bereit, (die Macht) an die gewählte Führung zu übergeben“, sagte Al-Dschalali in einer Videobotschaft, die er laut eigener Aussage in seinem Zuhause aufzeichnete. Über diese Führung müsse das Volk entscheiden. „Wir sind bereit, sogar mit der Opposition zusammenzuarbeiten.“

Im Zentrum von Damaskus brach nach Assads Flucht Jubel aus. Anwohner klatschten dort auf der Straße und einige waren beim Gebet zu beobachten, wie Augenzeugen berichteten. In sozialen Netzwerken machten Videos von Anwohnern die Runde, die auf einen Panzer klettern und feierliche Gesänge anstimmen.

Exilsyrer im Jubel mit ihren Landsleuten vereint

Mit Begeisterung und ungläubigem Staunen haben Assad-Gegner im Exil auf den Vormarsch der Rebellen reagiert. Einige von ihnen rufen gleichzeitig zu Mäßigung und Versöhnung auf.

Mit Euphorie und Aufrufen zur Versöhnung haben syrische Exil-Oppositionelle in Deutschland und anderen westlichen Staaten auf das Ende der Herrschaft von Präsident Baschar al-Assad reagiert.

Gleichzeitig verfolgen viele von ihnen mit Spannung die Nachrichten von der Befreiung ehemaliger Weggefährten und anderer politischer Gefangener. „Lasst uns unser Syrien gemeinsam wieder aufbauen“, schrieb der Menschenrechtsanwalt Michal Shammas auf seiner Facebook-Seite.

Screenshot: Obaida Al Hayani, X

Hassan al-Aswad von der Syrischen Demokratischen Allianz rief seine Landsleute auf, denjenigen zu verzeihen, die zwar Teil des alten Systems waren, aber keine schweren Verbrechen begangen haben.

Der Anwalt aus der Stadt Daraa, der als Flüchtling in Hannover lebt, veröffentlichte ein Video, in dem er sagte, es sei gut, dass beim Vorrücken der Assad-Gegner bislang keine staatlichen Einrichtungen zerstört worden seien. Er sagte: „Ich verzeihe dem Menschen, der seit 2012 mein Haus besetzt hat.“ Er fügte hinzu: „Gott möge dir verzeihen. Ich will nichts von dir.“ 

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Die „Achse der Verletzlichen“ zerbricht in Syrien

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Die sogenannte „Achse der Verletzlichen“ bricht in Syrien zusammen. Seine Verbündeten sind momentan stark geschwächt. Geopolitische Hintergründe von Scott Lucas.

(The Conversation). Die sogenannte „Achse der Verletzlichen“ bricht in Syrien zusammen. Ab 2016 brauchten Russland und der Iran, die das Regime von Baschar al-Assad stützten, mehr als ein Jahr lang mit Bombardierungen, Bodenangriffen und Belagerungen, um die Rebellenopposition im Osten der zweitgrößten Stadt Syriens, Aleppo, zu brechen.

Jetzt brauchten die Rebellen weniger als vier Tage, um die Metropole und den größten Teil ihres Distrikts zu befreien. Sie eroberten auch Gebiete in der benachbarten Provinz Idlib zurück und rückten nach Süden nach Hama vor.

Die russischen Streitkräfte blieben in ihren Stützpunkten am Mittelmeer. Und der Iran und sein libanesischer Verbündeter, die Hisbollah, waren vom Vormarsch der Rebellen in ihren Stellungen im Nordwesten Syriens überrascht. Sie gaben ihre Positionen auf, aber nicht bevor mindestens einige Kommandeure getötet wurden.

Seit 2020, nachdem Russland und der Iran seiner Armee geholfen haben, die Opposition in weiten Regionen des Landes zurückzudrängen, hat Assad den Vorsitz über einen Teil des zersplitterten Staates inne.

Er und seine Verbündeten hielten die meisten der größten Städte, darunter Aleppo und die Hauptstadt Damaskus, während von der Türkei unterstützte Oppositionsgruppen den größten Teil Nordwestsyriens kontrollierten und von den USA unterstützte kurdische Fraktionen im Nordosten eine Autonomie schaffen konnten.

Jetzt hat Assad nicht einmal mehr die Kontrolle über seine Portion der Aufteilung. Und die russischen und iranischen Verbündeten, die von einem Großteil der Welt isoliert sind, scheinen nicht in der Lage, seine Herrschaft auf dem Papier wiederherzustellen.

Foto: en.kremlin.ru | Lizenz: CC BY 4.0

Syrien: Wer unterstützte Assad bisher?

Seit Beginn des Aufstands in Syrien gegen die langjährige Kontrolle seines Clans im März 2011 haben Moskau und Teheran dem Regime politische, logistische, nachrichtendienstliche und propagandistische Hilfe gewährt.

