Goethe in Sarajevo

Ausgabe 271

IZ-Autor Prof. Dr. Enes Karic auf einer Pressekonferenz. (Foto: YouTube)

(iz). In den muslimischen Kreisen Bosniens war die Beschäftigung mit Goethes Beziehung zum Islam eine intellektuelle wie auch emotionale, eine aus dem Geist stammende wie auch eine dem bewundernden Herzen entspringende. Zwei Aspekte sind hier als Erklärung maßgeblich. Der eine ist lokal, manifestiert durch die bosnische Ballade „Hasanaginica“, die Goethe 1775 auf seine Art universell machte und (wahrscheinlich aus dem Italienischen) ins Deutsche übersetzte. Alija Isakovic (1932-1997) erörterte, dass Goethe die Hasanagica zwei mal veröffentlichte, 1778 – anonym – und 1779 – mit seiner Unterschrift. In diesem Zusammenhang ist folgende deutschsprachige Auseinandersetzung mit dem Thema besonders informativ: „Goethes ‘Klagegesang Von Den Edlen Frauen Asan Agas’, Eine bosnische Volksballade erobert die Welt“, von Smail Balic (1920-2002), 1978 in Wien veröffentlicht.
Aber Goethes Rezeption in Bosnien ist vor allem auch aus der universellen Warte aus zu betrachten, nämlich in seiner Beziehung zum Islam. Viele bosnische Schriften wurden mit der Absicht verfasst, aufzuzeigen, wie in seiner „diwan’schen Phase“ einer der größten europäischen Dichter den islamischen Din würdigte. In unseren bosnischen Texten finden wir noch einen weiteren wichtigen Gedanken im Kontext Goethes und seiner Faszination zum Islam. Der Dichter stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden der westlichen Hemisphäre und hat mit seinem Geist und Verstand das europäische und damit westliche Bewusstsein hin zu einem Islam, der des Respekts würdig ist, hingelenkt. Dies tat er in einer Epoche, in welcher der Westen fast gänzlich über die muslimischen Völker herrschte.
Bei den bosnisch-muslimischen und islamischen Intellektuellen hat diese Tatsache eine fast therapeutische Rolle eingenommen: Wir haben Goethes Anerkennung des Din oft als Anerkennung unserer selbst gesehen, die wir den Islam in jenen schwierigen Zeiten auslebten,  welche wir durchleben mussten. Die Rezeption Goethes in Bosnien geschah nicht aus einer kritischen Perspektive heraus, auch dort nicht, wo eine Kritik hätte angebracht sein können.
Katharina Mommsens Behandlung Goethes und des Islam wurde in die bosnischen Schriften zu dem Denker ins Bosnische übersetzt. Fehim Bajraktarevics (1889-1970) Studien zu Goethe, „Uticaj istoka na Getea“ (Der Einfluss des Ostens auf Goethe) wurden 1983, zum 150. Todestag des Dichters, veröffentlicht, sowie Hilmo Neimarlijas „Dug Geteu“ (Was wir Goethe schulden). Bajraktarevic hatte sich auf die Historizität der Beschäftigung Goethes mit dem Islam fokussiert und führte somit eine große Zahl an Daten zu den intensivsten Jahren dieser Beschäftigung des Dichters an. Er spricht darin auch von verschiedenen Persönlichkeiten, Texten und Büchern, durch welche ­Goethe sein Wissen über den islamischen Osten erweiterte. Des Weiteren gibt er Auskunft über Goethes Landleute, die im Orient lebten.
Ein wichtiges Zusammentreffen für den deutschen Denker war seine Begegnung mit muslimischen Soldaten, den Baschkiren, welches bei Bajraktarevic wie auch Mommsen Erwähnung findet. „Nur einmal hatte der Dichter einen lebendigen Austausch mit dem Orient, nämlich, als in den Napoleonischen Kriegen russische Einheiten 1814 durch Weimar marschierten, und unter ihnen Baschkiren waren, die hinter ihrem Imam in einem protestantischen Gymnasium beteten.“ (Bajraktarevic) Verständlich ist zudem, dass Bajraktarevic den Großteil seiner Studien Hafez Schirazi widmete, und dessen Wirkung auf Goethe, welche letztlich den West-östlichen Diwan hervorbrachte.
Hilmo Neimarlija hat in seinem Essay „Dug Geteu“ den bisher besten bosnischen Text zu Goethe verfasst. In diesem zeichnet der Autor ein Bild des „Genies aus Weimar“ und seiner „prophetischen“ Mission, und erklärt uns, wieso Goethe im Islam, oder seinem Denken des Islam, die Bestätigung seiner Blicke, Vermutungen, Gesänge und Gedanken fand. Den beiden Essays, von Bajraktarevic und Neimarlija, verdanken wir wertvolle Wege, über den Dichter auf einer intellektuell anspruchsvollen Art und Weise zu sprechen.
Salim A. Hadzic hat in jüngster Vergangenheit seine ins Detail dokumentierten und weitreichenden Studien zu Goethe veröffentlicht, wie auch seine eigenen Übersetzungen anderer Beiträge zu diesem Thema und Goethes Dichtungen ins Bosnische. Unter anderem übersetzte er Annemarie Schimmels „Goethe und der Islam“. In einer bosnischen Zeitschrift schreibt Hadzic, dass sich „1999 der 250. Todestag des größten deutschen und – mit dem, was in diesem Buch ausgeführt wird, dürfen wir mit Recht sagen – muslimischen Dichters jährte.“
Auf Goethe beriefen sich in bosnisch-muslimischen und islamischen Zeitschriften viele und sie taten dies auf verschiedene Weise, oft aus gewissen Anlässen und auch aus apologetischen Gründen. Jedoch bedarf dieses Thema einer eigenen Behandlung.