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Berliner Kinder: Feuer und Flamme

Reflexionen Delinquenz Jugendliche Silvester Kultur Sozial
Foto: imago stock

(iz). Dort, wo die Mülleimer in Flammen standen oder der Bus ausbrannte, bleiben nur noch die schwarzen Flecken auf dem Asphalt. Am Montag nach Neujahr wurde das gröbste bereits weggeräumt und die geregelte Routine deutscher Betriebsamkeit war bereits wieder im Berliner „Brennpunkt“-Stadtteil Neukölln eingekehrt. Doch die Silvesternacht wirkt weiter und die Republik ist in heller Aufregung.

Es heißt, dass Ausmaß der gezielten Angriffe auf Einsatzkräfte der Polizei und Feuerwehr sei eine neue, ungeahnte „Qualität der Gewalt“. Tatsächlich lassen sich solche Statements kaum unabhängig überprüfen. Beobachten können wir stattdessen, dass die Deutungen der Einsatzkräfte unhinterfragt übernommen werden – was stutzig werden lässt, wenn man beispielsweise an die Ausschreitungen am Rande eines Heimspiels von Dynamo Dresden im Mai 2021 denkt, bei denen insgesamt 185 Polizeibedienstete verletzt wurden.

In jedem Falle gehören Randale, Verletzungen und Unfälle zur Neujahrsstatistik dazu. Eine andere Offensichtlichkeit ist, dass Pyrotechnik in den Händen von Betrunkenen alljährlich zu viel Unheil führt. Aber Skepsis und ein wenig relativieren reichen in diesem Fall nicht aus. Denn die Jugendgruppen, meist junge Männer, existieren ja.

Wer nun aber jetzt nach Law und Order ruft, oder wer die Männer zum personifizierten Bösen erklärt, oder wer wie Jens Spahn den Grund für die Gewalt in der „Kultur“ migrantischer Jugendlicher sucht und „ungeregelte Migration“ und „gescheiterte Integration“ für die Ursachen erklärt, der will einerseits nichts verstehen und anderseits auch nichts von den Verhältnissen wissen, die zu solchen Handlungen führen. Es war erwartbar, dass sowohl das politische Establishment als auch der kleinbürgerliche Mob, der derzeit in den Netzwerken wütet, schnell auf rassistische Narrative zurückgreifen werden, um die unversöhnlichen Verhältnisse, die in manchen „Problemkiezen“ Deutschlands herrschen, kaschieren zu können.

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Ins Auge fällt, wie dramatisch oder nicht die Silvesternacht nun wirklich war, dass es bei den Randalen der jungen Männer etwas mit ihrer Klasse zu tun haben könnte. Wer auf den Straßen Neuköllns unterwegs ist und sich mit den Jugendlichen unterhält, wusste, dass sich da viel zusammengestaut hat. Drei Jahre Pandemie, der alltägliche Rassismus, die nicht zu entkommende Armut als Folge sozialer Marginalisierung, Abstumpfung durch Medien Konsum etc. hatten sich längst zu einem giftigen Gebräu zusammengemischt. Da wo es am Monatsende schon nicht reichte, reicht es seit dem Krieg in der Ukraine nicht mal mehr für den halben Monat.

Als Reaktion auf die Zustände flogen die Raketen und Böller auf die Vertreter des Staates und man kann davon ausgehen, dass der eine oder andere noch eine Rechnung mit den verhassten Ordnungshütern offen hatte; nicht zuletzt wegen der Gewalt, den Schikanen und Kontrollen seitens der Polizei, die diese Gruppe regelmäßig im Gegensatz zu Einheimischen erleben muss. Insofern lässt sich die Frage stellen, ob die Angriffe nicht Ausdruck einer Wut auf den Staat waren, die Wut kriminalisierter, ausgegrenzter, diskriminierter und perspektivloser junger Männer.

Teile der Jugend, darunter auch der muslimischen, sind aus dem Sozialisierungsprozess rausgefallen. Sie sind desillusioniert und entfremdet. Desillusioniert, weil sie in unserer Gesellschaft das berechtigte Gefühl nicht loswerden, immer am Rande zu stehen, auf ewig ein Nichts zu sein. Entfremdet, weil sie sowohl der deutschen als auch ihrer eigenen Lebensweise gleichgültig bis herablassend gegenüberstehen. Von der Entfremdung bis zur Auflehnung ist es nur ein kleiner Schritt. Die Ausgeschlossenen aus den sogenannten Migrationsvierteln lenken irgendwann die Entfremdung in Auflehnung und gehen in die Offensive. Nur so können sie aufhören, sich gedemütigt oder entfremdet zu fühlen.

Insofern stecken in der spontanen Gewalt, auch wenn sie lachend daherkommt, eigentlich die Verzweiflung oder nihilistische Langeweile der Bedrängten, denen neben der strukturellen Resignation über die eigene Zukunft nur der kurze Moment im Jahr geblieben ist, in der das Tun einmal nicht ohne Wirkung ist, wenn auch nicht zum Guten.

Wer dem Gesagten folgt, sieht, dass die konservative und rechte Deutung der Ereignisse schlichtweg falsch ist: Nicht wegen ihres kulturellen oder religiösen Hintergrunds gab es Krawalle. Vielmehr wegen des Verlusts von beidem, wegen der Erbärmlichkeit der Verhältnisse haben Jugendliche und junge Männer ihrer Wut freien Lauf gelassen, die nicht das Gefühl haben, dass die deutsche Gesellschaft auch die ihre ist, trotz dessen sie „Berliner Kinder“ (Giffey) sind.

Die Ergebnisse der Nacht sind so ernüchternd wie vorhersehbar. Übrig geblieben sind Rufe nach härterer Strafverfolgung, rassistische Instrumentalisierung der Ereignisse und schwarze Flecken auf dem Asphalt.