Das ewige Feindbild ­Muhammad

Ausgabe 251

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„Muhammad ist zweifellos eine der am meisten verleumdeten Persönlichkeiten der Weltgeschichte“ (Dr. Murad Wilfried Hofmann, Islam-Kompakt, S. 23)
(iz). Über keine andere Person der Spätantike ist so ausführlich und umfangreich berichtet worden wie über den Propheten des Islam, Muhammad. Deshalb merkt Shaikh Osman Nuri Topbas zu Recht an: „In der gesamten Geschichte der Menschheit findet sich keine andere Persönlichkeit neben Muhammad al-Mustafa, deren jede einzelne, spezifische Charaktereigenschaft so viel Interesse erfahren hat und von der jedes kleinste Detail der Lebensführung mit derartiger Genauigkeit aufgezeichnet wurde.“
Doch sollte selbst eine kenntnisreiche geschichtliche Tradierung über Muhammad keineswegs auch gleichzeitig ein Garant gegen jegliche Verzerrung der Darstellungen sein können.
Obwohl die zentralen Gestalten des Christentums, Maria und Jesus, eine herausragende Rolle im Islam einnehmen und Maria sogar öfter im Qur’an namentlich erwähnt wird als im Neuen Testament, half es nicht dagegen, dass der Prophet im Abendland über Jahrhunderte unverdrossen diffamiert wurde. Der Qur’an ist neben dem Neuen Testament die einzige Heilige Schrift, in der Jesus und Maria eine wesentliche Rolle in der Heilsgeschichte spielen. Die Nestorin der deutschen Islamwissenschaft Prof. Annemarie Schimmel (1922-2003), beschrieb deshalb folgerichtig die ungebrochene kausale Geisteshaltung des Okzidents zum Propheten mit dem folgenden Satz: „[…] denn mehr als irgendeine andere historische Gestalt hat Muhammad in der christlichen Welt Furcht, Hass, ja Verachtung erregt […].“
Wie lässt sich dieser Kontrast zu einem Mann plausibel erklären, der unter seinen Landsleuten für seine Integrität bekannt war? Selbst die erbittertsten Feinde des Propheten sprachen ihn trotz des offen ausgetragenen Antagonismus in Mekka weiterhin mit dem Ehrentitel al-Amin (der Vertrauenswürdige) an. Sogar einer seiner größten Widersacher in der Anfangszeit des Islam, Abu Sufjan, gestand die Ehrlichkeit des Propheten fürwahr ein. Als Abu Sufjan schließlich bei seinem Verbündeten, dem byzantinischen Kaiser Heraklit (reg. 610-41) Hilfe gegen Muhammad ersuchte, antwortete er auf die Frage des Kaisers, ob Muhammad jemals sein Wort gebrochen habe: „Nein, er hält jedes Versprechen, das er gibt“.
Ein weiterer Erzfeind des Islam, Abu Jahl, sagte bei einer Gelegenheit im Beisammensein mit seinen Gefährten zum Propheten: „O Muhammad, bei Gott, wir bezichtigen nicht dich der Lüge, wir bezeichnen nur als Lüge, was du gebracht hast.“
In seiner Autobiografie beschreibt der muslimische Gelehrte Muhammad Asad (1900-1992) im Rahmen einer Unterhaltung mit seinem Freund, welche historischen Ursachen bis heute noch für das abendländische Vorurteil gegenüber dem Islam maßgebend bestimmend sind. Demnach ist das Feindbild erstaunlicherweise unter dem psychologischen Fachbegriff „Idiosynkrasie“ subtil im Unterbewusstsein des Abendländers seit Generationen hinweg verankert. Asad ist davon überzeugt, dass eine einsichtige Erklärung zum Vorurteil des morgenländischen Glaubens – ohne einen Blick in die Vergangenheit – nicht in seiner gänzlichen Tragweite zu verstehen wäre: „Um zu einer wirklich überzeugenden Erklärung dieses Vorurteils zu gelangen […] muß man schon recht weit in die Vergangenheit zurückblicken und, vor allem, den psychologischen Hintergrund der frühesten Beziehungen zwischen dem Okzident und der islamischen Welt zu erfassen suchen: Denn was die Abendländer heute über den Islam denken und fühlen, wurzelt in Eindrücken, die während der Kreuzzüge lebendig wurden …“
Die vorliegende Arbeit wird sich vorwiegend mit dem geschichtlichen Aspekt des Feindbilds Muhammad im Okzident und auch über dessen Ursache, mit seinen Verästelungen, befassen.