Der Iran übernahm praktisch den Befehl über sein Militär ab September 2012. Er schulte Zehntausende Milizionäre, um die geschwächten Streitkräfte aufzufüllen. Die Hisbollah entsandte ab 2013 ihre Kämpfer, um die Regierung nahe der libanesischen Grenze zu retten. Russland intervenierte ab September 2015 mit Spezialeinheiten und Luftstreitkräften.

Ein Großteil des Erfolgs von Assad und seinen Verbündeten lag in ihrer Fähigkeit, die internationale Gemeinschaft zu zermürben. Der Kreml verbreitete gezielt Desinformationen, um die tödlichen Chemiewaffenangriffe des Regimes zu vertuschen und um Oppositionsaktivisten und die syrische Zivilverteidigung „Weißhelme“ zu verunglimpfen.

Die Obama-Regierung ließ sich, anstatt das Regime zur Rechenschaft zu ziehen, in fruchtlose Diskussionen über einen Waffenstillstand hineinziehen. Die EU wurde außen vor gelassen, die UN waren machtlos und die arabischen Obrigkeiten sahen schließlich tatenlos zu.

Der größte Triumph des Regimes war vielleicht die Darstellung des Niedergangs der Anti-Assad-Bewegung als außergewöhnlich. Ost-Aleppo wurde im Dezember 2016 zurückerobert. Der Distrikt Daraa, ursprünglicher Entstehungsort der Proteste, sowie der Rest von Südsyrien folgten 2018. Und nach einer elfmonatigen Offensive wurden die Provinz Hama und Teile von Idlib wiederbesetzt, bevor im März 2020 ein von Russland und der Türkei ausgehandelter Waffenstillstand geschlossen wurde.

Aber diese Darstellung war auch eine Illusion, die Schwäche vertuschte. Russische Bombenangriffe und Belagerungen hatten einen Großteil des Landes eingeebnet und erstickt. Doch Moskau, der Iran und die Hisbollah verfügten immer noch nicht über die Streitkräfte, um dem Regime bei der Eroberung des restlichen Nordwestsyriens zu helfen oder die Kurden im Nordosten zu vertreiben.

„Wiederaufbau“ war eine trügerische Bezeichnung für die von der Regierung zurückeroberten Gebiete. Die nationale Wirtschaft, die seit langem unter der Kleptokratie der Assad-Elite leidet, verlor zwischen 2010 und 2020 mehr als die Hälfte ihres BIP. Das syrische Pfund, das 2011 noch einen Wert von 47 zum US-Dollar hatte, fielt inzwischen auf 13.000 in Relation zur Leitwährung und ist inoffiziell weit schwächer. Und die internationalen Sanktionen, die wegen der Massenmorde und der Unterdrückung durch das Regime verhängt wurden, sind weiterhin in Kraft.

Die Regierung konnte zwar auf Unterstützung von außen zählen, aber es konnte die Illusion der Macht aufrechterhalten. Doch dann setzte der russische Präsident Wladimir Putin darauf, dass seine Invasion die Ukraine 2022 schnell erobern würde. Fast drei Jahre später hat er den Großteil der Moskauer Ressourcen in Operationen dort gesteckt und das Land unter internationalen ökonomischen Druck gesetzt.

Die iranische Führung wird von Massenprotesten wegen sozialer Fragen, darunter auch Frauenrechte, bedrängt. Die Wirtschaft schwankt immer noch zwischen Ineffizienz und Sanktionen. Und gezielte Attentate und verdeckte Operationen durch Israel und die USA haben das Militär geschwächt.

Die Hisbollah wurde durch die Angriffe Tel Avivs in den letzten drei Monaten stark dezimiert, von explodierenden Pagern bis hin zur Tötung von Kommandeuren, darunter auch des Oberbefehlshabers Hassan Nasrallah. Ein wackeliger Waffenstillstand hat die Kämpfer nicht vor der Bedrohung durch israelische Luft- und Bodenangriffe bewahrt.

Als die Rebellen letzte Woche angriffen, standen sie nicht einer gepriesenen „Achse des Widerstands“ gegenüber. Sie sahen nur den verschwindenden Schatten von Assads angeblicher Autorität.

Foto: Presidential Office of Türkiye

Die Schlüsselrolle der Türkei

Wie geht es für den syrischen Präsidenten und seine Unterstützer weiter? Die Antwort könnte nun beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan liegen.

Dieser hat die Rebellenoffensive zwar nicht gestartet – Quellen zufolge soll Abu Mohammad al-Jolani, Anführer von Hayat Tahrir al-Sham, die Entscheidung getroffen haben. Aber er ist der Nutznießer des Ergebnisses. Die politische und wirtschaftliche Reichweite der Türkei im Nordwesten Syriens hat sich seit 2016 auf die größte Stadt des Landes ausgedehnt.

