Das System ist am Ende

Ausgabe 303

Foto: Charbel Barakat, IKRK

(KNA). Jahrzehntelang sollte ein ausgeklügeltes Proporzsystem die Machtverteilung zwischen den Religionen im Libanon austarieren. Das scheiterte bereits im Bürgerkrieg 1975. Nun droht dem Konfessionalismus endgültig das Aus.

Mit sechs muslimischen und zwölf christlichen Konfessionen ist der Libanon ein einzigartiges Mosaik auf engstem Raum – religiös, ethnisch, kulturell. Die meist geografisch konzentriert lebenden Gruppen haben die Bildung einer nationalen Identität des Landes und eines stabilen, politischen Systems schon immer erschwert. ­Jahrzehntelang sollte der Konfessio­nalismus die religiösen Kräfteverhältnisse ausbalancieren: Die Regierungsgewalt und öffentliche Ämter werden relativ zur religiösen Zusammensetzung der Bevölkerung verteilt.

Diese Form der Machtverteilung ist eng verbunden mit der Entstehungsgeschichte des Landes. Schon unter osmanischer Herrschaft bestand ein gewisser Konfessionalismus. Ihn übernahm das französische Kolonialregime, als es 1920 den Staat Großlibanon proklamierte. Den genauen Schlüssel ermittelte 1932 die bisher einzige Volkszählung im Land. Sie sprach den damals rund 53 Prozent Christen eine Vertretung im öffentlichen Leben im Verhältnis von 6 zu 5 im Vergleich zu den Muslimen zu.

Mit dem Friedensabkommen von Taif, das 1989 den Bürgerkrieg beendete, wurde das alte Konfessionssystem in modifizierter Form bestätigt. Danach muss, unabhängig von politischen Mehrheiten, der Staatspräsident Christ, der Premierminister Sunnit und der Parlamentspräsident Schiit sein. Das Klientelwesen der konfessionell-politischen Eliten hat Abhängigkeiten innerhalb der jeweiligen Glaubens­gemeinschaften gefördert, die durch ein Belohnungssystem wie die Begünstigung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt noch verstärkt werden.

Aus dem Versuch, ein friedliches Zusammenleben der religiösen Gemeinschaften im Libanon zu ermöglichen, entstand ein gleichermaßen mächtiges wie korruptes Clansystem, das dem demokratischen Prinzip der Gleichheit aller Bürger widerspricht. Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres musste eine libanesische Regierung dem Druck der Straße nachgeben und zurücktreten. Ob damit der Weg frei wird für einen Zivilstaat ohne Konfessionalismus und Quoten, bleibt abzuwarten.