Feuer und Schwert
Zweifellos waren die Christen vom Auftreten eines neuen Propheten nach Jesus unverkennbar irritiert, wenn nicht emotional getrübt worden. Dies lag unter anderem daran, in der Gestalt von Jesus die abschließende Botschaft bis zum Weltuntergang in den Zeilen des Neuen Testaments zu vernehmen: „Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.“
Aus diesem Grund schien es unter den gläubigen Christen nicht verwunderlich zu sein, den Propheten des Islam seit Anbeginn seiner Verkündigung, mit allen erdenklichen Medien seinerzeit zu denunzieren. Tatsächlich konnte Anfang des 7. Jahrhunderts noch niemand im Nahen Osten erahnen, die universelle christliche Ausbreitung aufhalten zu können. Zum Schock der Frommen hielt jedoch der Islam sie unwiderruflich auf. Der britische Diplomat und zum Islam konvertierte Schriftsteller Charles Le Gai Eaton (1921-2010) merkt in diesem Zusammenhang Folgendes dazu an:
„Von da an konnte nichts – es sei denn eine Frömmigkeit, die auch den schwersten Schock aushalten kann – die Christen vor dem unfaßbaren Gedanken bewahren, Gott habe einen schrecklichen Fehler begangen. Palästina und andere Länder des Nahen Ostens waren zusammen mit dem christlichen Ägypten von einem Ungeheuer verschlungen worden, das ohne Vorwarnung aus der arabischen Wüste gekommen war; die Grundfesten der Welt waren erschüttert worden, und der Schatten der Finsternis hatte sich über das Herz der Christenheit, das Heilige Land, bewegt.“
Da sich die Ausbreitung des Islam immer weiter fortsetzte, nahmen bereits in der Frühzeit ehrenhafte christliche Würdenträger wie der Theologe Johannes von Damaskus (gest. 750) es sich zur Aufgabe, Muhammad in allen Plattformen als den Vorläufer des Antichristen zu diffamieren, und er sprach daher von „[…] dem bis jetzt herrschenden Glauben der Ismaeliten (Muslime), der das Volk in die Irre leitet und als Vorläufer des Antichristen anzusehen ist“.
