Hintergrund: Debatte über gesonderte Erfassung von Hasskriminalität hält an. Von Paula Konersmann

1.596 antisemitische, 3.495 fremdenfeindliche Straftaten: Das ist die Bilanz der Polizei für 2014. Beide Werte sind deutlich angestiegen. Im Strafrecht gelten diese Taten bislang jedoch nicht als eigenständige Delikte.

Berlin/Genf (KNA). Hetze gegen jüdische Mitbürger hat in der jüngeren Vergangenheit immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Auch aus den Reihen der Muslime und der Sinti und Roma mehren sich Klagen über Diskriminierungen. Das American Jewish Commitee in Deutschland, die Amadeu Antonio Stiftung und der Islamrat machen sich dafür stark, antimuslimisch und antisemitisch motivierte Straftaten genauer als solche zu bewerten und zu verfolgen. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland schließt sich dieser Forderung ebenfalls an.

Bei der Prüfung der Umsetzung der UN-Antirassismus-Konvention in Genf kam unter anderen das Thema Straferfassung am Mittwoch aufs Tapet. Deutschland sei zurückhaltend damit, Rassismus als solchen zu benennen und zu bewerten, hieß es. Die deutsche Delegation kündigte verbindlichere Vorgaben für die Erfassung von Hasskriminalität an.

In den USA und Großbritannien haben „Hate crimes“, zu deutsch „Hasskriminalität“, eigenständige strafrechtliche Relevanz. Dabei handelt es sich um Straftaten, die sich gezielt gegen Angehörige einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe richten, etwa Ausländer, Angehörige von Religionsgruppen oder Homosexuelle. Entscheidend ist, dass sich das Verbrechen nicht ausschließlich gegen eine einzelne Person richtet, sondern gegen die soziale Gruppe, der das Opfer angehört.

Geprägt wurde der Begriff in den 80er Jahren durch US-Bürgerrechtsgruppen, erklärt der Berliner Kriminologe Marc Coester. Ihnen sei klar gewesen: „Solche Taten haben Auswirkungen auf die betroffene Gruppe, aber auch auf die gesamte Gesellschaft, letztlich auf die Grundfesten der Demokratie.“ 1993 bestätigte das oberste US-Bundesgericht, der Supreme Court, Strafverschärfungen für diese Form von Kriminalität.

Seit 2001 wird politisch motivierte Kriminalität auch in Deutschland erfasst. Der Kriminalpolizeiliche Meldedienst gruppiert Straftaten in mehreren Schritten ein – zunächst nach einem Themenfeld: „rechts“, „links“, „Ausländer“ oder „Sonstige“. Im zweiten Schritt geht es um die Art des Vergehens, also etwa Gewalt oder Propaganda. Danach kann ein Themenfeld bestimmt werden, eines davon heißt „Hasskriminalität“.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte sieht bei der Aufarbeitung von rassistischen Taten die Behörden in der Pflicht. Nur wenn von Anfang an ein rassistisches Motiv bei den Ermittlungen in Erwägung gezogen würde, könne es später auch zu einer entsprechenden Strafverfolgung kommen. Dafür müssten Polizisten und Justiz viel stärker auf das Erkennen von Rassismus geschult werden. Ein Anfang wäre eine Dokumentationspflicht für Polizisten, so dass auch Hinweise auf einen möglichen rassistischen Hintergrund von Opfern und Tätern festgehalten würden.

Kriminologe Coester ist der Meinung: „Man müsste wegkommen vom althergebrachten Spektrum der politischen Einstellungen 'rechts', 'links' und 'Mitte'“. Das Konzept der „Hate Crimes“ schließe „sämtliche einschlägige Handlungen ein, die auch aus der Mitte der Gesellschaft oder von anderen Subkulturen aus Vorurteilen heraus begangen werden“.

Eine differenzierte Statistik könnte ein erster Schritt sein, um die Ursachen etwa für antireligiös motivierte Straftaten zu ergründen. Vor allem aber, betont Coester, müsse sich die Gesellschaft der Debatte stellen. So gebe es etwa Gesprächsbedarf darüber, welche sozialen Gruppen als mögliche Opfer von Hasskriminalität infrage kommen.

Bislang betrifft dies Gruppen mit einem unveränderlichen, identitätsstiftenden Merkmal und einer Geschichte der Ausgrenzung. „Die Kriminalitätskategorie der 'Hate Crimes' beschreibt insofern auch die Architektur unserer Gesellschaft“, sagt Coester. „Die Auseinandersetzung darüber muss die Gesellschaft führen.“

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