Eine Replik auf Alan Posener

Foto: Presidency of the Republic of Turkey

(iz). Vor einigen Tagen meldete sich der politische Korrespondent der Welt, Alan Posener, zu Wort (Link zum Artikel) und freute sich, dass zum Glück noch nicht alle Möglichkeiten gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ausgeschöpft seien.
Gerade der letzte und entscheidende Satz von Poseners Meinungsbeitrag mit dem Titel „Europa hat noch einige Trümpfe gegen Erdogan“ verdeutlichte, wie es in den Köpfen mancher Meinungsmacher zugeht: „Die Ära Erdogan geht irgendwann zu Ende, hoffentlich vor 2023, dem 100. Jahrestag der Republikgründung. Die Türkei ist und bleibt wichtig.“
Wie zu sehen, besser gesagt zu lesen, wünschen sich viele das Ende der Epoche Erdoğans herbei, da der türkische Präsident seinem Land und der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürgern zu mehr Wohlstand, Wachstum und Eigenständigkeit verholfen hat. Er gilt jetzt zu Lebzeiten schon, nach Atatürk, als der zweite große Modernisierer der türkischen Republik.
Posener: „Die Türkei ist und bleibt wichtig“
In Zeiten, in denen auch zwischen Eliten nicht mehr unter vorgehaltener Hand über einen möglichen Zerfall der Europäischen Union (EU) und der europäischen Idee diskutiert wird, scheinen sich auch die Positionen zwischen den Bittstellern und Gebern verschoben zu haben. Eine schwache und ergebene Türkei ist in dem Zusammenhang bei einer schwächelnden, in der Krise steckenden EU für viele realpolitisch wünschenswert. Je eher, desto besser. Und „hoffentlich vor 2023“. Denn die Türkei sei und bleibe wichtig.
Richtig Herr Posener! Die Türkei ist und wird auch in Zukunft unersetzlich für den europäischen Zugang in den Nahen- und Mittleren Osten sein. Die Pipelinerouten für Öl, Gas, Wasser verlaufen, für die einen glücklicherweise für die anderen wiederum unglücklicherweise, fast alle über die Türkei. Die geostrategische Lage und die noch nicht ausgehobenen Bodenschätze des Landes machen das Land attraktiv. Auch wenn der Text von Posener am ersten Tag des Monats April erschien, handelte es sich freilich nicht um einen Aprilscherz.
Schmähungen zeigen, dass Erdoğan wichtig ist
Auffällig ist, dass die verbalen und medialen Angriffe auf Erdoğan sich in dem Maße häufen, je sicherer, selbstbewusster und stärker dieser national wie international auftritt. Man möchte ihn, so zumindest der Anschein, zähmen. Die „Angst- und Panikberichterstattung“ kann man täglich in den Zeitungen und TV-Sendern nachverfolgen. Erdoğan bestimmt die Agenda. Er beherrscht nun auch die Kunst und Satire.
Zugegeben: Der „extra 3“ Beitrag im NDR war in gewissem Maße noch humorvoll. Was sich aber Jan Böhmermann einige Tage darauf in „ZDFneo“ leistete, glich in mehreren Passagen den erbärmlichsten Schmähbriefen von Rechtsextremen und Rassisten, die damit nahezu täglich islamische Einrichtungen in Deutschland, teilweise anonym, anschreiben. Daher die berechtigte Frage: Repräsentiert Erdoğan möglicherweise nicht nur die „Türken“, sondern alle „Muslime“? Die Beleidigungen illustrieren immerhin, dass Erdoğan mehr als wichtig ist.
Erdoğan dringt langsam in das Kollektivgedächtnis ein
Der türkische Präsident scheint das Bewusstsein der Politiker, Medienverleger und der Gesellschaft immer entscheidender zu durchziehen. Die aus der Geschichte resultierende „Reich- und Türkengefahr“, die Jahrhunderte lang das abendländische Kollektivgedächtnis prägte, spiegelt sich heute in der Person Recep Tayyip Erdoğans wider.
Trümpfe gegen Erdoğan: Wirtschaft und Sicherheit
Des Weiteren schreibt Alan Posener, womit er auch Recht behält, dass die Türkei seit 65 Jahren ein Verbündeter des Westens sei. Man brauche das Land im Kampf gegen den Terrorismus. Doch genau hier entpuppt sich auch die Doppelzüngigkeit des Welt-Autors. Denn wenn es nach ihm ginge, sollten Europa und die USA ihre Trümpfe in der Hand geschickt gegen die Türkei ausspielen. Er geht dabei auf die Rede Erdoğans vor einem US-amerikanischen think tank ein, wo dieser unter anderem eine gemeinsame Bekämpfung aller(!) Terrororganisationen, auch die von einigen Staaten als Arbeiterpartei eingestufte PKK, forderte.
Es ist nicht schwierig zu verstehen, dass man der Türkei neben wirtschaftlichen Druckmitteln (Zollunion, TTIP-Abkommen) auch mit sicherheitsrelevanten Instrumenten (Unterstützung von so genannten „Freiheitskämpfern”, „Arbeiterparteien” etc.) das Leben schwer machen könnte. Ganz zu schweigen von der finanziellen, personellen, militärischen und logistischen Unterstützung für die Mitglieder dieser “Arbeiterpartei”.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Nichtsdestotrotz können Herr Posener und seine Sinnesverwandten natürlich weiterhin hoffen, dass Erdoğan vor 2023 abtritt oder anderweitig sein Amt verliert. Nur ob es wirklich dazu kommt, ist eine ganz andere Frage. Aber vielleicht am kommenden 1. April? Oder am 30. Februar des nächsten Jahres? Ich werde Herrn Posener ganz bestimmt auf dem Laufenden halten.
Yasin Baş ist Politologe, Historiker, Autor und freier Journalist. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?” sowie „nach-richten: Muslime in den Medien”.