Ankara hat Einfluss auf die Verhandlungsbedingungen. Es kann die Rebellen ermutigen und sogar ausrüsten, weiterzumachen, oder es kann einen Stopp und eine Konsolidierung fordern, um sich auf ein Treffen mit den Russen und Iranern vorzubereiten. Der türkische Außenminister Hakan Fidan hat bereits seinen Teheraner Amtskollegen zu einem diplomatischen Meeting empfangen.

Aber das wirft weitere Fragen auf. Erdoğans Hauptfeind in Syrien ist nicht Assad, sondern die kurdischen Behörden, die er als Teil der türkisch-kurdischen Aufstandsgruppe PKK betrachtet.

Bisher gab es zwischen den von der Türkei unterstützten Rebellen und den von den Kurden angeführten Syrian Democratic Forces (SDF) keine ernsthaften Zusammenstöße. Die SDF und kurdische Beamte haben sich Berichten zufolge aus Gebieten in der Provinz Aleppo zurückgezogen und sich in den Nordosten Syriens zurückgezogen.

Aber wird Ankara das akzeptieren oder wie im Jahr 2019 einen Angriff auf den Nordosten verfolgen? Berichten zufolge hat Ankara Gespräche mit dem Assad-Regime über eine von der Türkei kontrollierte „Pufferzone“ weit innerhalb der Grenze aufgenommen.

Damit kommen wir zu den USA, die die Kurden und die SDF maßgeblich unterstützt haben. Im Moment wird Washington dieses Engagement wahrscheinlich beibehalten. Aber ab Januar ist vieles möglich, denn Donald Trump kehrt ins Weiße Haus zurück.

Nach einem Gespräch mit Erdoğan Ende 2018 versuchte dieser, alle US-Truppen aus Syrien abzuziehen. Er wurde vom Pentagon überlistet, aber ein weiteres Telefonat mit dem türkischen Präsidenten im Oktober 2019 gab grünes Licht für eine türkische Invasion über die Grenze.

Die Achse der Schwachen bricht, aber die Ära der Unsicherheit in Syrien geht weiter. Die syrischen Bürger können nur hoffen, dass sie jetzt nicht so tödlich oder zerstörerisch ist.

Dieser Artikel ist ein Wiederabdruck aus The Conversation unter einer Creative Commons-Lizenz. Lesen Sie den Originalartikel.

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Aufgeflammter Krieg in Syrien: UN-Chef fordert Zugang zu Hilfe

syrien

Nach Jahren ohne größere Kämpfe ist der Syrienkrieg wieder entflammt. Der UN-Chef verlangt politische Gespräche. Viele Oppositionelle hoffen auf ein Ende des Regimes.

(dpa, iz). Nach dem erneuten Aufflammen der Kämpfe in Syrien hat UN-Generalsekretär António Guterres humanitären Zugang zu allen bedürftigen Zivilisten und ein Ende der Gewalt gefordert. Dazu habe er mit dem türkischen Präsidenten Erdogan telefoniert, sagte er in New York.

„Ich habe den dringenden Bedarf betont für einen sofortigen humanitären Zugang zu allen bedürftigen Zivilisten und eine Rückkehr zu einem von den UN unterstützten politischen Prozess für ein Ende des Blutvergießens.“

Nach 14 Jahren Krieg sei es „Zeit für ernsthaften Dialog“. Zehntausende Zivilisten seien bedroht in einer Region, die schon brenne.

HTS-Führer Al-Julani im ersten Interview mit einer westlichen Reporterin nach der Einnahme von Aleppo. (Screenshot: CNN)

Al-Julani: „Das Regime ist tot“

Das Ziel der syrischen Rebellenallianz ist nach Worten des Anführers Abu Mohammed Al-Julani (eigentlich Ahmed Hussein al-Shara)  der Sturz von Syriens Machthaber Baschar al-Assad. Das Scheitern sei schon immer im Regime selbst gekeimt, sei schon immer in ihm selbst gekeimt, sagte er dem US-Sender CNN.

Die Iraner und Russen hätten versucht, es wiederzubeleben. „Aber die Wahrheit bleibt: Dieses Regime ist tot“, so der HTS-Führer.

Er plane in Syrien ein auf Institutionen basierendes Regierungssystem zu errichten. Nicht eines, in dem ein einzelner Herrscher willkürlich Entscheidungen treffe, sagte er. „Wir sprechen nicht über die Herrschaft von Einzelpersonen oder persönliche Launen.“

Mitte vergangener Woche hatten oppositionelle Gruppen unter der Führung von HTS ihre Offensive im Nordwesten Syriens begonnen und am Wochenende die Kontrolle über Aleppo übernommen, der zweitgrößten Stadt des Landes. Mittlerweile kontrollieren sie auch die Provinz Hama und marschieren auf das strategisch wichtige Homs zu.

