Unsere Zeit in der Pandemie – die muslimische Perspektive

Ausgabe 324

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Im März 2020 wurden viele Moscheen weltweit zum ersten Mal in der heutigen Geschichte geschlossen. Nicht nur endeten die gewohnten täglichen Gemeinschaftsgebete abrupt. Gleiches galt für unzählige soziale, pädagogische und spirituelle Aktivitäten, die den Monat definieren. Selbst in Mekka waren die Tore des Heiligtums verschlossen. Von Omar Sulaiman, Rania Awaad & Timur Kouser

Zwei Jahre später ist unsere Pandemiegeschichte nicht vorbei. Obwohl wir uns an neue Wege des Arbeitens, des Umgangs und der Anbetung gewöhnt haben, sind viele von uns erschöpft. Das liegt an Gefühlen von Unsicherheit in der schwammig definierten Zukunft; abgesehen von den Aussichten eines Anstiegs der Covid-19-Fälle. Wie für andere ist diese Erfahrung für viele Muslime verbunden mit neuen oder intensivierten Herausforderungen der geistigen Gesundheit. Dazu gehören auch Panikattacken, Depression, Trauma, Medikamentenmissbrauch und Selbstmordgedanken.

An Untersuchungen und Empfehlungen darüber, welche Herausforderungen erlebt werden und wie sie diese am besten bewältigen können, gibt es keinen Mangel. Viele sind mit der Ungewissheit der letzten zwei Jahre fertig geworden, indem sie eine Netflix-Lieblingsserie geschaut oder ihren Kummer mit Eiscreme gestillt haben. Für andere hat sie die Not verdeutlicht, sich ernsthafter mit psychischer Gesundheit auseinanderzusetzen.

Ein Narrativ fehlt. Das ist die Rolle des Glaubens zur Bewältigung. Dafür ist die muslimische Gemeinschaft ein vorrangiges Beispiel. Unsere Forschungseinrichtung, Religions News Service, das muslimische Labor für geistige Gesundheit der Stanford-Universität, und das Yaqeen Institut haben sich zusammengetan, um beinahe 9.000 Muslime in aller Welt von Pandemiebeginn bis Ende 2021 zu befragen. Wir wollten verstehen, was sie über die Pandemie und den Umgang mit ihr dachten. In einer unserer jüngeren Studien berichteten wir, dass Muslime sich vorrangig auf religiöse Bewältigung verließen, um mit ihr umzugehen. Sie baten Allah mehr um Vergebung, setzten die fünf Gebete fort, lasen mehr im Qur’an und sprachen weitere Bittgebete.

69,5 Prozent der Befragten wandten sich hierbei ihrem Glauben zu. Bei den nichtmuslimischen US-Bürgern waren es nur 28 Prozent, die das taten. Wir fanden auch heraus, dass diejenigen mit einem höheren Grad an Unsicherheitsintoleranz ein um 60 Prozent erhöhtes Risiko hatten, eine schwere depressive Störung zu entwickeln. Dazu passt, dass höhere Schwierigkeiten mit Unwägbarkeit mit einem geringeren Maß an religiöser Routine korrespondierten. Negative Bewältigungsstrategien wie Betäubungsmittelmissbrauch oder exzessiver Nachrichtenkonsum stehen allgemein in Zusammenhang mit einer verschlechterten geistigen Gesundheit.

Dies führt zu der Schlussfolgerung, dass ein direkter Zusammenhang zwischen einer klinischen psychischen Erkrankung und einer glaubensbasierten Bewältigung in muslimischen Bevölkerungsgruppen besteht. Diese wichtige Erkenntnis verdeutlicht, wie wichtig der Glaube für die Stärkung von Resilienz ist. Glaubensgemeinschaften sind es ihren Mitgliedern schuldig, religiöse Programme anzubieten, die die psychische Gesundheit verbessern und aufrechterhalten.

Das scheint eine offenkundige Aufgabe für Gotteshäuser zu sein. Denn religiöse Programme sind ihr Tätigkeitsbereich. Bedauerlicherweise operiert geistige Gesundheit – unter dem Schirm von Wissenschaft und Säkularismus – zunehmend jenseits der religiösen Sphäre. Wird die Rolle von Religion weiter minimiert, werden Gemeinschaften wie die unseren aus dem Gesamtbild entfernt. Das muslimische Pandemienarrativ unterstreicht die unschätzbaren Beiträge von Glaubensgemeinschaften. Einige haben zwar festgestellt, dass der Zusammenhang zwischen Glauben und psychischer Gesundheit nirgendwo „offensichtlicher“ ist als bei der Ausübung des Islam, doch ergaben Studien, dass Widerstandsfähigkeit auch bei anderen Gläubigen höher ist.

Während die Pandemie unsere Sensibilität für seelische Gesundheit erhöht hat, müssen wir gewillt (und mutig) sein, die Rolle von Glauben zu beleuchten, die dieser für Menschen in aller Welt und ihre Stärke tut.