Die Verteufelung von Muhammad geht insbesondere auf das christliche Gründungsdokument zurück. Hiernach erhebt die Bibel einen autoritären Absolutheitsanspruch, dessen Nichtbeachtung dem Irrglauben gleichkommt:
„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich.“
„Und es ist in keinem anderen das Heil, denn auch kein anderer Name unter dem Himmel ist den Menschen gegeben, in dem wir gerettet werden müssen.“
Für Professor Gerd Lüdemann stellt das Neue Testament aufgrund seines Absolutheitsanspruchs gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen eine implizite Intoleranz dar. Nicht zufällig lautet daher der Titel seines Buches „Die Intoleranz des Evangeliums“. Darin versucht er den Nachweis zu erbringen, an welchen Stellen die Bibel überwiegend eine ideologische Intoleranz verlautbart. Letztendlich soll das Neue Testament einen ausdrücklichen Gegensatz zum Begriff der Toleranz darstellen, während kirchliche Funktionäre noch gutgläubig von der Vereinbarkeit von Evangelium und Toleranz plädieren: „Das Buch (Die Intoleranz des Evangeliums) zielt auf die Gegenwart. Indem es zeigt, dass die untersuchten Schriften des Neuen Testaments wegen ihrer im Gottesbegriff verwurzelten Intoleranz und ihres mit mangelnder Bildung verbundenen Eifers zwangsläufig Dogmatismus erzeugen, ergeben sich kritische Fragen an die heutigen Kirchen. Ihre Geistlichen werden nach wie vor auf religiöse Intoleranz, nämlich Bibel und Bekenntnis, verpflichtet. Zugleich erhebt die Kirche den Anspruch, am Aufbau des demokratischen, auf der Grundlage der Toleranz errichteten Staates mitzuarbeiten. Die kirchlichen Funktionäre meinen, Toleranz und Evangelium seien vereinbar.“
Der Gründer von Pro Asyl und Ex-Pfarrer Jürgen Micksch beklagt in einem sechs Punkte Papier, welche Ursachen für den antimuslimischen Rassismus in Europa wesentlich dafür verantwortlich seien. Danach sei Punkt eins – „die geschichtliche Belastung“ – unumstößlich nicht mehr zu übertreffen, weil er den eigentlichen historischen Kern des Antagonismus scharf umreißen würde.
In der Tat kursiert immer noch der Gedanke – nachdrücklich durch antiislamische Publikationen geschürt – der Islam habe sich mit „Feuer und Schwert“ ausgebreitet. Nach eingehender geschichtlicher Analyse scheint der massenhafte Übertritt zum Islam im Mittelalter diverse Hintergründe gehabt zu haben. Hierzu hat die Islamwissenschaftlerin Dr. Caroline Neumüller nach jahrelanger Forschungsarbeit eine wissenschaftlich seriöse Studie vorgelegt. Neumüller schildert in ihrem Buch „Konversion zum Islam im 21. Jahrhundert – Deutschland und Großbritannien im Vergleich“, eindrucksvolle Berichte über die zahlreichen Beweggründe zum Islam. Beginnend mit den Übertritten im 7. Jahrhundert, werden darin sämtliche Werdegänge umfassend und sachlich bis in die Gegenwart hinein analysiert.
Die Bestsellerautorin Dr. Sigrid Hunke (1913-1999) hielt den Mythos von Feuer und Schwert für nichts anderes als mediale Propaganda der Kirche, um den weltanschaulichen Konkurrenten zu bewältigen. In Anlehnung an Sure 2 Vers 256 „Es soll kein Zwang sein im Glauben“, schreibt sie über die unerwartet rasche Ausdehnung des Islam: „Ziel und Sinn der Eroberungszüge durch die arabischen Heere war die Ausbreitung des Herrschaftsbereichs Gottes in der Welt – nicht des islamischen Glaubens! Im Gegenteil! Die Christen sollten Christen, die Juden sollten Juden bleiben wie zuvor. Niemand hinderte sie und durfte sie an der Ausübung ihres Glaubens hindern. Niemand beeinträchtigte ihre Geistlichkeit, ihre Gotteshäuser, ihre Gottesdienste.“
Danach sei der massenhafte Übertritt in den ehemaligen Kernländern des Christentums zum Islam überwiegend „der arabischen Kultiviertheit, Vornehmheit, Eleganz und Schönheit“ zu verdanken.
Bedauerlicherweise wurde – von einigen Ausnahmen abgesehen – kaum seriöse Forschung darüber betrieben, wie sich in nur kürzester Zeit die Botschaft des Islam, seit Beginn seiner ersten Verkündigung, evident verbreiten konnte. Zu sehr wurde das Augenmerk, insbesondere durch Orientalisten, auf die kriegerische Konfrontation der religionspolitischen Komponente gelegt. Deshalb forderte schon vor geraumer Zeit der französische Philosoph Professor Roger Garaudy die westlichen Forscher dazu auf, sich sowohl historisch als auch religionssoziologisch umfassender mit dieser beträchtlichen Thematik zu beschäftigen: „Der ‘Aufstieg’ des Propheten, sein Sieg in Arabien, das blitzschnelle Fortschreiten seiner Nachfolger, die weniger als ein Jahrhundert nach seinem Tode über gewissermaßen die gesamte damals bekannte Welt regierten, mit Ausnahme eines blühenden Europas und eines China, das sich auf seinen Zenit hinbewegte, lassen sich nicht verstehen, ohne der spezifischen Botschaft des Islam einen besonderen Platz einzuräumen.“
Daher lassen sich die Konversionen zum Islam durch vielfältige „Motiv-Kombinationen“ begründen.