Nach Eroberung der Provinzhauptstadt Hama öffneten bewaffnete Kämpfer die Foltergefängnisse des Assad-Regims. Die Inhaftierten saßen teils seit 2011 ein. (Foto: Thomas Van Linge, X)

Iran will Entsendung von Truppen prüfen

Ein Machtwechsel in Syrien oder gar der Fall Assads hätte für die iranische Führung gravierende Folgen. Das Bündnis mit Syrien als „Korridor“ zum Mittelmeer war für Teheran bislang zentral, um Waffen an die Hisbollah im Libanon zu liefern und den regionalen Einfluss zu stärken.

Außenminister Abbas Araghtschi erklärte, mögliche Truppenentsendungen zu prüfen, falls die syrische Regierung dies fordert. Bereits jetzt hat der Iran einen berüchtigten Kommandeur in das Bürgerkriegsland geschickt.

Die Delegation unter Führung von General Dschawad Ghafari, eines Syrien-Kenners, soll die Gegenoffensive der Regierungstruppen unterstützen. Er wurde durch seine Rolle bei der Rückeroberung Aleppos im Jahr 2016 als „Schlächter von Aleppo“ bekannt, wie das US-amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW) berichtete.

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Syrische Rebellen erreichen Aleppo

Umbruch Syrien Rebellen Aleppo

Im Nordwesten Syriens kommt es zu Kämpfen wie seit Jahren nicht mehr. Eine Rebellen-Allianz greift nach der Kontrolle über die Großstadt Aleppo. Das weckt schlimme Erinnerungen.

Aleppo/Idlib (dpa/IZ). Syrische Rebellen haben nach Angaben von Aktivisten die nordwestliche Millionenstadt Aleppo erreicht. „Die Aufständischen sind zum ersten Mal seit 2016 in die Stadt Aleppo eingedrungen“, sagte Rami Abdel Rahman, der Leiter der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Die Offensive der Rebellen stellt eine dramatische Entwicklung dar in dem seit 2011 andauernden Bürgerkrieg – in dem sich die Fronten zuletzt wenig verändert hatten. 

Eine Allianz von Rebellengruppen teilte mit, ihre Kämpfer lieferten sich Gefechte mit Regierungstruppen in westlichen Vororten der Großstadt. Das syrische Verteidigungsministerium gab an, die Streitkräfte der Regierung seien mit massiven Angriffen im Umland der Städte Aleppos und Idlibs konfrontiert. 

Augenzeugen in Aleppo berichteten von Rebellen, die mit ihren Fahrzeugen im westlichen Teil Aleppos gesehen wurden. Sie hätten Bilder des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad zerrissen. Andere Anwohner berichteten von Gefechtslärm und Explosionen, die in der Stadt zu hören waren. 

Rebellen wollen Dutzende Orte erobert haben 

Aus Kreisen der Rebellen hieß es, Kämpfer seien vom Süden und Westen nach Aleppo vorgerückt und hätten bisher über 50 Orte in der Umgebung unter ihre Kontrolle gebracht. Darunter war nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte auch die Ortschaft Sarakib, die entscheidend für die Kontrolle der Verbindungsroute zwischen der Hauptstadt Damaskus und Aleppo ist. 

Seit Mittwoch wurden nach Angaben der Menschenrechtsaktivisten bereits mindestens 255 Menschen getötet. Darunter seien mindestens 24 Zivilisten. Die Organisation mit Sitz in Großbritannien bezieht ihre Informationen von einem Netz aus Informanten vor Ort. 

Die Gefechte hatten am Mittwoch begonnen. Die Rebellenallianz nennt ihre neue Offensive „Abschreckung der Aggressionen“. 

Die syrische Armee griff seither mit Unterstützung russischer Kampfjets Dutzende Ziele in Idlib und im Umland von Aleppo an. Beobachter gehen davon aus, dass die Offensive seit Monaten von den Rebellen geplant worden war. Schon in den vorigen Wochen hatte sich die Lage immer weiter zugespitzt. 

Moskau sieht sich wohl nicht in Verantwortung 

Russland verurteilt den unerwarteten Vormarsch der Rebellen auf die Stadt Aleppo als Angriff auf die Souveränität Syriens. „Natürlich ist das ein Eingriff in die Souveränität Syriens in dieser Region“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in Moskau. 

Seine Worte legten aber nahe, dass Moskau sich nicht in der Verantwortung sehe, die Offensive zu stoppen. „Wir sind dafür, dass die syrischen Behörden so schnell wie möglich Ordnung in die Region bringen und die verfassungsmäßige Ordnung wiederherstellen“, sagte er der staatlichen Nachrichtenagentur Tass zufolge. 

Erinnerung an erbitterte Schlacht um Aleppo 

Aleppo war in den ersten Jahren des syrischen Bürgerkriegs stark umkämpft und wurde schwer verwüstet. Damals wurden die Aufständischen vom syrischen Militär und seinen Verbündeten gewaltsam aus dem östlichen Teil der Stadt vertrieben. Die Schlacht um Aleppo galt als eine der schlimmsten in dem seit 2011 andauerndem Bürgerkrieg in Syrien. Idlib ist seit Jahren in der Hand der Aufständischen. 

