Was das europäische Mittelalter von den Muslimen lernen konnte

Ausgabe 228

(ISLAMiCommentary). Zuerst machten sich die Araber einen Namen in der Geschäftswelt, ihr Ruf für religiöses Engagement kam später. Lange vor dem Islam waren sie als Fernhändler und Risikoinvestoren bekannt. Wohl auch deshalb war die Ausbreitung des Islam ein Durchbruch für Kapitalismus und Globalisierung. Das ist schwerlich überraschend, wenn man bedenkt, dass der Islam die einzige Weltreligion ist, deren Stifter einen Hintergrund in der Geschäftswelt hatte und von einer langen Linie von Händlern abstammte.

Für den Propheten Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, waren Handelsverhandlungen Teil des Familienerbes. Seine Familie, die Haschimiten, übernahm ihren Namen von Muhammads Großvater, Haschim. Er war ein Händler, der dadurch berühmt wurde, dass er Handelsverträge mit Beduinen abschloss, die den Karawanenhandel durch die arabischen Wüsten sicherer und damit profitabler machten.

Der eigene Handel des Gesandten Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, entwickelte sich, als seine zukünftige Ehefrau, Khadidscha bint Khuwailid ihn mit einer Investition unterstützte. Khadidscha, eine professionelle Investorin, heiratete Muhammad, Allahs Segen und Heil auf ihm, später und wurde zum ersten Menschen nach ihm, der den Islam annahm. Er gewann während seiner 23-jährigen Ehe mit Khadidscha Einblick in Risiken und Gewinne bei Geldanlagen in Karawanen. Er benutzte diese Kenntnis, als er seine Gemeinschaft in Medina aufbaute und Institutionen sowie Richtlinien für eine Gesellschaft einführte, in der selbstständige Unternehmen florieren sollten.

In Medina bestand eine der Schlüsselentscheidungen des Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, in der Ansiedlung eines Marktes. Außerdem zeigte er während einer Versorgungskrise seine Unterstützung dafür, dass sich die Märkte selbst und ohne auswärtige Einmischung entwickeln sollten. Ein Dürre trieb Lebensmittelpreise in die Höhe und einige Gefährten baten ihn, eine Preisobergrenze festzulegen. Der Prophet weigerte sich und erklärte, dass er nicht die Vollmacht habe, Preisbegrenzungen zu beschließen, denn: „Preise sind in der Hand Allahs.“ Diese Erklärung ähnelt der Vorstellung von Adam Smith, der davon sprach, dass Märkte von einer „unsichtbaren Hand“ regiert würden.

Das sind jedoch nicht die einzigen Beispiele, in denen der frühe Islam die moderne Wirtschaft vorwegnahm. Nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftler Friedrich von Hayek schaffen Gesellschaften, die dem unternehmerischen Antrieb freie Zügel lassen, Wohlstand und ermutigen umfangreicher zu Innovationen. Und dieses Muster zeigte sich in den frühen islamischen Gesellschaften vom ersten Augenblick an. So verteilte der Gesandte Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, erobertes Land um Khaybar an seine Gefährten. Er machte es ihnen zugleich zur Bedingung, dass sie ihre Ernten zur Versorgung der Armen verteilen müssten. In diesem Moment führte er tatsächlich des Konzept der Treuhänderschaft in das islamische Wirtschaftsrecht ein. Es sollte nicht lange dauern, bis seine Nachfolger neue Anwendungsmöglichkeiten für diese Errungenschaften fanden.

Der erste Khalif des Islam, Abu Bakr, übertrug sein Vermögen, sodass seine Nachkommen versorgt werden konnten. Und der dritte Khalif, ‘Uthman, kaufte eine Quelle in Medina und übergab sie der Öffentlichkeit zum kostenlosen Gebrauch. Im Laufe der Zeit wurde ein großer Teil an zweckgebundenem Kapital für vielfältige gemeinnützige Zwecke übertragen. Diese wohltätigen Einrichtungen wurden als Waqf (Auqaf) bezeichnet. Das Ausmaß dieser Stiftungen war beachtlich. Im achten Jahrhundert (islamischer Zeitrechnung) stellten Auqaf in Istanbul 30.000 Mahlzeiten täglich bereit. Viele andere Stiftungen finanzierten Akademien, die sogenannten Madrassen. Aber die Liste der ökonomischen Reformen geht weiter. Im siebten Jahrhundert gipfelte sie in der Schaffung einer neuen Währung, dem islamischen Dinar. Er basierte auf Gold und es war das erste Mal, dass außerhalb Europas eine Goldwährung eingeführt wurde.

Die Dynamik der frühen muslimischen Volkswirtschaften musste die europäischen Handelspartner beeindrucken. Obwohl die Politik von Islam und Christentum im Mittelalter mehrheitlich eine gegnerische war, sollten sie sich auf wirtschaftlicher Ebene als langlebige und haltbare Beziehungen entwickeln. Der über das Mittelmeer verlaufende Handel stimulierte die Geschäfte in Städten wie Venedig und Genua. Hier starteten Händlerkonvois, die sich auf den Weg machten, um hochpreisige Güter zu erstehen, um sie in der Heimat wieder zu verkaufen. Konvois und Karawanen scheinen nichts gemeinsam zu haben, aber ihr Geschäftsmodell war das gleiche: Investoren legten Geld für ein Projekt vor und seine Verantwortlichen verdienten sich einen Bonus, der an ihre Leistung gebunden war. Die rechtlichen Bedingungen von Konvois und Karawanen waren nahezu identisch.

