Die IZ-Reihe über den Alltag der Muslime. Von Sulaiman Wilms

Ausgabe 205

„Oh, ihr Muminun fürchtet Allah, wie Er gefürchtet werden muss, und sterbt nicht, es sei denn als Muslime.“ (Al ‘Imran, 102)

„Bereite dich vor auf den Tod, du mein Bruder; denn er wird auf dich herabkommen. Und krame nicht deine Hoffnungen hervor, wenn dein Herz dich rau behandelt. Fahre beharrlich fort mit der Übung der Besinnung, welche dich bewusst macht und dich dazu bewegt, gute Taten zu tun, denn das Leben wird vergehen.“ (Schaikh Muhammad ibn Al-Habib)

(iz). Sprechen wir über den Tod, dann zumeist entweder mit der gebotenen Pietät oder aber im Ton eines sarkastischen Galgenhumors. Aber wenn wir ehrlich sein wollen, dann ist der Tod – die grundlegendste Gewissheit unseres diesseitigen Lebens – oft eine abstrakte Größe.

Aus dem Alltag verbannt
Er wurde immer mehr aus unserem Alltag verbannt. In Krankenhäusern oder Pflegeheimen wurden ihm Reservate eingerichtet, sodass der Übergang in die Nächste Welt nicht länger die Illusion der menschlichen Macht trübt. Bei Trauerritualen der Mehrheitsgesellschaft, so Fachleute, werden die Gelegenheiten, dem Tod und dem Verstorbenen ins Angesicht zu schauen, immer mehr eingeschränkt. Es ist sicherlich eine interessan­te Frage an die Muslime der jüngeren Generationen, wer – jenseits der professionellen Bestattungshäuser – in ihrer Gemeinde um die Abläufe der Begleitung von Sterbenden vor und nach deren Tod weiß.

Ich selbst bekenne, dass es bei mir bis zu einem 41. Lebensjahr dauerte, bis ich mehr oder weniger direkt vom Tode betroffen war, als ein Mitglied aus der Familie meiner Frau starb. Dies war insofern eine relevante Erfahrung für mich, als dass ich beobachten durfte, wie ihre Familie mit dem Sterbenden zusammen war, sein Sterben bezeugte und den Todesfall danach durch Waschung, Totengebet, Bestattung, Beisammensein und dem Geben von Sadaqa verarbeitete.

Keine leeren Rituale
Diese Verrichtungen, die ihren Ursprung in der prophetischen Lebensweise und in der islamischen Tradition haben, sind keine sinnentleerten oder symbolische Rituale. Vielmehr dienen sie – ­neben der eigentlichen Bestattung – dem Verständnis der Bedeutungen von Sterben und Tod. Die Angehörigen und Naheste­henden erkennen so den Übergangscharakter des Sterbens und, insbesondere wenn der Sterbende einen gesegneten Tod inmitten seiner Familie hat, begreifen auch, dass der Tod ein ­integraler Bestandteil des Lebens ist.

Als Angehöriger oder Ehepartner erkennt man, dass die banalen Worte des Trostes nicht den majestätischen Charak­ter von Sterben oder Tod übertünchen können. Aber die Erkenntnis des ­Satzes, den Muslime in solch einem Augenblick sagen („Wahrlich, wir kommen von ­Allah und zu Ihm kehren wir zurück“) ist vor allem eine Erinnerung an uns: Auch uns wird der Tod unausweichlich begegnen und er stellt eine der Stationen auf unserer Reise dar.

Haltung zum Tod
Um die muslimische Haltung gegenüber dem Tod und den Umgang mit ihm zu verstehen, muss man sich auch hier von Missverständnissen und Fehlkons­truktionen freimachen. Dazu gehört der barbarische Satz aus dem Dunstkreis von Al Qaida, wonach Muslime den Tod lieben würden. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Die Entschei­dung, wann wir sterben, liegt nicht bei uns, sondern bei Allah. Den Ton herbei­zusehnen, wie dieses Zitat nahelegt, wäre unsinnig, da es Allah ist, der den Zeitpunkt unseres letzten Atemzugs festlegt. Aber das Wissen um unsere Sterblichkeit – das heute in jedem Augenblick durch die Illusion der technologischen Machbarkeit verdeckt wird – verleiht unserem Leben Bedeutung. Und es sollte unserem Leben die notwendige Ernsthaftigkeit geben.