Russland hatte 2015 in den syrischen Bürgerkrieg eingegriffen und mit seiner überlegenen Luftwaffe dazu beigetragen, dass die wankende Macht von Präsident Baschar al-Assad sich wieder festigte. Gerade an der Rückeroberung Aleppos durch die syrische Armee 2016 mit vielen zivilen Opfern war Russland beteiligt. Wegen des Ukraine-Kriegs verringerte Moskau aber ab 2022 seine Truppenpräsenz in dem nahöstlichen Land.

Zehntausende Menschen mussten fliehen 

Seit dem jüngsten Ausbruch der Kämpfe sind nach Angaben der Vereinten Nationen rund 14.000 Menschen in der Umgebung von Idlib und westlich von Aleppo vertrieben worden. 

Viele Bewohner flohen Augenzeugen zufolge aus den betroffenen Gebieten aus Angst vor einer Eskalation. „Die Leute haben Angst. Ich packe meine Sachen und meine Familie und fahre in Richtung Damaskus“, so ein Anwohner im Westen Aleppos. 

Die Lage verschlechtere sich insbesondere für die Zivilbevölkerung, betonte der stellvertretende regionale UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Syrien, David Carden. „Wir erhalten Berichte über Kinder mit mehreren Verletzungen durch Schrapnell“, sagte er. 

Der Bürgerkrieg in Syrien hat das Land zutiefst gespalten. Präsident Baschar Al-Assad geriet zeitweise schwer unter Druck, kontrolliert mit Hilfe seiner Verbündeten Russland und Iran inzwischen aber wieder zwei Drittel des Landes. Gebiete im Nordwesten sind unter Kontrolle von Oppositionskräften, die teils von der Türkei unterstützt werden. Eine politische Lösung für den Konflikt ist nicht in Sicht. Infolge des Bürgerkriegs sind Millionen Syrer ins Ausland geflohen – viele auch nach Europa.

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13 Jahre Krieg. Frauen und Mädchen in Syrien nicht vergessen!

syrien

Seit weit mehr als einem Jahrzehnt herrscht Krieg in Syrien. Am stärksten trifft er Frauen und Mädchen. (IPS). „Ich glaube nicht, dass die Welt versteht, was es bedeutet, heute als […]

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Ein Jahr nach dem Jahrhundertbeben 2023

Erdbeben jahrhundertbeben

Millionen Menschen leiden immer noch unter den Folgen des Jahrhundertbeben. Humanitäre Hilfe nicht gedeckt.

Bonn (CARE). Am kommenden Dienstag, den 6. Februar, jährt sich das Jahrhundertbeben in der Türkei und Nordwestsyrien zum ersten Mal. In den am stärksten betroffenen Regionen stehen immer noch zehntausende Familien vor dem Nichts. Temperaturen um den Gefrierpunkt und das geringe Ausmaß von Hilfsmaßnahmen aufgrund von ausbleibenden Finanzierungen üben enormen Druck auf die Menschen vor Ort aus.

Syrien

Eine syrische Familie wärmt sich in diesem Winter an einem kleinen Feuer in einem der vielen Lager für Binnenvertriebene in Nordwestsyrien (Copyright Islamic Relief).

Nur ein Drittel aller Mittel für Syrien bereitgestellt

Der humanitäre Bedarfsplan 2023 für Syrien, der 5,41 Milliarden US-Dollar vorsah, war nur zu rund einem Drittel gedeckt. Weitere finanzielle Unterstützung ist also dringend notwendig.

„In der Türkei sind die Folgen der verheerenden Erdbeben nach wie vor deutlich spürbar. Türkische und syrische Gemeinden leben unter sehr schwierigen Bedingungen. Viele kampieren in kargen Containern oder in nicht winterfesten Unterkünften in der Nähe ihrer zerstörten Häuser.

Unzählige Menschen haben kaum Zugang zu lebensnotwendigen Gütern wie Trinkwasser, Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung, was ihre Situation besonders prekär macht“, sagt Rishana Haniffa, Direktorin von CARE Türkei.

„Die internationale Gebergemeinschaft muss die andauernden Auswirkungen des Erdbebens und langfristigen Risiken für die Türkei und Syrien umgehend ernst nehmen. Ohne ausreichende Finanzierung wird die humanitäre Not weiter eskalieren.“

Spannung Türkei Erdbeben

Foto: Murat Photographer, Shutterstock

Weiterhin Herausforderungen in der Türkei

In Hatay, der am stärksten betroffenen Region in der Türkei, stellen anhaltende Herausforderungen wie Wasserknappheit und unzureichende sanitäre Einrichtungen erhebliche Gesundheitsrisiken dar.

Dies gilt insbesondere für kleine Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen. Ferner sind viele Zufahrtsstraßen auch ein Jahr später immer noch nicht passierbar.

