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Frankreichs Riots durch das Kino erklären

Ausgabe 339

frankreich la haine
Foto: Moviestore, Shutterstock

Frankreich: Das Kino unseres Nachbarlandes beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Banlieues und Konfliktursachen.

(The Conversation). Frankreich wurde im Frühsommer von tagelangen Unruhen erschüttert, nachdem ein unbewaffneter Jugendlicher algerischer Herkunft in einem Pariser Viertel von einem Polizisten erschossen worden war, der bei einer Routinekontrolle die Flucht ergriffen hatte.

Frankreichs Kino leistet einen Beitrag zum Verständnis

Künstler, Intellektuelle und Bürger forderten Gerechtigkeit für einen Teil der Bevölkerung, der seit Jahrzehnten die Schikanen der Polizei durch Kontrollen, Diskriminierung und Rassismus anprangert.

Das UN-Hochkommissariat forderte Paris auf, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in den Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden zu bekämpfen. Auch der UN-Menschenrechtsrat hat Frankreich rassistische Diskriminierung und Polizeigewalt vorgeworfen.

Das französische Kino hat nicht aufgehört, diese Geschichte zu erzählen. So erzählt „Athena“ (2022), wie nach dem Mord an einem Teenager der Konflikt zu einem Quasi-Bürgerkrieg eskaliert. Das mag wie eine Vorwarnung klingen, ist es aber nicht. Es gibt Präzedenzfälle, von denen der gravierendste auf das Jahr 2005 zurückgeht.

In der Nacht des 27. Oktober 2005 versteckten sich drei junge Männer in Clichy-sous-bois, östlich von Paris, in einem Transformator, um sich einem Polizeiverhör zu entziehen. Zwei von ihnen erlitten einen tödlichen Stromschlag, der dritte überlebte mit schweren Verbrennungen und wurde in sehr schlechtem Zustand ins Krankenhaus eingeliefert.

Die Reaktion darauf war ein massiver und gewalttätiger Volksaufstand, der drei Wochen andauerte. Die Unruhen griffen auf das ganze Land über und betrafen die Vorstädte von 200 Städten. Die Worte des damaligen Innenministers Nicolas Sarkozy halfen nicht. Bei einem Besuch im Viertel Val d’argent in Argenteuil bezeichnete er die Jugendlichen der Vorstädte als „racaille“ (Abschaum).

Premierminister Dominique de Villepin rief angesichts der unkontrollierbaren Situation den Ausnahmezustand aus. Neuntausend Fahrzeuge wurden zerstört und Gebäude von Institutionen angegriffen. Die Verletzten und Verhafteten wurden nicht mitgezählt. Der Gesamtschaden wurde auf über 150 Millionen Euro geschätzt.

Diese Vorfälle finden nur gelegentlich Einzug in die europäischen Medien, aber in Wirklichkeit geschehen sie ständig. Das Kino der letzten Jahrzehnte legt davon Zeugnis ab, indem es die alltäglichen sozialen Brüche anprangert, das schwierige Verhältnis zur Polizei, die Frustration, den Kreis des Viertels nicht verlassen zu können, und eine Schule, die sich als Erlöser eines Problems aufspielt, für das es keine schnelle Lösung zu geben scheint.

Die Ursprünge des Konflikts

Der Film „Retour à Reims“ (2021), der aus Dokumentarfilmfragmenten aus dem Bestand des Institut National de l’Audiovisuel (INA) zusammengestellt wurde, beschreibt das Phänomen der massiven Einwanderung, die durch die Gesetze begünstigt wurde, die nach dem Zweiten Weltkrieg erlassen wurden. Die soziale Landschaft der Städte veränderte sich und führte zu einem nicht immer einfachen Zusammenleben.

In den 1940er und 1950er Jahren kamen täglich Tausende von Menschen mit Booten aus Algerien und Marokko an den französischen Küsten an. Sie wurden von den Institutionen und Unternehmen mit Maßnahmen empfangen und aufgenommen, die in Bezug auf Löhne und Rechte bereits diskriminierend waren.

„The Women on the 6th Floor“ (2010) erzählt ebenfalls vom Alltag einer Gruppe spanischer Frauen, die als Hausangestellte ausgewandert sind. Neben Zärtlichkeit, Nostalgie und Humor zeigt der Film auch Schikanen, Missbrauch und Härte, denen viele Ausländerinnen ausgesetzt waren.

Ein Dauerbrenner im französischen Kino

Und was hat das mit dem letzten Mord und den Unruhen zu tun? Alles. Die Jahre vergingen, und die Kinder und Enkel dieser ersten Emigrantengenerationen wurden in Frankreich geboren und unter dem Motto „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ erzogen. Doch bald mussten sie feststellen, dass dies für sie nicht galt.

So kam es in den 1980er Jahren zu den ersten Demonstrationen gegen Rassismus und Diskriminierung aufgrund der ausländischen Herkunft. Die Quartiere der Großstädte wurden so gestaltet, dass sie die gesamte arbeitende Bevölkerung, ob Ausländer oder nicht, aufnehmen konnten, indem in ausgewählten Zonen „Wohnungen zu moderaten Preisen“ gebaut wurden.

Sie wurden in kürzester Zeit und mit minderwertigen Materialien errichtet, um Tausende von Menschen unterzubringen, die Städte wie Paris, Toulouse oder Marseille aufnahmen. Heute sind viele von ihnen urbane Räume der Marginalisierung und Prekarität, die in Anspielung auf die anhaltenden Probleme, die sie beherbergen, als „quartier sensible“ bezeichnet werden.

„La Haine“ (1995) zeigt das Leben von Jugendlichen in der Banlieue, ohne Schule, ohne Arbeit, auf der Flucht vor Polizeikontrollen, vergeblich bemüht, Drogen und Kriminalität zu vermeiden. Es nimmt kein gutes Ende. Ohne zu viel verraten zu wollen, kann man sich ein Bild davon machen, wenn man die Nachrichten dieser Tage verfolgt.

Schule als Basis der Lösung

Die Realität ist hartnäckig, aber das Kino schafft Räume, real oder fiktiv, roh oder idyllisch, in denen ein anderer konstruktiver Ansatz für das Zusammenleben und das Aufbrechen von Klischees gesucht wird. Vor allem aber wird die Schule als Lösung des Problems dargestellt, und zwar in einem zutiefst französischen Geist. Tatsächlich gibt es viele Filme, die sich mit dem Thema Bildung und Schule beschäftigen.

So auch der ebenfalls preisgekrönte Film „Entre les murs“ (2008), dessen Originaltitel sich direkt auf die scheinbare Oase der Klassenzimmer bezieht, die jedoch das Außen darstellen. Ein vielschichtiges Mosaik, das die delikate Komplexität einer Gesellschaft enthüllt und Verallgemeinerungen, Stereotypen und Vorurteile in Frage stellt.

Das universitäre Umfeld spiegelt sich auch in „Le brio“ (2017) wider. In diesem Film zeigt ein Literaturprofessor anhand des Philosophen Schopenhauer und seiner „Kunst, Recht zu behalten“, wie das Wort eine neue, herzliche Welt des Zusammenlebens schaffen kann. Die Studentin bewahrt den Professor vor der Exmatrikulation und erreicht ihr akademisches Ziel. Doch erst die Entdeckung ihrer scheinbar unüberbrückbaren Gegensätze führt zur Verständigung.

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