Ein Gespräch mit dem weltbekannten jemenitischen Gelehrten Schaikh Habib Omar

Ausgabe 178

(iz). Allzu oft werden in Debatten und bei politischen Verhandlungen über den Islam nur selten oder auch gar nicht die religiösen Gelehrten befragt. Dies hat nicht nur zur Folge, dass die religiöse Lebensweise des Islam unnötig und fälschlicherweise politisiert wird. Es führt auch dazu, dass die extremen Positionen das Gespräch dominieren.

Aus diesem Grund sprach die Islamische Zeitung mit dem renommierten, aus dem Jemen stammenden Gelehrten Schaikh Habib Omar bin Hafiz, der seit Jahren – in Verteidigung des Dins gegen diese Extreme – einen traditionellen Islam lehrt, der sich am prophetischen Vorbild orientiert.

Islamische Zeitung: Global, aber insbesondere auch in den Ländern des Westens, sind die praktizierenden Muslime zwischen den Extremen – politisierter Islam einerseits und Esoterik andererseits – hin- und hergerissen. Glauben Sie, dass eine Rückbesinnung auf den klassischen Islam, unter anderem sein Recht und seiner spirituellen Tradition (Sufismus), dabei helfen kann, diesen Gegensatz auszugleichen?

Schaikh Habib Omar bin Hafiz: Zweifelsohne gibt es keine Heilung des abwegigen Verhaltens bei den Muslimen und keine Beseitigung ihrer Probleme, auf deren wichtigste Elemente, nämlich die Übertreibung und die Fahrlässigkeit, die Frage bereits hingewiesen hat, außer, dass sie zu den Wirklichkeiten und Grundsätzen des Islam zurückkehren. Diese Wirklichkeiten sind mit den drei Säulen, dem Islam, dem Glauben (Iman) und der verfeinerten Bewusstsein (Ihsan) verbunden.

Diese Rückkehr erfolgt durch die Stärkung des Glaubens, die Kenntnis der religiösen Rechtssprechung und das Erreichen des Ranges des verfeinerten Bewusstseins, entsprechend des guten Benehmens und der Erziehung. Dieser Weg schützt die Muslime vor den schlimmen Ergebnissen und Konsequenzen der Übertreibung und der Fahrlässigkeit auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite bringt er sie wieder zur Ausgeglichenheit und zur Mitte zurück. Das bedeutet: ohne die Verbreitung der korrekten Rechtssprechung, die sich im sichtbaren Teil auf die religiösen Pflichten und im tiefen Teil auf das verfeinerte Bewusstsein bezieht, und die regelmäßige Stärkung des Glaubens wird kein Ausweg aus diesen Krisen und der Neigung zur Fahrlässigkeit und Verlust zum einen und zur Übertreibung und Härte zum Anderen erreichbar sein.

Islamische Zeitung: Brauchen wir Muslime eine – im richtigen Sinne verstandene – Rückbesinnung, um die Veränderungen des islamischen Verständnisses auszugleichen, die in den letzten Jahrzehnten erzeugt wurden?

Schaikh Habib Omar bin Hafiz: Was wir brauchen ist, dass wir unsere Positionen entsprechend dem schönen islamischen Verhalten und seinem perfekten und umfangreichen System so aufstellen, dass die Wahrheit ans Tageslicht kommt. Denn dadurch verschwinden die Verdunklungs- und Störungsversuche, die sich bei der nichtauthentischen Vermittlung und Information über das Thema Islam ergeben. Es gehört eben zu den wichtigsten Faktoren, die die Nichtakzeptanz des Islam bei den Nichtmuslimen hervorrufen, dass die Übertreibung und die Aversion bei den Muslimen selbst zu finden sind. Wenn die Muslime sich also mit der Aufrichtigkeit, den nützlichen Wissenschaften und den guten erziehenden Gelehrten eng verbinden, so werden die wahren Elemente des Islam durch ihre Umgangsformen für jeden Menschen sichtbar sein. Auf diese Weise werden ihre Positionen gegenüber jedem Kontrahenten ausgeglichen, gemäßigt und fair sein. Es schlägt eine Tür auf, um sich zu verständigen und die Wahrheit aufzufassen. Es streckt die Hand aus, damit sich das Gute und das Nützliche für die Menschheit verwirklichen, ohne jemandem zu schaden. Dieses gebietet sowohl das Verhalten des Propheten Muhammad, Allah möge ihn segnen und ihm Frieden geben, als auch das Verhalten der Gefährten, der Angehörigen des Hauses des Propheten und der Rechtschaffenen der islamischen Gemeinschaft.   Islamische Zeitung: Mittlerweile dominiert – gerade bei jungen Muslimen – eine Sinnstiftung durch das Internet. Lassen sich überhaupt traditionelle Wissensinhalte des Islams im Netz vermitteln?