Im Nordwesten Syriens sind die Gemeinden aufgrund der Unterfinanzierung der humanitären Hilfe mit einer schlechten Versorgung und einer erneuten Eskalation der Gewalt konfrontiert. Dies hat das Leid der mehr als vier Millionen Menschen vor Ort noch weiter verschlimmert.

„Nach den Erdbeben vor einem Jahr kam es in den betroffenen Regionen zu anhaltender Nahrungsmittelknappheit und einem starken Anstieg der Preise, dies führte dazu, dass vier von fünf Syrer:innen in der Nordwestregion Hunger leiden mussten“, sagt Haniffa.

Foto: Zerophoto, Adobe Stock

Feindseligkeiten erschweren Hilfe

„Im vergangenen Jahr wurde auch die stärkste Eskalation der Feindseligkeiten der letzten vier Jahre in Nordwestsyrien verzeichnet. Aufgrund des Mangels an finanziellen Mitteln sehen sich humanitäre Organisationen, darunter auch CARE, in diesem Winter dazu gezwungen, ihre Unterstützung zu priorisieren und besonders Bedürftigen zuerst zu helfen.“

Im vergangenen Jahr erreichte CARE in Nordwestensyrien 42.000 Haushalte mit Lebensmittelgutscheinen und Bargeldhilfe sowie 9.000 Haushalte mit Fertiggerichten. Aufgrund der Förderkürzungen werden diese Zahlen im Jahr 2024 deutlich geringer ausfallen.

Voraussichtlich werden nur noch 21.000 Menschen Lebensmittelgutscheine sowie 83 Prozent weniger Haushalte Fertiggerichte erhalten. In der Türkei steht die humanitäre Hilfe vor ähnlichen Finanzierungsproblemen.

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England: Muslimische Transportarbeiter sammeln für Syrien

England

England: Mitglieder einer Vereinigung muslimischer Transportarbeiter helfen Syrern beim Hausbau

London (Muslim Aid). Eine Partnerorganisation der britischen Hilfsorganisation Muslim Aid, der Transportarbeiterverband Muslims in Rail, habt genug Geld gesammelt, um zwei Häuser in Syrien für die Opfer des Erdbebens zu bauen, das Anfang des Jahres stattfand.

England: Hilfe zum syrischen Hausbau

Durch ihre Teilnahme an einer jährlichen Regatta am 8. Juli sammelten sie mehr als 5.000 Pfund für das Syria Home Project von Muslim Aid. Es wurde ursprünglich als Antwort auf die Bedürfnisse von Syrern ins Leben gerufen, die durch den langjährigen Krieg im Nordwesten Syriens vertrieben wurden.

Mustafa Faruqi, Vorsitzender des Kuratoriums von Muslim Aid, begleitete das Team der Transportarbeit auf dem Boot.

Foto: Muslim Aid / Muslims in Rail

Unterkünfte sollen nachhaltig sein

Das Projekt selbst war ein Erfolg, denn die Hilfsorganisation legte großen Wert darauf, dass die Häuser nicht nur sicher sind und den Bedürfnissen der Begünstigten entsprechen, sondern auch umweltfreundlich sind. Sie werden mit Solarenergie betrieben und haben ein solides Fundament haben, sodass sie den Auswirkungen des Erdbebens unbeschadet standhalten konnten.

„Ich bin stolz auf das ‘Muslim in Rail’-Team, das eine bemerkenswerte Leistung vollbracht und über £5.000 für das ‘Muslim Aid Syrian Home Project’ gesammelt hat. Die Veranstaltung ist nicht nur wegen des beträchtlichen finanziellen Beitrags bemerkenswert, sondern auch wegen der tiefgreifenden Auswirkungen, die sie auf unser kollektives Gefühl der Erfüllung hatte“, sagte der Bootsführer Saad Janjua.

Foto: Muslim Aid / Muslims in Rail

„Veranstaltungen wie diese bieten uns eine einzigartige Gelegenheit, unsere Dankbarkeit auszudrücken und ein soziales Engagement zu zeigen, das ein Gefühl der Einheit und Verbundenheit unter allen Teilnehmern fördert. Es ist bemerkenswert, wie eine einzige Veranstaltung all diese Vorteile in sich vereinen und zu einer wirklich bedeutsamen Erfahrung für alle Beteiligten werden kann“, fügte er hinzu.

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Zuwanderung: Anstieg vor allem wegen Russlands Krieg

Zuwanderung Ukraine

Die Zuwanderung steigt – höchster Zuwachs an Schutzsuchenden seit 2007. Verantwortung trägt Russlands Angriffskrieg. (KNA). Vor allem wegen des russischen Krieges in der Ukraine stieg zuletzt die Zahl der Menschen, […]

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90 Tage nach dem Erdbeben: „Traumatisiert sind alle“

Erdbeben jahrhundertbeben

Drei Monate nach den Erdbeben in der Türkei und Syrien warten viele Menschen weiter auf Hilfe – trotz Unterstützung in Milliardenhöhe.

