Drei Monate nach den Erdbeben in der Türkei und Syrien warten viele Menschen weiter auf Hilfe – trotz Unterstützung in Milliardenhöhe.
Bonn (KNA/iz). Ein Vater in organfarbener Warnschutzjacke hält die Hand seiner toten Tochter. Sie liegt auf einer weißen Matratze, der größte Teil ihres Körpers begraben unter Trümmern. Zu sehen sind nur ihre weißen Fingerspitzen, die noch immer die Hand des Vaters umklammern. Es ist ein Bild, das nach dem Erdbeben in der Türkei und in Syrien um die Welt ging. Von Beate Laurenti
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Drei Monate nach dem Erdbeben
Drei Monate liegt die Katastrophe nun zurück, bei der am 6. Februar mehr als 50.000 Menschen ums Leben kamen. Mehr als zwei Millionen Menschen wurden Medienberichten zufolge allein in der Türkei obdachlos. Viele von ihnen leben derzeit in Flüchtlingscamps, in denen es an Grundlegendem fehlt: an Lebensmitteln, Medikamenten, sauberem Wasser.
Nach der Katastrophe hat die Internationale Gemeinschaft schnell reagiert: Für den Wiederaufbau mobilisierte sie umgerechnet sieben Milliarden Euro. Die EU sagte eine Milliarde Euro für die Türkei sowie weitere 108 Millionen Euro für humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau in Syrien zu. In kürzester Zeit verstärkten auch zahlreiche Hilfswerke ihren Einsatz vor Ort, riefen zu Spenden auf und sammelten Hilfsgüter.
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Sorgenvoller Blick nach Syrien
90 Tage später blicken viele Helfer mit Sorge vor allem nach Syrien. Seit mehr als zwölf Jahren leidet das Land unter den Folgen des Krieges, wirtschaftlicher Instabilität und einer Ernährungskrise. Bestehende Probleme wurden durch die Katastrophe verstärkt:
„Bereits vor den Erdbeben fehlten an der Grenze zu Syrien Trinkwasser, Nahrung sowie sichere Unterkünfte. Bei vielen Menschen in der Region ist zudem die psychische Belastung enorm. Viele Familien haben alles verloren und kämpfen mit dem Verlust von Angehörigen und Freunden. In der Türkei und Syrien ist neben der Hilfe beim Wiederaufbau auch langfristige Unterstützung sehr wichtig“, sagt der Generalsekretär von Care Deutschland, Karl-Otto Zentel.
Die Diakonie Katastrophenhilfe und Caritas international machen auf die Lage jener Syrer aufmerksam, die nach dem Beben in die Türkei geflohen sind. Die türkischen Behörden hätten angekündigt, vorübergehende Aufenthaltsgenehmigungen auslaufen zu lassen. „Ein Ende der Regelung könnte Zehntausende Menschen zwingen, in die vom Erdbeben zerstörten Gebiete zurückzukehren.“
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Vereinfachte Einreise nach Deutschland
Die Auswirkungen der Katastrophe zeigen sich auch hierzulande: Mehr als 6.000 Menschen aus dem Erdbebengebiet hat Deutschland aufgenommen. Bis Mittel April sind laut Bundesregierung für türkische Staatsangehörige mehr als 700 Schengen-Visa, rund 4.500 Visa mit räumlich beschränkter Gültigkeit und 429 Visa zum Familiennachzug erteilt worden. Syrische Staatsangehörige aus dem Erdbebengebiet erhielten 46 Schengen-Visa und rund 440 Visa zum Familiennachzug.
Trotz der vereinfachten Einreise nach Deutschland gibt es bürokratische Hürden: Voraussetzung ist etwa ein gültiger Reisepass, viele Betroffene des Erdbebens haben jedoch Hab und Gut verloren, darunter auch wichtige Dokumente. Nicht nur deshalb werden die Forderungen nach langfristiger Unterstützung immer lauter.
9.500 Türkinnen und Türken hätten bei ihren Angehörigen in Deutschland „nicht nur Obdach, sondern auch Halt und Trost“ finden können, erklärte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne); und: „Dass ihnen nun noch etwas mehr Zeit im Kreis ihrer Familie gegeben wird, während die Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten in der Türkei voranschreiten, ist ein ganz praktisches Zeichen der Solidarität.“
Spendenbereitschaft ist zurückgegangen
„Am Anfang war die Spendenbereitschaft extrem“, erzählt ein Deutsch-Türke im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Er möchte lieber anonym bleiben. „Jeder hat einen angesprochen, alle wollten helfen.“ Davon sei inzwischen nichts mehr zu merken.
Seine Mutter und zwei Schwestern wohnen in der vom Erdbeben betroffenen Provinz Malatya. Unmittelbar nach der Katastrophe seien sie in der Nähe von Istanbul untergekommen. Mittlerweile befänden sie sich wieder in Malatya. Sein Eindruck: „Die Stadt ist leer, viele sind noch nicht zurückgekommen, traumatisiert sind alle.“
Auch er habe überlegt, seine Familie zu sich nach Nordrhein-Westfalen zu holen. „Meine Mutter hätte das aber nicht gewollt. Sie hätte nach kurzer Zeit gesagt: ‘Ich will wieder zurück, ich will sehen, was da ist, ich muss etwas tun’.“