Wie lässt sich die Botschaft des Qur’an übertragen?

Ausgabe 346

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Foto: Yaqeen Institute

Ein Debattenbeitrag über den Qur’an, dessen Botschaft und seine vermeintlichen Übersetzer.

(iz). Wahrscheinlich ist der Qur’an im 21. Jahrhundert nicht nur zum auflagenstärksten Buch, sondern inzwischen auch zum meistübersetzten auf dem Globus geworden. Allein im deutschen Buchhandel werden aktuell bis zu über 20 verschiedene Übersetzungen angeboten.

Für den westlichen Leser bleibt er nach wie vor eine große Herausforderung, die grundlegende Schrift einer Weltreligion inhaltlich zu erschließen. Um es mit den Worten von Bruce Lawrence zu sagen: „Der Qur’an ist ein Buch wie kein anderes.“ Das liegt vor allem daran, dass er im engeren Sinne nicht übersetzbar ist und deshalb die Bezeichnung „Qur’an“ nur der arabische Text verdient.

Die Botschaft übertragen

In der Tat ist jede Übersetzung streng genommen auch eine Interpretation des Übersetzers, was letztlich nur eine verkürzte Darstellung des Originaltextes ist. Weshalb auch in absehbarer Zukunft alle Übersetzungen zum Scheitern verdammt zu sein scheinen, wird von Hanz Zirker, der den Qur’an selbst ins Deutsche übertragen hat, nachdrücklich veranschaulicht:

„Nach islamischer Überzeugung erschließt sich der unvergleichliche Rang des Qur’an im ästhetischen Erleben. In dieser Hinsicht gerät jede Übersetzung schnell an ihre Grenzen. Die arabischen Wort- und Satzformen des Originals gehen in ihr verloren; der originale Klangkörper ist nicht übertragbar. Die Erfahrung, dass der Qur’an primär nicht geschrieben-gelesenes, sondern rezitiert-gehörtes Buch ist, kann in keiner anderen Sprache vermittelt werden.

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Foto: Archiv

Dies heißt aber nicht, dass die Übersetzung sich darauf beschränken müsste, einigermaßen den semantischen Gehalt des Qur’an, das in ihm Gemeinte, zu treffen, als ob er ein dogmatisches Lehrbuch, ein Katechismus, eine Rechtssammlung oder ähnliches wäre.

Seine Sprache lebt entscheidend auch von ihren vielfältigen kommunikativen Strukturen, rhetorischen Gesten, paränetischen Ausdrucksformen, szenischen Skizzen, Rollenzitaten, antiphonischen Wechselreden, Zwischenfragen und Zwischenrufen, Satzbrüchen, kommentierenden Anmerkungen, emphatischen Klauseln usw. Dies soll möglichst deutlich zu erkennen sein.“

Einzigartig

Demgemäß ist Allahs Buch einzigartig in seinem Stil, Syntax und Sprache, was ausnahmslos von allen Philologen anerkannt wird, die sich mit der arabischen Fachliteratur beschäftigen.

Selbst ein säkularer Qur’an-Wissenschaftler wie Nasr Hamid Abu Zaid (gest. 2010) musste nach jahrzehnterlanger Forschung schließlich eingestehen, dass die Sprache des Qur’ans nicht nur arabische Muslime sinnlich berührt, sondern dass auch arabische Christen von dieser unnachahmlichen sprachlichen Schönheit Iʿdschaz (dt. unfähig zu machen) ohnehin berührt sind.

Jacques Berque (gest. 1995), der ohne Zweifel zu den bedeutendsten Orientalisten des 20. Jahrhunderts gehörte, bemerkt dazu in Bezug auf den Iʿdschaz an: „Man muss jedoch nicht unbedingt Muslim sein, um die einzigartige Schönheit, den Reichtum und die universale Bedeutung des Qur’antextes zu empfinden.“ 

In der Tat kann sich auch ein Nichtmuslim von der Faszination der poetischen Sprachgewalt der Schrift nicht entziehen, wie dies unter anderem von Johan Wolfgang von Goethe (gest. 1832) wie folgt beschrieben wurde: „(…) grenzenlose Tautologien und Wiederholungen bilden den Körper dieses Heiligen Buches, das uns, sooft wir auch darangehen, immer von neuem anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnötigt.“

Foto: Osman Hamdi Bey, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY 2.0

Bisherige Unzulänglichkeiten

Dennoch gab es seitens von traditionellen Muslimen in der Vergangenheit einen erheblichen Widerstand gegen jegliche Übersetzungen, da sie nicht dieselbe linguistische Wirkung wie das Original in arabischer Sprache vermitteln kann.

