Grenzen des Machbaren

Ausgabe 299

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(GFP.com). Die Bundeswehr steht vor einem möglicherweise länger andauernden Großeinsatz im Inland. Ab 3. April waren 15.000 Soldaten voll einsatzbereit, um unterschiedliche Tätigkeiten im Kampf gegen das Covid-19-­Virus zu übernehmen. Formal handelt es sich dabei um sogenannte Amtshilfe nach Artikel 35 des Grundgesetzes; demnach können die Streitkräfte angefordert werden, sofern dies zur Bewältigung einer Naturkatastrophe oder eines besonders schweren Unglücksfalls als nötig gilt.

Mitte März haben Militärs in Einzelfällen Amtshilfe zu leisten begonnen. So etwa bei der Bereitstellung und der Einlagerung von Material, darunter Atemschutzmasken und Schutzanzüge, bei der Durchführung von Tests und bei der ­Versorgung von Lkw-Fahrern, die in ­Dutzende Kilometer langen Staus vor der Grenze zu Polen festsaßen.

Kurz nach der Erklärung wurden nähe­re Angaben über die Einheiten bekannt, die jetzt in volle Einsatzbereitschaft versetzt werden. Demnach werden künftig rund 2.500 Logistiker mit etwa 500 Lkw für „Lagerung, Transport, Umschlag“ bereitstehen. Für Desinfektionstätigkeiten sind 18 Dekontaminationsgruppen mit insgesamt rund 250 Soldaten vorgesehen. 6.000 Militärs können zu nicht näher definierten Aktivitäten zur „Unterstützung der Bevölkerung“ herangezogen werden, rund 5.500 zu „Absicherung/Schutz“. ­Zudem sind 600 Feldjäger für „Ordnungs-/Verkehrsdienst“ eingeplant.

Es zeichnete sich ab, dass Soldaten dabei auch Aufgaben übernehmen können, die eigentlich für die Polizei reserviert sind. So wollte der Landrat des oberbayrischen Landkreises Miesbach rund zehn Sol­daten einsetzen, um ein Gebäude des Technischen Hilfswerks abzusichern, in dem Schutzmasken und weitere medizinische Ausrüstung gelagert wird. Einwände gegen eine etwaige Bewaffnung der Soldaten gab es bei den Kreisbehörden nicht.

Darüber hinaus hat Baden-Württemberg vor, krankheitsbedingte Ausfälle bei der Polizei in Kürze durch Militärs zu decken. Dabei gehe es, heißt es, etwa um Transportaufgaben und um den Schutz polizeilicher Einrichtungen.

Unterdessen wurde scharfe Kritik am neuen Infektionsschutzgesetz laut, das vom Bundestag und vom Bundesrat verabschiedet worden ist. Es ermächtigt den Bundesgesundheitsminister, sofern das deutsche Parlament eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ feststellt, zu weitreichenden Maßnahmen, die nicht zuletzt die Einschränkung oder die Aufhebung von Grundrechten umfassen, darunter die Versammlungsfreiheit und die Freizügigkeit, aber auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit.

Kritisiert wurde dabei nicht nur, dass die Maßnahmen – wenngleich das Gesetz zunächst auf ein Jahr beschränkt ist – schwere Einschnitte mit sich bringen, sondern auch, dass sie weitreichende, grundsätzliche Bedeutung haben.

So weisen die Juristen Klaus Ferdinand Gärditz und Florian Meinel, Professoren für Öffentliches Recht an den Universitäten Bonn bzw. Würzburg, darauf hin, „dass das neue Infektionsschutzgesetz die Gesetzesbindung von Regierung und Verwaltung weitgehend zur Disposition stellt“. „Der neue Paragraph 5 Absatz 2 erteilt dem Gesundheitsminister die Befugnis, durch Rechtsverordnungen von den gesetzlichen Regelungen dieses und anderer Gesetze abzuweichen“, konstatieren Gärditz und Meinel: „Mit der Ermächtigung eines Bundesministeriums, gesetzesvertretendes Verordnungsrecht zu erlassen, setzt sich das Parlament in Widerspruch zu zentralen Normen der Verfassung“. Letztere seien eine Lehre aus „dem historischen Trauma des Ermächtigungsgesetzes vom März 1933 und der Handhabung des Notverordnungsrechts durch den letzten Reichspräsidenten“.