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Für eine faire Gesprächskultur

Ausgabe 282

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(iz). Als Menschen bedienen wir uns der Sprache, um zu kommunizieren. Dies zeichnet uns Menschen aus und hebt uns von anderen Wesen ab. Sprache ist aber mehr als nur ein Mittel oder gar ein Instrument. Sie ist konstituierend und spiegelt mehr als nur unsere Gefühle, Ideen und Eindrücke wider, ein Ausdruck unseres Seins. Mit den Worten von Hans-Georg Gadamer ausgedrückt: „Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache.“ Dieser prägnante Satz vermittelt uns auch – so meine Interpretation –, dass wir uns immer wieder verständigen müssen, was Sprache ausmacht, genauer, was sie ist. Denn durch Sprache konstituieren und konstruieren wir unsere Welt. Dies hat wieder Auswirkung auf uns und die anderen.

Als muslimische Minderheit kommunizieren wir nicht nur in unseren Muttersprachen, ­sondern bedienen uns auch der deutschen ­Sprache. Nicht nur, weil einige, insbesondere junge Menschen, die Sprache ihrer Eltern nicht mehr beherrschen, sondern wir auch Inhalte, Ideen, Thesen und Eindrücke in die deutsche Sprachwelt übertragen möchten. Manchmal übersetzen wir, oder generieren hierbei neue ­Inhalte.

Die Grundannahme dabei ist, dass dies Teil eines offenen Diskurses ist beziehungsweise sein sollte – der offen ist für Rede und Gegenrede. Folglich prägt dieser Diskurs auch eine Sprachkultur mit, die wir nach außen, aber auch nach innen vermitteln. Hierdurch prägen wir als ­Pioniere eines deutschsprachigen Islam einen Habitus, welchen wir anderen mitgeben und der eine Vorbildfunktion hat – ohne dass wir uns dessen immer bewusst sind. Wie steht es nun um Kommunikation nach innen? Es gibt nur wenige mediale Plattformen, über die Muslime miteinander oder mit der Außenwelt in Eigenregie kommunizieren. Der Hauptteil der Kommunikation, wenn nicht hinter verschlossenen Türen, erfolgt über soziale Medien. Und erfolgt dabei insbesondere über Beiträge auf Facebook. Der Ertrag dieser Diskussionen scheint mir ­persönlich – so mein Eindruck – bescheiden, gar enttäuschend zu sein.

Es irritiert nicht nur, es ist mittlerweile bedauerlich zu sehen, dass Protagonisten des Islam in Deutschland sich verbale Schlachtkämpfe liefern und sich über Social Media selbst zerfleischen. Es liegt mit Sicherheit auch am Medium. Es erlaubt, teilweise durch die Ermöglichung von Fakeaccounts, Fakenews usw. Eindrücke zu vermitteln, Ideen zu transportieren, die nichts mit der Realität zu tun haben. Des Weiteren ermöglicht es Einzelpersonen, eine viel größere Gemeinschaft von Menschen zu erreichen, als dies physisch möglich wäre.

Dies gibt aber auch Akteuren die Möglichkeit Stimmung zu machen, zu manipulieren und Profit zu machen, wie bei „Influencern“. Soziale Netzwerke geben Raum für Selbstdarsteller und Exzentriker, ermöglichen einen „optimierten Exhibitionismus“ wie der Social-Media-Experte Alex Wunschel es ausdrückt. Vor allem aber ermöglicht und kreiert dies eine Diskussionskultur, in der zwangsweise komplexe Inhalte auf wenige Sätze reduziert werden müssen und dabei ­Missverständnisse vorprogrammiert sind.

Hinzu kommt, dass es trotz (oder wegen?) ­Smilies kaum möglich ist, die emotionale ­Betroffenheit des Gegenübers zu erkennen und ein vermeintliches Argument nur dadurch als wahr angenommen wird, weil es viele Likes ­bekommt – und es kaum noch möglich ist, eine Gegenrede zu imitieren ohne eine Welle von Gegenkommentaren mit weiteren Missver­ständnissen oder gar Hassrede zu riskieren.

Den Akteuren scheint es dabei zu entgehen, dass sie damit oftmals nicht nur ihrer Sache/Mission schaden, sondern genau denen in die Hände spielen, die kritisieren, dass Muslime nicht die intellektuelle Tiefe und Reife hätten, ein offenes und kritisches Gespräch über den Islam zu ­führen.