Vom Propheten Muhammad erfahren wir, dass wir sterben, wie wir gelebt haben. Und wir werden auferweckt werden, wie wir gestorben sind. Auch aus diesem Grund war eines der stärksten Bittgebete, selbst der größten ­spirituellen Meister, Allah nicht im Augenblick ihres Todes zu vergessen. Aus diesem Grund werden Sterbende, wenn sie noch sprechen können, dazu angehalten, vor ihrem Ableben das Glaubens­bekenntnis auszusprechen, da sie nach ihrem Tod von den Engeln nach Allah, ihrem Propheten und ihrer Religion befragt werden. Muslime sehnen sich nicht nach dem Tod, aber sie haben die Hoffnung, am Tage des Jüngsten Gericht in den Garten eintreten zu dürfen und dort den Propheten zu sehen und ins Antlitz ­Allahs zu blicken.

Wir sind in dieser Welt nur auf der Durchreise, auf unserer Reise zu Allah, dem Herrn der Welten. Wir nutzen die Dinge dieser Welt nur für die relativ kurze Dauer unseres Aufenthalts in ihr, und überlassen sie dann denen, die nach uns kommen. Wir können nichts mitnehmen, noch können wir zurückkehren, daher hat es keinen Wert, uns an sie zu haften. Der Prophet Muhammad sagte: „Lebe in dieser Welt wie ein Fremder oder wie einer, der auf der Durchreise ist.“

Eine Erinnerung
Der Gesandte Allahs sagte: „Erinnert euch an die Zerstörer der Freuden: Tod.“ Daher sind das Bewusstsein um den Tod, die Akzeptanz der eigenen Sterblichkeit, die Erinnerung und das Sprechen über den Tod weder morbide, noch negativ oder makaber, Es ist vielmehr gesund und empfehlenswert, da dies uns und andere unsere Sterblichkeit, die Heimkehr zu unserem Schöpfer und die Abrechnung mit unseren Handlungen bewusst macht. So, wie Asch-Schafi’i es in einem Gedicht sagte: „Oh ihr, die voll mit ­dieser Welt beschäftigt seid, gefangen in leeren Hoffnungen. Der Tod wird plötzlich zu euch kommen. Und das Grab wird der Käfig eurer Handlungen sein.“ Im Qur’an erinnert Allah uns in ­vielen Versen an die Vergänglichkeit unseres irdischen Lebens und an den Vorzug und die Dauerhaftigkeit des jenseitigen Lebens dem gegenüber. „Jede Seele wird den Tod kosten. Und erst am Tag der Auferstehung wird euch euer Lohn in vollem Maß zukommen. Wer dann dem Feuer entrückt und in den ­Garten eingelassen wird, der hat fürwahr einen Erfolg erzielt. Und das diesseitige Leben ist nur trügerischer Genuss.“ (Sure Al ‘Imran, 185)

Was Muslime tun
Wenn der Tod eintritt, sollen die ­Augen geschlossen werden. Zuvor soll in Anwesenheit des Sterbenden die Schahada, die islamische Glaubensbezeugung, gesprochen werden, um ihn daran zu erinnern. Das Weinen ist bedenkenlos. Schreien und lautes Klagen sind hingegen verboten. Der Prophet Muhammad hat sich vehement dagegen ausgesprochen und es als vorislamische Praxis ­betrachtet.

Der Leichnam wird dann möglichst umgehend rituell gewaschen, mehrmals, und zwar ein ungerades Mal. Zum Waschen wird klares Wasser benutzt; bei der zweiten Waschung werden dem Wasser gemäß der Sunna Blätter des Lotusbaums beigegeben, falls möglich, oder auch der Zeder oder ähnlichem. Bei der letzten Waschung soll dem Wasser Kampfer beigemischt werden. Der Leichnam sollte vornehmlich vom Ehepartner gewaschen werden oder von anderen Verwandten, soweit möglich, und möglichst von Angehörigen des gleichen Geschlechts.

Nach der Waschung wird der Körper in eine ungerade Zahl von Tüchern oder Kleidungsstücken gehüllt, und zwischen jeder Lage von Stoff wird er parfümiert. Ebenso der Körper; vor allem an den ­Stellen, an denen er bei der Niederwerfung den Boden berührt und allen Stellen, die vom Auge nicht gesehen werden können. Im Grab sollte der Leichnam auf die rechte Seite gelegt werden, in Richtung Qibla blickend. Platten aus Ton werden darüber gelegt und die Lücken dazwischen verschlossen. Im Grab sollte eine Nische an der zur Qibla gerichteten Seite angelegt werden. Das Grab des Propheten wurde genauso angelegt. Dann wird Erde darüber gegeben und das Grab zugeschüttet.