Als prominentes Beispiel für die Unzulänglichkeit einer Übersetzung, kann hier die Anekdote des ehemaligen CDU-Politikers Christian Abdul Hadi Hoffmann (gest. 2015) angeführt werden. Aus Interesse, um den Islam besser zu verstehen, kaufte dieser in einer Buchhandlung eine deutsche Qur’an-Übersetzung. Nach geraumer Zeit stellte sich jedoch heraus, dass die Übersetzung alles andere als gut war: 

„Schon beim Kauf machte ich aus Unwissenheit einen schweren Fehler: Ich kaufte eine völlig unkommentierte Ausgabe, in der Annahme, ich könne die Aussagen schon verstehen und in ihrer Bedeutung richtig erkennen. Heute weiß ich, dass auch der deutsche Text schlecht war, und ich kann nur dankbar sein, dass ich durch dieses Experiment nicht in die Irre gegangen bin.“

In diesem Zusammenhang kritisiert der Islamwissenschaftler Stefan Weidner die Übersetzungsarbeit dahingehend, dass die deutschen Übersetzungen fast ausnahmslos von keinem fachspezifischen Übersetzer übersetzt wurden: „Alle Qur’an-Übersetzer, die neuen wie die alten, Rückert ausgenommen, sind keine Übersetzer, geschweige denn erfahrene. Sie sind immer nur und allein Qur’an-Übersetzer und ansonsten Akademiker (…).“

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Foto: Madrassa Wazzania, Larache/Norwich

Sprachliche Besonderheiten

In diesem Fall sollte noch berücksichtigt werden, dass die arabische Sprache im Vergleich zu der deutschen besondere Merkmale aufweist, deren Kenntnisnahme von grundlegender Bedeutung ist. Denn im Qur’an sind Wörter und Sinn derart verbunden, dass keine Übertragung den wahren Sinn im eigentlichen Sinne erfassen kann.

Das Arabische kann verschiedene Bedeutungen beinhalten, wobei jedes Wort auf andere Begriffe hindeuten und somit inhaltliche Beziehungen zu anderen Begriffsebenen ausgedrückt werden können.

Aufgrund dieser Vielschichtigkeit seiner Bedeutungsebene werden die Ritualgebete nur auf Arabisch rezitiert. In seinem Buch „Der Islam im 3. Jahrtausend – Eine Religion im Aufbruch“ bringt Murad Wilfried Hofmann in wenigen Sätzen diese Begebenheit treffend auf den Punkt: „Das Arabische ist fähig, zeitlich unbestimmte Aussagen zu machen, wofür wir uns etwa mit ‘es war’, ‘es ist’ und ‘es wird sein’ behelfen müssten. Ferner kann man in dieser Sprache künftige Ereignisse, deren Eintreten gewiss ist, als bereits geschehen in der Vergangenheitsform aussagen. Schließlich kann jedes arabische Wort in acht verschiedene Modalitäten gebracht werden, ob die dabei entstehende Bedeutung in der realen Welt möglich ist oder nicht. Dies qualifiziert das Arabische besonders für philosophisch-spekulatives und wissenschaftlich-hypothetisches Denken.“

Auch Schimmel winkte ab

Obwohl die Nestorin der deutschen Islamwissenschaft Annemarie Schimmel (gest. 2003), sämtliche Bücher und Texte aus dem Arabischen übersetzte, gestand sie sich unverhohlen ein: 

„Ich bin immer wieder gefragt worden, ob ich nicht den Qur’an übersetzen wolle. Doch das traue ich mir nicht zu. Um wirklich so weit wie möglich den Ton zu treffen, müsste ich die gesamten Kommentare gelesen und mein ganzes Leben ausschließlich den Qur’an studiert haben. Allein vor dem Hintergrund meiner philologischen und islamkundlichen Erfahrungen würde ich es nicht wagen.“

Der Qur’an ist das erste Buch, das in arabischer Sprache geschrieben wurde. Die Verehrung in seiner Originalsprache hat ohne weiteres bewirkt, dass sich das Arabische seit Beginn der Offenbarung nicht ausschlaggebend verändert hat. Sein Wortschatz ist nach wie vor auch heute noch Umgangssprache.

Dennoch ist seine Übersetzung von wesentlicher Bedeutung, um zumindest seine „ungefähre Bedeutung“ den nicht Arabisch sprechenden Menschen in seinen wesentlichen Zügen zu vermitteln. Die Bandbreite dieser Übersetzungen scheinen eine enorme Herausforderung zu sein, indem zwischen poetischen und nichtpoetischen Übersetzungen zu unterscheiden ist. Eines haben sie jedoch gemeinsam: Auch die gelungenste Übersetzung könnte nicht die rhetorische Wucht, die Dynamik seiner Alliteration und die Beschleunigung oder Verlangsamung des Rhythmus auch nur adäquat wiedergeben.