Am Horn von Afrika: Ethnologe Markus Höhne zur Präsidentschaftswahl am Montag: Interview: Joachim Heinz

Nachricht aus einem vergessenen Land: Am Montag soll in Somalia ein neuer Präsident gewählt werden. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht der Somalia-Experte Markus Höhne vom Max-Planck-Institut für Ethnologische Forschung in Halle über die aktuelle Lage in dem ostafrikanischen Küstenstaat, der hierzulande höchstens wegen Piratenüberfällen und islamistischen Milizen in die Schlagzeilen kommt.

KNA: Herr Höhne, Somalia bereitet sich derzeit auf die Präsidentschaftswahl vor. Was bedeutet sie für das Land?

Höhne: Fangen wir mit dem Positiven an: Seit Zerfall der staatlichen Strukturen 1991 ist das der erste von der internationalen Staatengemeinschaft vorangetriebene Prozess, der tatsächlich in Somalia selbst stattfindet.

KNA: Ein großer Wurf hört sich anders an.

Höhne: Ich bin Pessimist. Von diesem Vorgang erwarte ich mir keine große Wende. Auf jeden Fall werden die Wahlen nicht das Ende der Übergangsphase markieren, sondern den Beginn einer neuen. Somalia ist einfach noch nicht reif für einen Neuanfang.

KNA: Aber gerade das sollte doch nach jahrelangen Bürgerkriegen durch den Einsatz afrikanischer Truppen und Gelder aus dem Westen erreicht werden.

Höhne: Mein Eindruck ist, dass sich UN, Afrikanische Union, die EU und die USA gewaltig in die Tasche lügen und seit Jahren ein Theater inszenieren, dass viel kostet, aber zu nichts führt.

KNA: Woran machen Sie das fest?

Höhne: Schauen Sie sich einfach an, was bisher geschehen ist. Da wurden von außen verordnet und anhand einer Art „Demokratie-Checkliste“ das Parlament um die Hälfte verkleinert, eine neue Verfassung ausgearbeitet und Wahlen organisiert – alles aber maßgeblich mitgesteuert von der Übergangsregierung unter dem komplett korrupten Präsidenten Scheich Scharif Ahmed und einem willkürlich zusammengewürfelten Ältestenrat.

KNA: Aber gerade der Ältestenrat sollte doch die Bevölkerung mit einbeziehen.

Höhne: Das ist ein Trugschluss, der an den tatsächlichen Verhältnissen in Somalia komplett vorbeigeht. Den Ältestenrat haben irgendwelche internationalen Berater aus dem Hut gezaubert. Hinzu kommt, dass in der traditionellen Kultur die Ältesten zwar lokal Macht ausüben, dies aber nie auf einem nationalen Level getan haben. Das wäre in etwa so, als würden Sie in Deutschland ein paar Manager und Professoren versammeln, die allein über die Rettung des Euro befinden.

KNA: Könnte der Wahlausgang angesichts dieser verfahrenen Situation nicht vielleicht doch einen Hoffnungsschimmer für die rund neun Millionen Somalier bieten?

Höhne: Ich habe vor wenigen Tagen mit Freunden dort telefoniert. Und es stimmt schon, dass das Interesse an der Wahl riesig ist. Viele pilgern in die Hauptstadt Mogadischu und hoffen, dass dort etwas Positives passiert. Aber daran glaube ich angesichts der Kandidaten eher nicht.

KNA: Wer steht denn zur Wahl?

Höhne: Rund 20 Personen, meist Mitglieder der alten Garde aus der Zeit von Diktator Siad Barre …

KNA: … mit dessen Sturz 1991 der Auflösungsprozess in Somalia begann…

Höhne: … oder neue Eliten um Scheich Scharif Ahmed, die sich von der internationalen Gemeinschaft haben kaufen lassen. Der Übergangspräsident wird wohl auch das Rennen machen. Leute wie Abdurahman Badiow von der Muslimbruderschaft Al-Islah, die im Ausland studiert haben und gemäßigte Positionen vertreten, haben kaum eine Chance.

KNA: Welchen Einfluss haben die islamistischen Al-Schaabab-Milizen?

Höhne: Militärisch sind diese Milizen so gut wie geschlagen, halten nur noch die Stadt Kismayo 500 Kilometer südlich von Mogadischu. Das Problem ist die Geisteshaltung, die dahinter steckt. Die Kämpfer sind einst angetreten, um sich gegen die beständigen Einmischungen von außen zu wehren. Sie wollten eine islamische Ordnung für das Land. Erst später kam der Einfluss von Al Qaida und radikalen Splittergruppen hinzu.

KNA: Wäre eine nicht-militante islamische Ordnung denn eine Lösung für das Land?

Höhne: Sie ist zumindest weiterhin mehrheitsfähig.