Der jahrhundertealte Mythos vom Feuer und Schwert hält unter anderem auch deshalb nicht Stand, weil die größte Streitmacht, die zu Lebzeiten des Propheten aufgestellt werden konnte, nur bei 12.000 Soldaten (Schlacht bei Hunayn) lag. Infolgedessen betont deshalb der muslimische Intellektuelle Dr. Murad Wilfried Hofmann: „Mit so kleinem militärischen Potenzial, das der geringen arabischen Bevölkerung und Wirtschaftskraft entsprach, hätte kein Weltreich erobert werden können. In Wahrheit lief die Bevölkerung im Mittleren Osten, in Persien, Ägypten, Nordafrika und Spanien in Scharen zu den Muslimen über […].“
Der wohl einflussreichste nichtmuslimische Islamwissenschaftler des 20. Jahrhunderts, Professor Montgomery Watt (1909-2006), akzentuiert in diesem Zusammenhang nachstehend: „Es muss betont werden, dass der Hauptzweck der frühen Feldzüge darin bestand, Beute zu machen, und nicht der Verbreitung des Islam durch Bekehrung oder der Vergrößerung des islamischen Staates diente.“
Die wesentlichen Merkmale zum Übertritt können folgendermaßen aufgelistet werden:
• Die Christologie des Qur’an entsprach den Vorstellungen vieler Christen, insbesondere der Arianer und Nestorianer, die Jesus ebenfalls nur als Propheten Gottes betrachteten.
• Wer sich mit der Christologie bis zum 5. Jahrhundert vertraut gemacht hat, wird unschwer erkennen, dass dies auch die Christologie des Qur’ans ist.
• Für viele Christen war die Trinitätslehre von Anfang an unverständlich und kompliziert. Daher empfanden sie die islamische Lehre und Dogmatik im Gegensatz dazu bemerkenswert einfach und gut nachvollziehbar.
• Muslime hielten sich an das Toleranzgebot des Qur’an, indem sie keineswegs Minderheiten der Zwangsbekehrung aussetzten.
• Das Kommen vom endgültig letzten Propheten (Siegel/Khatam, 33:40), wurde von Jesus leibhaftig mit seinem Namen „Ahmad“ angekündet (61:6). Aus diesem Grund waren nicht wenige Juden und Christen auf die Entsendung von Muhammad vorbereitet gewesen, zumal sie ihn wie ihre eigenen Söhne kannten (6:20).
• Da der Islam sich nicht als eine Kirche auffasst und angesichts dessen keine Sakramente kennt, wird die Mitwirkung eines geweihten Klerus (Priester/Bischof) keinesfalls als eine unabdingbare Voraussetzung normiert. Danach kann jeder Muslim seine obligatorisch-gottesdienstlichen Handlungen zu jeder Zeit, ohne die Vermittlung eines geistlichen Würdenträgers, autonom selbst praktizieren.
Der Islam entsprach mit der Regel der goldenen Mitte „Und so machten Wir euch zu einem Volk der Mitte“ (2:143) den ursprünglich ausgewogenen Anforderungen des monotheistischen Glaubens. Demnach wurden die Gläubigen zum weltanschaulichen Gleichgewicht aufgerufen, welches schließlich die Zügellosigkeit und übertriebene Askese sowie das Mönchtum vehement ablehnt.
Muhammad nur eine Fiktion?
