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Gedanken über unsere Diskussionskultur

Ausgabe 255

Foto: Pixabay

(iz). Schwarz-Weiß-Denken ist für politische Debatten Gift – es schadet dem Diskurs, die betroffene Person wird einem gewünschten Muster zugeordnet, das vom weiteren Nachdenken ablenkt und dadurch befreiend wirkt, auch wenn man der Person damit oft nicht gerecht wird. Debatten werden nicht mehr geführt, um Themen kritisch zu reflektieren oder den eigenen Horizont zu erweitern, es geht lediglich darum, die eigene Position starkzumachen, sich abzugrenzen, für Schlagzeilen zu sorgen, kurz: Es geht darum, laut zu werden.

Dies prägt die heutige Diskussionskultur, vor allem eben auch, wenn es um die Türkei geht. Die türkische Gesellschaft ist polarisiert, Schwarz-Weiß bestimmt dort den Alltag. Eben diese Diskussionskultur der Türkei, die hier oft kritisiert wird, hat in den letzten Monaten jedoch auch Deutschland erreicht: Als Erdogan-KritikerIn wird einem vorgeworfen, mit den Putschisten zu sympathisieren, als PutschgegnerIn wird man zum Erdogan-Fan. Jegliche Grau­zonen scheinen illegitim und fragwürdig zu sein, so ist die Wahrnehmung auch ­hierzulande.

Die Mehrheit der deutschen Medien hat sich kritischer mit der Zeit nach dem Putschversuch auseinandergesetzt, als mit dem Putschversuch selbst. Vom Ereignis selbst war kaum noch die Rede, die Medien wurden dominiert von Begriffen wie „Säuberungswelle“ oder „Inszenierung“.

Gewiss muss die Politik, die Erdogan seit diesem tragischen Abend führt, hinterfragt werden, jegliche Kritik ist legitim und notwendig. Nur muss eines verstanden werden: Genauso wenig wie die „Säuberungswellen“ oder die unzähligen Inhaftierungen kritischer Journalisten zur Demokratie gehören, so wenig gehört auch ein Putsch zu ihr; und das im 21. Jahrhundert – gegen eine demokratisch gewählte Regierung. Einen Coup zu begrüßen und/oder kleinzureden, der offenkundig eine Militärdiktatur bedeutet, und dabei gleichzeitig die undemokratischen Maßnahmen von Erdogan zu kritisieren, wird unserem Demokratieverständnis und unserer Diskussionskultur nicht gerecht, zumal diese Kritik seitens der Erdogan-Anhänger nicht gehört und akzeptiert werden kann, wenn sie als Gruppe stets unterschätzt und denunziert werden.

Diese fehlende Solidarisierung mit der Türkei beeinflusst auch den in den letzten Jahren stark angestiegenen Patriotismus/Nationalismus unter den Deutschtürken, die sich in unserer Gesellschaft zunehmend nicht verstanden und nicht akzeptiert fühlen. Die erste Generation der Einwanderer kann sich noch heute an den ersten Militärputsch 1960 erinnern und der zweite,  1980, liegt nicht sehr lange zurück, weshalb er noch tief im Bewusstsein der Menschen verankert ist. Die erhoffte Solidarität mit der Türkei, der Heimat der Eltern, blieb jedoch aus. Dies führt zu Identitätskrisen bei den Deutschtürken, die nicht nur mit ansteigender Islamophobie zu kämpfen haben, sondern auch mit dem Türkei-Bashing, das sich in der Medienlandschaft festgesetzt hat. Der Putsch ist für die meisten noch ein Alptraum.

Selbst (muslimische) AktivistInnen in Deutschland, die sich mit der Türkei gegen den Putsch solidarisiert haben, werden zunehmend diffamiert; ihre Arbeit, in die sie jahrelange Mühe investiert haben, wird in Frage gestellt, die Kluft wird immer größer. Dass der Begriff Putsch in Deutschland nicht unbedingt schreckliche Bilder im Gedächtnis hervorruft und Emotionen auslöst, ist historisch gesehen nicht überraschend, in der Türkei hat er aber eine lange und blutige Tradition, die in dem Diskurs nicht unberücksichtigt bleiben sollte