Kreuzfahrer und religiöse Orden, die sich in Palästina ansiedelten, konnten andere islamische Praktiken und Institutionen beobachten, die sich zu Hause als nützlich erweisen sollten, als ein gewisser Walter de Merton im England des 13. Jahrhunderts Kapital bestimmte, um eine Einrichtung zur Ausbildung von Gelehrten zu stiften. Die rechtlichen Bedingungen der Übereinkunft ahmten im Grunde die eines Waqf zur Gründung einer Madrassa nach. Zu dem Zeitpunkt arbeiteten die Auqaf bereits seit mehreren Jahrhunderten in den islamischen Gesellschaften, in England aber wurde dieses Konzept bisher niemals angewandt.

Einzelne, die vor Ort Erfahrungen in muslimischen Gesellschaften machten, ebneten den Weg für viele Erneuerungen im mittelalterlichen Europa. Gerade die hellsten Mathematiker Europas wurden oft durch Araber ausgebildet. Papst Sylvester II. ging als junger Mann zum Studium ins muslimische Spanien und erklärte nach seiner Rückkehr, wie man mit einem Abakus rechnen kann; eine Fähigkeit, welche die Europäer nach dem Kollaps des Römischen Reiches vergessen hatten. Leonardo Fibonacci, ein wegweisender Mathematiker aus Pisa, wuchs in Algerien auf, wo ihm ein arabischer Lehrer das Rechnen mit der Null beibrachte. Das war damals eine unschätzbare Fähigkeit für jeden, der eine Karriere im Geschäftsleben anstrebte.

Aber Gelehrte, Pilger und Intellektuelle waren nicht die einzigen Europäer, die den Bereich des Islam bereisten. Händler waren eine weitere entscheidende Gruppe. Die Tradition des Geschäftsmannes auf Unternehmungen, der Luxusgüter aus Asien nach Europa brachte, begann lange vor dem Islam. Bereits im antiken Rom waren konsumbewusst und bereit, hohe Preise für Perlen (aus Bahrain), Räucherwerk (aus dem Jemen) und Pfeffer (aus Indien) zu bezahlen. Es gab Zwischenstopps für Händler entlang aller wichtigen Handelswege im Nahen Osten. Und als das islamische Reich die Byzantiner ersetzte, verwandelte sich das griechische Wort für diese Herbergen (pandocheion) zu Funduq (heute ist es das arabische Wort für Hotel).

Muslimische Herrscher wussten, dass der Fernhandel eine Quelle für Steuereinnahmen war und ermutigten die Gründungen von Funduqs in ihrem gesamten Herrschaftsbereich. Es waren abgeschlossene Gebäude mit einer Außenmauer, in denen Händler Unterkunft fanden und ihre Waren verschlossen lagern konnten.

Saladin (Salah Ad-Din), dessen Name üblicherweise in Verbindung mit seinem Krieg gegen die Kreuzfahrer erwähnt wird, war ein entscheidender Befürworter der Liberalisierung des Handels. Saladin erlaubte vielen Europäern die Eröffnung von Funduqs in Ägypten und anderswo und Alexandria wurde wieder das, was es in der Antike war: der führende Handelsknotenpunkt im östlichen Mittelmeer.

Funduqs eröffneten ihre Pforten auch in Kairo, Damaskus und in vielen anderen Handelszentren von Marokko bis zur Schwarzmeerküste. In vielerlei Hinsicht waren sie Vorläufer der heutigen Freihandelszonen. Ausländische Händler hatten separate Steuersätze und jeder Funduq hatte einen Geschäftsführer, der als anerkannter Vertreter für den Fall agierte, dass ein Händler Klagen gegen lokale Behörden hatte.

Die Dynamik der islamischen Wirtschaftspolitik war der Schlüssel für den Erfolg der muslimischen Gesellschaften im Mittelalter. Und der Wissenstransfer nach Europa war der Funke für die Belebung des Wachstums in Europa, der sich über den ganzen Kontinent ausbreitete.

Islamische Gesellschaften, die heute auf der Suche nach einer Wiederbelebung ihrer wirtschaftlichen Dynamik sind, müssen sich nicht im Ausland nach Vorlagen für ökonomische Institutionen umschauen. Ein kompletter Satz an politischen Vorgaben bezüglich des Wettbewerbsrechtes, Verbraucherschutzes und gerechtem Handel ist in den Wirtschaftsreformen des Propheten Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, und seiner frühen Nachfolger angelegt. Die Wurzeln der Chicagoer-Schule liegen im Medina des siebten Jahrhunderts.

Der Text erschien am 21. April auf der Webseite ISLAMiCommentary. Abdruck und Übersetzung mit Genehmigung des Betreibers.