Gelegentlich vertraten und vertreten einige nichtmuslimische Islamwissenschaftler weiterhin die Ansicht, dass der Prophet Muhammad nur eine Fiktion sei, die es historisch eigentlich nie gegeben habe. Die Figur des Propheten sei lediglich eine Konstruktion und Phantasie der Araber des 9. und 10. Jahrhunderts gewesen, die willkürlich erfunden sei.
Unbestreitbar ist der intensivste Vertreter dieser These der in Saarbrücken lehrende Dozent Karl Heinz Ohlig. Mit seinem im Jahre 2005 erschienenen Buch „Die dunklen Anfänge“, ist eine heftige und lang andauernde Diskussion unter den Fachleuten entbrannt.
Hierin vertritt Ohlig die These: „Die ersten beiden islamischen Jahrhunderte liegen im Dunkel der Geschichte, und es bleibt unerklärlich, wieso die Bildung islamischer Großreiche keine Zeugnisse hinterlassen haben soll, noch nicht einmal bei den Gegnern der Araber, den viel schreibenden Byzantinern, oder bei Juden und Christen unter angeblich islamischer Herrschaft.“
Auch über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus wird das Thema ausführlich beispielsweise in Fachkreisen disputiert. Die beiden Wissenschaftler und Publizisten, Yehuda D. Nevo und Judith Koren, gehen in ihrem Buch „Crossroads to Islam“ aus dem Jahre 2003 sogar so weit, Muhammad als historische Figur explizit infrage zu stellen: „Mohammed ist keine historische Figur und seine Biografie ist ein Produkt der Zeit [9. Jahrhundert], in der sie geschrieben wurde.“
Außerdem soll ein zusätzliches Indiz für die Nichtexistenz Muhammads sein, dass sein Name in den Münzen vor dem Jahr 685 nicht erwähnt sei. Bekanntermaßen benutzten zunächst die neuen arabischen Herrscher – nach dem Vorbild der byzantinischen und sassanidischen Dynastie – weiterhin deren im Umlauf befindliche Münzen, die mit christlichen und zoroastrischen Feueraltären ausgestattet waren.
Allerdings kann hier konträr eingewendet werden, dass die arabischen Machthaber aus pragmatischen Gründen vorerst keine grundlegenden Veränderungen in der gesellschaftlichen Struktur der mehrheitlich nichtislamischen Länder vorgenommen hatten, und dies aus einem guten Grund. Denn unmittelbar nach der Festigung des Gesamtgefüges der jeweiligen eroberten Gebiete, wurde schließlich die eigentümlich islamische Münzprägung eingeführt und adäquat in Umlauf gebracht.
Dennoch bestreitet eine marginale Gruppe von nichtmuslimischen Islamwissenschaftlern die Historizität von Muhammad. Demzufolge seien die ältesten von Muslimen verfassten biographischen Werke, erst 150 bis 200 Jahre nach Muhammads Tod aufgezeichnet worden.