Bonn (KNA/iz). Ein Vater in organfarbener Warnschutzjacke hält die Hand seiner toten Tochter. Sie liegt auf einer weißen Matratze, der größte Teil ihres Körpers begraben unter Trümmern. Zu sehen sind nur ihre weißen Fingerspitzen, die noch immer die Hand des Vaters umklammern. Es ist ein Bild, das nach dem Erdbeben in der Türkei und in Syrien um die Welt ging. Von Beate Laurenti

Ramadan Erdbeben

Foto: FreelanceJournalist, Shutterstock

Drei Monate nach dem Erdbeben

Drei Monate liegt die Katastrophe nun zurück, bei der am 6. Februar mehr als 50.000 Menschen ums Leben kamen. Mehr als zwei Millionen Menschen wurden Medienberichten zufolge allein in der Türkei obdachlos. Viele von ihnen leben derzeit in Flüchtlingscamps, in denen es an Grundlegendem fehlt: an Lebensmitteln, Medikamenten, sauberem Wasser.

Nach der Katastrophe hat die Internationale Gemeinschaft schnell reagiert: Für den Wiederaufbau mobilisierte sie umgerechnet sieben Milliarden Euro. Die EU sagte eine Milliarde Euro für die Türkei sowie weitere 108 Millionen Euro für humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau in Syrien zu. In kürzester Zeit verstärkten auch zahlreiche Hilfswerke ihren Einsatz vor Ort, riefen zu Spenden auf und sammelten Hilfsgüter.

Erdbeben Türkei Opfer

Foto: Mohammed Bash | Shutterstock

Sorgenvoller Blick nach Syrien

90 Tage später blicken viele Helfer mit Sorge vor allem nach Syrien. Seit mehr als zwölf Jahren leidet das Land unter den Folgen des Krieges, wirtschaftlicher Instabilität und einer Ernährungskrise. Bestehende Probleme wurden durch die Katastrophe verstärkt:

„Bereits vor den Erdbeben fehlten an der Grenze zu Syrien Trinkwasser, Nahrung sowie sichere Unterkünfte. Bei vielen Menschen in der Region ist zudem die psychische Belastung enorm. Viele Familien haben alles verloren und kämpfen mit dem Verlust von Angehörigen und Freunden. In der Türkei und Syrien ist neben der Hilfe beim Wiederaufbau auch langfristige Unterstützung sehr wichtig“, sagt der Generalsekretär von Care Deutschland, Karl-Otto Zentel.

Die Diakonie Katastrophenhilfe und Caritas international machen auf die Lage jener Syrer aufmerksam, die nach dem Beben in die Türkei geflohen sind. Die türkischen Behörden hätten angekündigt, vorübergehende Aufenthaltsgenehmigungen auslaufen zu lassen. „Ein Ende der Regelung könnte Zehntausende Menschen zwingen, in die vom Erdbeben zerstörten Gebiete zurückzukehren.“

Foto: Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen, via flickr | Lizenz: CC BY-SA 2.0

Vereinfachte Einreise nach Deutschland

Die Auswirkungen der Katastrophe zeigen sich auch hierzulande: Mehr als 6.000 Menschen aus dem Erdbebengebiet hat Deutschland aufgenommen. Bis Mittel April sind laut Bundesregierung für türkische Staatsangehörige mehr als 700 Schengen-Visa, rund 4.500 Visa mit räumlich beschränkter Gültigkeit und 429 Visa zum Familiennachzug erteilt worden. Syrische Staatsangehörige aus dem Erdbebengebiet erhielten 46 Schengen-Visa und rund 440 Visa zum Familiennachzug.

Trotz der vereinfachten Einreise nach Deutschland gibt es bürokratische Hürden: Voraussetzung ist etwa ein gültiger Reisepass, viele Betroffene des Erdbebens haben jedoch Hab und Gut verloren, darunter auch wichtige Dokumente. Nicht nur deshalb werden die Forderungen nach langfristiger Unterstützung immer lauter.

9.500 Türkinnen und Türken hätten bei ihren Angehörigen in Deutschland „nicht nur Obdach, sondern auch Halt und Trost“ finden können, erklärte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne); und: „Dass ihnen nun noch etwas mehr Zeit im Kreis ihrer Familie gegeben wird, während die Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten in der Türkei voranschreiten, ist ein ganz praktisches Zeichen der Solidarität.“

Pomozi Bosnien Erdbeben Solidarität

Foto: Amina Alađuz-Lomigora

Spendenbereitschaft ist zurückgegangen

„Am Anfang war die Spendenbereitschaft extrem“, erzählt ein Deutsch-Türke im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Er möchte lieber anonym bleiben. „Jeder hat einen angesprochen, alle wollten helfen.“ Davon sei inzwischen nichts mehr zu merken.

