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Volksverhetzung und Anstiftung zur Gewalt sind selten explizit

Ausgabe 309

Foto: Kim Kelley-Wagner, Shutterstock

Während Senatoren im US-Kongress an der Amtsenthebung des Ex-Präsidenten Trump arbeiten, dem die Aufhetzung seiner Anhänger vorgeworfen wird, wachsen globale Sorgen vor Gewaltausbrüchen in mehreren Ländern – inklusive den Vereinigten Staaten. Die UN sprach von einer vermehrten Häufung der Hassrede im Internet. Sie repräsentiere eine „neue Ära“ von Konflikten. Von Pascal Medusa

(IPS). Dieses gefährliche Gerede wird als Kommunikation definiert, mit der ein Publikum dazu aufgerufen wird, Gewalt zu unterstützen oder Schaden anzu­richten. Üblicherweise geht diese von der eigenen Gruppe (uns) gegen eine äußere (sie) aus. Allerdings kann sie in Selbstmordkulten zur Selbstschädigung führen.

Die Objekte dieses Sprechens werden oft als entmenschlicht dargestellt. Im Kern ihres Wesens wird diesen Personen oder Gruppen entscheidende Eigenschaften wie Mitgefühl, Intelligenz, Werte, Fähigkeiten und Selbstkontrolle abgesprochen.

PsychologInnen haben Ansprachen von aufstachelnden oder mitreißenden Redner wie Hitler oder Ghandi auf ihren emotionalen Gehalt hin untersucht. Sie wollten wissen, wie viel Furcht, Freude, Trauer usw. gegenwärtig waren. Dann testeten sie, ob das Maß an Emotionen vorhersagen könnte, inwiefern eine bestimmte Rede Gewalt oder Nichtgewalt voranging.

Sie stellten fest, dass die folgenden ­Gefühle – gerade wenn sie kombiniert werden – Heftigkeit erzeugen können: Wut (der Sprecher gibt dem Publikum Gründe für Ärger und verweist häufig auf jene, die dafür verantwortlich sein sollen), Verachtung (eine fremde Gruppe wird als minderwertiger beschrieben und verdient daher keine Anerkennung) sowie Ekel (die auswärtige Gruppe wird als so abstoßend beschrieben, dass sie keine grundlegenden menschliche Behandlung verdient).

Durch das Studium politischer Reden und Propaganda, die Gewalt inspiriert haben, haben Forscher Themen iden­tifiziert, die diese starken Emotionen ­wecken können.

Die Zielpersonen gefährlicher Reden werden oft entmenschlicht, indem sie als Personen dargestellt werden, denen es grundsätzlich an Eigenschaften fehlt – Mitgefühl, Intelligenz, Werte, Fähigkeiten, Selbstkontrolle –, die den Kern des Menschseins ausmachen. Üblicherweise werden die Anderen als böse dargestellt, weil sie angeblich keine Moral besäßen. Alternativ können sie als animalisch oder schlimmer dargestellt werden. Während des Völkermords in Ruanda wurden Tutsi in der Hutu-Propaganda „Kakerlaken“ genannt.

Um eine „Erzählung des Hasses“ zu konstruieren, braucht der Held einen Schurken. Egal welche entmenschlichende Eigenschaft im Anderen beschrieben wird, muss das Gegenteil in der In-Gruppe vorhanden sein. Wenn „sie“ der Antichrist sind, sind „wir“ die Gotteskinder.

Angeblich historische Untaten der ­andern Gruppe gegen die eigene werden genutzt, um deren Position als Bedrohung darzustellen. Im Falle von anhalten­den Konflikten wie dem zwischen ­Israelis und Palästinensern mag es Beispiele für historische Missetaten auf beiden Seiten geben. Eine effektive Hassrede minimiert oder rechtfertigt die vergangenen Fehler des eigenen Kollektivs, während sie die Untaten der anderen übertreibt.

Das Prinzip von „Opferkonkurrenz“ wird genutzt, um das eigene Kollektiv als das „wirkliche“ Opfer zu bezeichnen. Das gilt insbesondere, wenn eigene „Unschuldige“ wie Frauen und Kinder vom Anderen geschädigt wurden. Manchmal werden Handlungen des Anderen fabriziert, sodass sie als Sündenböcke für ­frühere Missgeschicke benutzt werden können. So gab Hitler den Juden in Deutschland die Schuld für die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg.

Eine gefährliche Verfälschung ist es, wenn andere Gruppen beschuldigt werden, gegen das eigene Kollektiv genau jene Taten zu planen, die man selbst ­gegen die Outgroup plant, wenn nicht sogar in Realität begeht. Forscher prägten den Begriff „Anschuldigungen im ­Spiegel“, nachdem diese Strategie in einem Propagandahandbuch der Hutu nach dem Völkermord in Ruanda explizit beschrieben wurde.

Damit diese Art der gefährlichen ­Hassrede tatsächlich zu Taten führt, muss der innere Widerstand von Menschen überwunden werden, dem Anderen Schaden zuzufügen. Einerseits kann das dadurch geschehen, dass es keine Alternative als diese gibt, um das eigene Kollektiv zu schützen. Andererseits setzen Redner ­“beschönigende Etiketten“ ein, um verträglichere Begriffe für Gewalt zu nutzen wie „Reinigung“ oder „Verteidigung“ statt „Mord“.

Manchmal leidet das handelnde Kollektiv unter der Illusion der eigenen Unverletzlichkeit. Es bedenkt nicht einmal die Möglichkeit der Negativfolgen ihres Handelns. Es ist vollkommen eingenommen von der Rechtschaffenheit ihrer Gruppe und ihrer Sache. Wenn über das Leben nach der Gewalt nachgedacht wird, wird es als nur gut für die Ingroup dargestellt.