Dies genüge allein als Hinweis dafür, weshalb den autobiographischen Abhandlungen keine Glaubwürdigkeit zugesprochen werden könne. Der Journalist Tom Holland schreibt hierzu: „In den letzten 40 Jahren wurde die Verlässlichkeit dessen, was die muslimische historische Tradition uns über die Ursprünge des Islam zu berichten weiß, immer stärker unter Beschuss genommen – das ging so weit, dass viele Historiker mittlerweile bezweifeln, ob diese Tradition uns überhaupt irgendetwas von Belang zu sagen hat.“
Andererseits konstatieren hochgeschätzte Islamwissenschaftler wie Professor Josef van Ess, Professor Gregor Schoeler und Dr. Andreas Görke, dass die „Skeptiker […] immer mehr parasitären Charakter angenommen haben. Es geht gar nicht mehr so sehr um die Sache als nur noch um die Methode. So werden komplizierte Verfahren ersonnen und eingesetzt für Untersuchungen, durch die nur bewiesen werden soll, dass dieses und jenes, und schließlich das alles, was die muslimische Tradition sagt, nicht stimmt. Besonders ärgerlich ist die Arroganz, mit der dabei der eigene ‘kritische‘ Standpunkt oft als die höhere Intelligenz verkauft wird. Der Gipfel ist dann die Behauptung, es habe den islamischen Propheten als historische Figur gar nicht gegeben.“
Bezeichnenderweise gibt es etliche Hinweise für die Existenz und Wirkungszeit des Propheten im 7. Jahrhundert. Unabhängig von den islamischen Quellen bezeugen christliche Bezugsquellen außerordentlich die Historizität von Muhammad:Die in den 630er Jahren auf Griechisch verfasste „Doctrina Iacobi“ beschreibt einen Propheten, der aus den Sarazenen hervorgetreten ist. In der um die 640 entstandenen Chronik des Thomas des Presbyters wird nachdrücklich der Name von den „Arabern Muhammads“ erwähnt.
Obwohl der französische Orientalist Ernest Renan (1823-1892) zeit seines Lebens ein eifriger Kritiker des Islams war, gab er jedoch ohne weiteres zu: „Der Islam entstand nicht in dem Mysterium, das den Ursprung anderer Religionen umgibt, sondern im hellen Licht der Geschichte.“
Danach enthalten die literarischen Berichte der Sira ein solides „Grundgerüst“, die nach Montgomery Watt, besonders im Magazi-Material (Feldzüge) über den Propheten und seinen Gefährten enthalten ist.
In seinem bis heute immer wieder neu aufgelegten und international viel rezipierten Buch „Die Geschichte der Arabischen Völker“, stellt der christlich libanesische Autor Professor Albert Hourani (1915-1993) unmissverständlich dar, dass die ältesten biographischen Werke im Großen und Ganzen als authentisch einzustufen sind: „Trotzdem enthalten sie Tatsachen über Muhammads Leben, seine Familie und Freunde, die wahrscheinlich authentisch sind.“
Unmittelbar nach dem Ableben des Propheten wurde seine Biographie, einschließlich der Geschichten über seine Gefährten, schriftlich aufgezeichnet. Zu den bekanntesten historischen Berichten gehören ganz gewiss die Werke:
Das Korpus von Urwa b. az-Zubair (gest. 712).
Kitabu´l al-Magazi (Buch der Feldzüge) von Az- Zuhri (gest. 742).
As-Sira An-Nabawiya (Das Leben des Propheten) von Ibn Ishaq (704-767).
Kitab at-tabaqat al-kabir (Das große Klassenbuch) von Ibn Sa‘d (784-845).
Den beiden Islamwissenschaftlern Andreas Görke und Gregor Schoeler ist es weitgehend gelungen, „die ältesten Berichte über das Leben Muhammads“ von Urwa b. az-Zubair nach beständigem Forschen auf der Grundlage einschlägiger Primärquellen sorgfaltig zu rekonstruieren. Schoeler bemerkt hierzu: „Die Urwa zugeschriebenen Traditionen können insbesondere dann mit Sicherheit als ‘echt‘, d.h. tatsächlich auf ihn zurückgehend, erkannt und sinngemäß annäherend erschlossen oder wiederhergestellt werden, wenn sowohl Urwas Hauptschüler az-Zuri als auch sein Sohn Hisam (und/oder ein dritter Überlieferer) die betreffende Urwa-Überlieferung unabhängig voneinander weitergegeben haben. Dies ist bei einem erheblichen Teil der das Urwa-Korpus bildenden Traditionen der Fall.“
Es kann daher nicht überraschen, wenn der Orientalist Professor Aloys Sprenger (1813-1893) in Urwa b. az-Zubair den Begründer der Muhammad-Biographie erkannt zu haben scheint. Tatsächlich bezeugen die historischen Quellen einvernehmlich, dass Urwa als einer der Ersten die systematische Tradierung zur Prophetenvita schriftlich festgehalten und diese darüber hinaus noch verbreitet hat.