Seine Mutter und zwei Schwestern wohnen in der vom Erdbeben betroffenen Provinz Malatya. Unmittelbar nach der Katastrophe seien sie in der Nähe von Istanbul untergekommen. Mittlerweile befänden sie sich wieder in Malatya. Sein Eindruck: „Die Stadt ist leer, viele sind noch nicht zurückgekommen, traumatisiert sind alle.“

Auch er habe überlegt, seine Familie zu sich nach Nordrhein-Westfalen zu holen. „Meine Mutter hätte das aber nicht gewollt. Sie hätte nach kurzer Zeit gesagt: ‘Ich will wieder zurück, ich will sehen, was da ist, ich muss etwas tun’.“

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Berliner Museumsfreunde helfen Erdbebenopfern in Aleppo

Aleppo

In Aleppo befindet sich nach 12 Jahren eines verheerenden Krieges die Stadt nach dem massiven Erdbeben in einer unfassbaren Katastrophe.

Berlin. Die Freund des Berliner Museums für Islamische Kunst (Pergamonmuseum) haben eine Hilfsaktion für Erdbebenopfer in der Altstadt der syrischen Stadt Aleppo gestartet. Im Folgenden dokumentieren wir die Pressemitteilung des Vereins.

„Nach den persönlichen Nachrichten und Fotos, die uns direkt von Menschen aus Aleppo erreichen und die das Ausmaß der Zerstörung durch das Jahrhundertbeben zeigen, muss man nun Familien  helfen, deren historische Wohnhäuser strukturelle Instabilität zeigen und einzustürzen drohen.“

Erdbebenopfer Erdbeben Türkei Syrien

Foto: hakan2534, Shutterstock

Es sei notwendig, diese Häuser zu stabilisieren und Mauern abzustützen, damit die Bewohnerinnen und Bewohner in ihren Häusern bleiben können. Eventuell seien temporäre Unterkünfte bereitzustellen. „Damit können wir den Menschen in Aleppo direkt helfen!“

Die aktuelle Situation im krisengeschüttelten Aleppo

Nach 12 Jahren eines verheerenden Krieges, gefolgt von einem wirtschaftlichen Zusammenbruch und den gegen Syrien verhängten Sanktionen, der Aleppo mit am stärksten getroffen hat, befinde sich die Stadt nach dem massiven Erdbeben in einer unfassbaren Katastrophe. Die Menschen in Aleppo, „einem der ältesten ununterbrochen bewohnten Orte der Welt“, bräuchten die Gewissheit, dass ihre Häuser stabilisiert, restauriert oder später wiederaufgebaut werden können.

Ingenieure sowie Bewohner der Stadt bitten um internationale Unterstützung, da die jetzigen Zerstörungen den ohnehin vorhandenen Mangel an Ressourcen, der auf den bisherigen Schäden durch das letzte Jahrzehnt des Konflikts beruht, verschärft haben.

Action Plan

Ein technischer Ausschuss für Sicherheit wurde gebildet, der die Schäden und Risiken an den Wohnhäusern der Altstadt einschätzt, um die Sicherheit der Bewohner wie der Vorübergehenden sicherzustellen und das gefährdete bauliche Erbe zu schützen. Der erste Schritt bestand darin, die am stärksten gefährdeten Häuser zu identifizieren und dringende Abstützungen vorzuschlagen, um deren Strukturen zu stabilisieren.

Foto: Jordi Bernabeu Farrús | Lizenz: CC-BY-SA 2.0

Der Ausschuss berichtet von rund 600 Wohnhäusern in den Stadtvierteln Jallum, Aqaba und Judayda, die als teilweise oder vollständig geschädigt eingestuft wurden. Zu diesen dringend zu konsolidierenden Gebäuden gehört auch das Haus Wakil in Judayda, aus dem das berühmte Aleppo-Zimmer im Museum für Islamische Kunst in Berlin stammt. In jedem Fall benötigen die Menschen vor Ort dringend Hilfe bei der Stabilisierung ihrer Häuser.

Wie können sie helfen?

Aus dem Team des Syrian Heritage Archive Projects (SHAP), das durch die „Freunde des Museums für Islamische Kunst e.V.“ seit 10 Jahren unterstützt wird, reist ein syrischer Mitarbeiter im März nach Aleppo, um sich über die Situation der Altstadthäuser ein genaues Bild zu machen und dort sofort notwendige Hilfe zu koordinieren. Die für diese Arbeit nötigen direkten Kontakte vor Ort in Aleppo haben sich im Laufe des Projektes entwickelt.

„Ihre Spende fließt direkt in die maßgeschneiderte Hilfe für vom Einsturz bedrohte historische Wohnhäuser. Bauingenieure werden unter Einbeziehung des zuständigen beratenden Statikers beauftragt, die Familien der an stärksten betroffenen Häuser bei Konsolidierungsarbeiten aktiv zu unterstützen“, erklärte der Verein.