Schaikh Habib Omar bin Hafiz: Um das Wissen zu erwerben und zu empfangen, ist es ursprünglich so vorgesehen, dass man es sich von ausgewiesenen Lehrern vermitteln lässt, deren ununterbrochene Vermittlungskette über die Jahrhunderte hinweg von für ihre Aufrichtigkeit und Güte bekannten Imamen getragen wird, und die bei dem Propheten Muhammad, Allah möge ihn segnen und ihm Frieden geben, endet. Wenn der Empfang des Wissens so erfolgte, so sind das Internet bzw. die Bücher oder CDs so zu nutzen, dass sie zur Erweiterung und Wissensvermehrung eingesetzt werden könnten. Sie können aber keineswegs als eigenständige, unabhängige Quellen verstanden werden.

Derjenige also, der mit einem solchen Lehrer verbunden ist, kann, nachdem er die Grundsätze und Prinzipien bei ihm gelernt hat, diese weiteren Quellen nutzen. Das Internet ermöglicht es aber auch, dass man sich bestimmte Videos anschaut oder miteinander korrespondiert, wobei dieses den eben beschriebenen Lehrer niemals ersetzen kann. Es ist einfach so, dass durch das direkte Hören und das Beisammensein mit dem Lehrer dieser seine Schüler besser kennenlernen, einschätzen und erziehen kann. Dieses ist aber nicht der Fall beim Empfang des Wissens von Weitem. Die Vorteile dieser Telekommunikationsmöglichkeiten sind also nicht abzustreiten. Aber als Ersatz dafür, bei einem Lehrer zu lernen und von ihm erzogen zu werden, dürfen sie nicht gelten.

Islamische Zeitung: Wenn nicht, was wären in Europa die Alternativen?

Schaikh Habib Omar bin Hafiz: Wir haben bereits erwähnt, dass die Nutzung des Internets eine Möglichkeit ist, bei der man mit dem Lehrer sprechen und ihn um einen Ratschlag bitten kann. In dieser Hinsicht ist das Internet den Büchern vorzuziehen. Dort, wo man den Lehrer findet, kann man mit ihm durch das Internet oder sonstiges Kontakt aufnehmen. Und dieses ist eine gute Kontaktaufnahme. Aber unsere Aussage ist die: Diese Telekommunikationswege sind nützlich, können aber den direkten persönlichen Wissensempfang nicht ersetzen. Das ist die Basis und der höchste Rang. Für diejenigen, die etwa in Europa leben und keinen erziehenden Lehrer ihres Vertrauens finden, gilt, dass das Internet eine gute Möglichkeit darstellt, um mit so einem Lehrer Kontakt aufzunehmen. Dieses hat allerdings verbunden mit der glaubhaften Zielsetzung, der klaren inneren Reinheit und der reinen Absicht zu erflogen.

Islamische Zeitung: Haben Sie Ratschläge an die in Europa lebenden Muslime?

Schaikh Habib Omar bin Hafiz: Unser Rat für sie ist, dass sie sich die große Gabe Allahs vergegenwärtigen, die Er ihnen hat zukommen lassen, indem Er sie zu dieser Religion rechtgeleitet hat und sie zu den Gefolgsleuten des Propheten Muhammad, Allah möge ihn segnen und ihm Frieden geben, hat zählen lassen. Dieses vermittelt ihnen, dass sie Pflichten, Verantwortung und Aufgaben in diesem Leben haben. Jeder von ihnen soll sich im Klaren sein, dass ihm etwas anvertraut wurde. Die Pflichten, die mit diesem anvertrauten Gut zusammenhängen, gilt es, zu erfüllen. Die Vorschriften der Gesetzgebung Allahs und die Lebensart des Propheten Muhammad, Allah möge ihn segnen und ihm Frieden geben, sind sehr sorgfältig zu behandeln. Die Praxis diesbezüglich soll sich auf ihr Selbst, ihre Kinder, ihre muslimischen Brüder und ihre Nachbarn ausdehnen. Außerdem sollen die Muslime sich darum bemühen, andere über die islamischen Werte und Grundsätze zu informieren. Das gute Miteinander und das nützliche Tun für die Gesellschaft, in der sie leben, sollen ihr Handeln prägen. Ebenso soll darauf geachtet werden, dass von ihren Kindern kein Schaden für die Gesellschaft ausgeht, weswegen sie verurteilt würden. Denn diese Straftaten würden einen Verrat gegenüber der Gesetzgebung ihres Herrn und gegenüber ihrem Propheten darstellen, bevor sie gegen hiesiges Gesetz verstoßen hätten. Es ist Ernst zu nehmen, dass wir unseren Alltag vor der Dekadenz schützen. Die Muslime sollen den Platz unter Menschen einnehmen, der der ihnen von Allah geschenkten Gesetzgebung würdig ist. Es darf nicht sein, dass die Quote unter den Straftätern unter den Muslimen doppelt so hoch ist wie bei den Nichtmuslimen. Deshalb soll jeder Muslim seinen Beitrag dazu leisten, dem einen Riegel vorzuschieben. Die Muslime sollen gute Beispiele darstellen, die für sich und Andere nützlich sind.

Islamische Zeitung: Lieber Schaikh Habib Omar, vielen Dank für das ­Interview.

Webseiten:
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