Ferner wird der Prophet im Qur’an insgesamt viermal mit dem Namen Muhammad benannt, was seine historische Erscheinung vorbehaltlos verifizieren sollte.
Der Qur’an ist das erste auf arabisch geschriebene Buch. Seine Datierung kann inzwischen bis in die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts – und somit auf Muhammads Wirken – wissenschaftlich nachgewiesen werden.
Obwohl der Qur’an in erster Linie eine Botschaft und eine Rechtleitung für die Gläubigen ist, enthält er doch Informationen über das Wirkungsumfeld von Muhammad. Besonders aufschlussreich sind darin die Ortsbezüge und Gegenstände, mit denen Muhammad in Berührung kam. Die Sure 106 erwähnt beispielsweise den Stamm „Quraisch“, dem auch Muhammad angehörte. Auch werden die verschiedenen Ortsnamen ausdrücklich erwähnt, in denen der Prophet sich überwiegend aufhielt, wie zum Beispiel die Städte Mekka (48:24) und Medina (33:60). Die Biographien berichten ausführlich von Muhammads Adoptivsohn Zaid ibn Haritha. Dieser Name kommt als einziger unter seinen Gefährten im Qur’an (33:37) namentlich vor und bestätigt auf diese Weise seine enge Beziehung zu Muhammad. Diese und andere Hinweise in der Heiligen Schrift des Islam decken sich vornehmlich mit den Grundzügen der islamischen Überlieferung zu Muhammads Lebenslauf.
Das hat unter anderem Autoren dazu ermutigt, auf der qur’anischen Basis eine Biographie zum Propheten Muhammad zu erschließen.
Auf die Frage hin, ob Mohammad tatsächlich existiert habe, gab der derweil islamkritische Orientalist Professor Tilman Nagel die folgende Antwort: „Es gibt zu Mohammed außerordentlich umfangreiche, voneinander unabhängige zeitgenössische Quellen – viel mehr als etwa über Jesus. Wären sie alle Fiktion, hätte es zur damaligen Zeit eine Art ‘Reichsschrifttumkammer‘ geben müssen, die alle Quellen gemäß dieser Fiktion frisiert hätte. Eine absurde Vorstellung! Wenn Sie die Existenz Mohammeds aufgrund der Quellenlage bezweifeln wollten, müssten Sie dasselbe mit Blick auf Caesar, Karl den Großen oder jede andere historische Figur tun.“
Fazit
In der Tat ist es immer noch eine beleidigende Tatsache, als Muslim erfahren zu müssen, dass zwar der Glaube an den Einen Gott geschätzt wird, jedoch sein Verkünder Muhammad namentlich nicht einmal in den wichtigsten Dokumenten der Kirchen auftaucht, wie dies im II. Vatikanischen Konzil vom 28. Oktober 1965 zu illustrieren ist.
Die Muhammad-Karikaturen der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten, vom 30. September 2005, hatten unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit den Propheten von über 1,6 Milliarden Muslimen vor der Weltöffentlichkeit auf dem niedrigsten Niveau verunglimpft. Heute sind es inzwischen vermehrt die sogenannten Ex-Muslime beziehungsweise Kulturmuslime, die diese Stereotypen zunehmend verstärkt verbreiten.
Muslime sind jedenfalls durch den Qur’an dazu angehalten, allen Gesandten und Propheten Gottes mit Respekt und Hochachtung zu begegnen: „Sprecht: Wir glauben an Gott und was auf uns herabgesandt ward und was auf Abraham und Ismael, auf Isaak und Jakob und auf die Stämme herabgesandt ward. Und an das, was Mose und was Jesus überbracht ward und was überbracht ward den Propheten von ihrem Herrn. Wir machen zwischen keinem von ihnen einen Unterschied. Wir sind Ihm ergeben!“ (2:136)