Damit schaden sie nicht nur sich selbst sondern auch der Jugend in Deutschland, die Hinweise erwarten, wie ein Leben als Muslim in Deutschland auszugestalten ist. Längst haben sich viele aufgeweckte junge Menschen von den Verbänden abgewendet, weil sie nicht erkennen können, dass diese ihre Interessen vertreten geschweige denn ihnen Halt und Inhalt für ihr Leben in einem nicht-muslimischen Kontext geben ­können. Sie schütteln aber auch oftmals den Kopf, wenn sie einzelne Akteure aus dem ­muslimischen Milieu beobachten, die von ­Medienmachern gefördert werden, aber an der Lebenswirklichkeit der Muslime vorbeireden und folglich in ein Selbstgespräch verfallen und den Bezug zur Basis schon längst verloren haben. Ihnen eilt der Ruf der Bigotterie nach.

Wir sollten uns auf unsere ureigenen islamischen Prinzipien besinnen, denn der Qur’an schreibt uns folgendes Verhalten vor: „Ihr Gläubigen! Laßt euch nicht so viel auf Mutmaßungen ein! Mutmaßungen anstellen ist manchmal Sünde. Und spioniert nicht und sprecht nicht hintenherum schlecht voneinander Möchte (wohl) ­einer von euch (wie ein Aasgeier) das Fleisch seines toten Bruders verzehren? Das wäre euch doch zuwider Fürchtet Allah! Er ist gnädig und barmherzig.“ (Al-Hudschurat, Sure 49, 12).

Daraus lassen sich folgende Prinzipien für das Miteinander ableiten:

Sich vor Mutmaßungen hüten (zum Beispiel keine Mutmaßungen darüber anzustellen, mit welchen Absichten ein Mensch etwas sagt oder wie er/sie handelt).

Ausspionieren ist verboten.

Das Lästern über jemanden ist eine Sünde (dies wird als eine abscheuliche Tat bezeichnet, ­welche mit dem Essen des Fleisches eines toten Bruders verglichen wird). Ghibah (Nachrede) ist aber nicht nur üble Nachrede. Es ist schlichtweg das Reden über den anderen, auch wenn es der Wahrheit entspricht, eben aber diesem Menschen nicht gefällt. Dies wir durch eine Überlieferung vom Propheten verdeutlicht: „Wisst ihr, was üble Nachrede (Ghibah) ist?“ Die Leute sagten: „Allah und sein Gesandter wissen es am besten!“ Er sagte: „Es ist, wenn du von deinem Bruder etwas sagst, was er nicht mag.“ Jemand fragte: „Und wenn mein Bruder (so) ist, wie ich sage?“ Der Prophet sagte: „Wenn er (so) ist, wie du sagst, dann ist es üble Nachrede, und wenn er nicht so ist, wie du sagst, dann ist es Verleumdung.“ (Muslim)

Diese Überlieferung suggeriert nicht, dass man gänzlich schweigt, denn Gelehrte haben zum Beispiel einschränkend festgehalten, dass man sehr wohl über Übeltäter sprechen kann, wenn man die Öffentlichkeit über ihre Übeltaten ­informieren möchte. Als Prinzip gilt hier Verhältnismäßigkeit und Sachlichkeit. Nur das ist Gegenstand eines Urteils, was sachlich begründet werden kann.

Ebenfalls ist auf die Art und Gewichtung zu achten. Diese Aufforderungen dürfen natürlich nicht dahingehend missverstanden werden, dass man blauäugig in eine Kommunikation gehen soll. Eine gewisse Skepsis ist legitim und auch wünschenswert, zum Selbstschutz. Wichtig ist aber hier genau zu hinterfragen, ob diese Skepsis aus sachlichen Erwägungen getroffen wird oder dem Gutdünken folgt. Folglich wappnen wir uns gegen Enttäuschungen, aber lassen nicht ab vom Prinzip, dass wir grundsätzlich Menschen (im speziellen den Gläubigen) vertrauen sollten. Als gläubige Menschen leben wir im Bewusstsein, dass wir uns für unsere Taten, auch in Wort und Schrift bei Gott verantworten werden.

Damit ist der theologische Rahmen abgesteckt. Nun stellt sich aber die Frage, wie Kommunikation (doch noch) gelingen kann. Folgt man den Ausführungen von Jürgen Habermas, müssen folgende Regeln eingehalten werden, wenn idealerweise Kommunikation gelingen soll: ­“Typisch sind Zustände in der Grauzone ­zwischen Unverständnis und Mißverständnis, beabsichtigter und unfreiwilliger Unwahr­haftigkeit, verschleierter und offener Nicht-Übereinstimmung einerseits, Vorverständigtsein und Verständigung andererseits; in dieser Zone muß Einverständnis aktiv herbeigeführt werden. Verständigung ist also ein Prozeß, der Unverständnis und Mißverständnis, Unwahrhaftigkeit sich und anderen gegenüber, schließlich Nicht-Übereinstimmungen auf der gemeinsamen Basis von Geltungsansprüchen zu überwinden sucht“

Die Überwindung, von der Habermas spricht, kann nur gelingen, wenn wir dem anderen ­zugestehen, dass jeder am Diskurs teilnehmen kann, alle müssen die Chance haben ihre Ideen, Behauptungen, Meinungen etc. einzubringen – ohne dass wir ihm/ihr die guten Absichten bei der Rede in Frage stellen (Verbot der Mutmaßungen, s.o). Diese wiederum müssen bereit sein, ihre Ideen im offenen Diskurs zur Diskussion zu stellen und damit (unvoreingenommen) auf Rede und Gegenrede zu antworten. Dementsprechend hat jeder das Recht, ob in einem Verband Mitglied oder nicht, sich in den ­Diskurs einzubringen – unter der Bedingung, „dass keine Vormeinung auf Dauer der ­Thematisierung und der Kritik entzogen bleibt“. Und ohne irgendwelche unsachlichen Mutmaßungen über seine/ihre Absicht aufzustellen. Dies ist selbstredend verbunden mit der ­Annahme der „Wahrhaftigkeit“, nämlich, dass jeder sich selber gegenüber wahrhaftig ist und die eigene Natur den anderen widerspiegelt.

Dabei finde ich einen psychologischen Aspekt sehr wichtig: Wir sollten uns immer wieder ­fragen lassen, quasi als Selbstgespräch, warum wir kommunizieren, genauer: Mit welcher ­Absicht sprechen wir? Denn Allah wird uns nach unseren Absichten belohnen. Folglich heißt dies für uns: Wenn wir sprechen und wenn wir schreiben, folgen wir der Absicht, uns ehrlich in einen Diskurs einzubringen oder folgen wir unserem Ego?

Als Menschen können wir uns dabei nicht ganz von unseren Absichten, Trieben usw. befreien, aber es sollte zumindest möglich sein, bei uns selbst darüber Rechenschaft abzulegen. Wir ­erleben, dass wenn wir dies nicht tun und nicht auf eine sachliche Ebene zurückkehren, wir Kritik als persönlichen Angriff wahrnehmen und damit in einen sprichwörtlichen Teufelskreis geraten. Vielleicht werden wir diesen nie überwinden. Ein Versuch ist es aber immer wert.

Die Redlichkeit wiederum, im Sinne von ­Habermas, erfordert, dass jeder die gleichen Chancen haben sollte, am Diskurs teilzunehmen. Wir erleben aber bei Foren, auf Facebook, Onlinemagazinen usw., dass Beiträge gelöscht, redigiert oder erst gar nicht veröffentlicht werden – weil sie eben nicht der eigenen Meinung ­entsprechen. Dies widerspricht aber eben dem Prinzip der Redlichkeit. Obwohl: Als Muslime sollten wir doch dem anderen das Gleiche ­wünschen, wie uns auch?

Schließlich denke ich, dass wir in einer offenen, selbstkritischen Kommunikation, die bestimmte Spielregeln einhält und auf einer sachlichen, relativ emotionsfreien Ebene bleibt, weiterkommen können. Ich bin mir bewusst, dass wir nie einen Idealzustand erreichen werden. Das ­Bewusstwerden für die Problemhaftigkeit und die fehlgeleitete Kommunikation innerhalb der muslimischen Community würde mir für den Anfang reichen.

Mein persönlicher Eindruck ist aber, dass wir uns oftmals von unseren Gefühlen leiten lassen, Ermahnungen zur Nachrede und Mutmaßungen im Qur’an vergessen, uns der Kritik verschließen und damit nur einen Monolog von Gleichgesinnten führen. Wollen wir dies überwinden, um ein Einverständnis über die Rahmenbedingungen zu erreichen und uns für unsere Anliegen als Muslime Gehör zu verschaffen, bedarf es einer eingehenden Selbstreflexion.

Aber auch um das Gespräch mit den anderen voranzubringen, um vielleicht eine Horizontenverschmelzung (Gadamer) zu erreichen, ist es unabdingbar, die Andersartigkeit des Anderen im Gespräch anzuerkennen. Die Toleranz, die wir von Nicht-Muslimen für den Islam und die Muslime berechtigterweise verlangen, sollten wir zuerst unseren eigenen muslimischen ­Geschwistern gewähren.

Folglich mein Aufruf: Lasst uns sachlich auf Augenhöhe und von Angesicht zu Angesicht kommunizieren, wenn möglich nicht über ­Social Media. Dabei werden wir manchmal über unseren Schatten springen müssen: Aber es lohnt sich, bestimmt!