Hintergrund: Die Türkei und die Sorgen über einen Kampf an vielen Fronten. Von Mirjam Schmitt und Kristina Dunz

Lange hatte die Türkei Angriffe gegen die IS-Terrormiliz vermieden. Nun bombardiert sie aber nicht nur deren Stellungen, sondern auch Lager der PKK. Nato-Partner wie Deutschland begrüßen den Kampf gegen den IS, fürchten aber um den Friedensprozess mit den Kurden.

Istanbul/Berlin/Brüssel (dpa). Die Türkei kämpft an mehreren Fronten. Nach den Luftschlägen auf die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) greift die Armee auch Stellungen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK im Nordirak an.

Zudem hat die Armee einen Ort in Syrien attackiert, der auch von kurdischen Milizen kontrolliert wird. Eine schwierige Gemengelage – auch für Nato-Partner wie Deutschland – und viele Fragen. Nachfolgend einige Antworten.

Frage: Wie steht die Nato zu den Einsätzen der Türkei gegen den IS?

Antwort: Eine Nato-Sprecherin bezeichnet das Treffen der Nato- Botschafter an diesem Dienstag in Brüssel als «Zeichen starker Solidarität mit der Türkei». Die Türkei beruft sich auf Artikel 4 des Nordatlantikvertrags. Dieser sieht Beratungen vor, wenn ein Mitglied die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht sieht. Zunächst dient es also dem Informationsaustausch. Nicht zu verwechseln mit Artikel 5, der den Bündnisfall mit einer gemeinsamen Verteidigung beschreibt. Artikel 4 könnte aber auch als Vorstufe dazu interpretiert werden.

Frage: Was sagt die Bundesregierung zur Debatte über den Bündnisfall?

Antwort: Berlin hofft inständig, dass sich der IS-Terror nicht auf Europa ausweitet. Dafür wird der Nato-Partner Türkei als Nachbarstaat Syriens und des Iraks als wichtiges Bollwerk angesehen. Die türkische Kehrtwende zum Vorgehen gegen den IS ist deshalb für Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier ein elementar wichtiger Schritt. Über einen Nato-Bündnisfall mögen sie derzeit am liebsten nicht einmal nachdenken. „Der Bündnisfall ist weit weg“, sagt ein Regierungssprecher.

Frage: Warum schwächt die Türkei die PKK und die kurdische Miliz YPG, wenn sie doch besonders effektiv gegen den IS kämpfen will?

Antwort: Die PKK ist für die Türkei eine Bedrohung. Ankara sieht sie als Terrororganisation, genauso wie den Islamischen Staat. Das gilt auch für die mit den PKK verbundenen kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG). Die türkische Führung befürchtet die Gründung eines Kurdenstaats in Nordsyrien, der die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden in der Türkei befördern könnte.

Frage: Wie ist das Verhältnis zwischen der PKK und den Kurden im Nordirak, die im Kampf gegen den IS Waffen aus Deutschland erhalten?

Antwort: Der Präsident der kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak, Massud Barsani, und seine Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) haben traditionell ein angespanntes Verhältnis zur PKK. Dennoch unterstützten PKK-Einheiten die kurdisch-irakischen Peschmerga im Kampf gegen den IS. Die irakischen Kurden dürften aber kein Interesse haben, dass die PKK Waffen in die Hände bekommt, die Deutschland und andere Staaten an die Peschmerga liefern.

Frage: Und welche Sorgen hat da Deutschland?

Antwort: Berlin gesteht Ankara natürlich das Recht auf Bekämpfung der PKK zu. Doch die Bundesregierung sorgt sich um die Folgen für den Friedensprozess mit den Kurden. Und eben genau darum, dass deutsche Waffen in die Hände der – seit 1993 auch in Deutschland verbotenen – PKK fallen könnten und diese dann in Konflikten eingesetzt werden, die mit dem IS nichts mehr zu tun haben. Die Unterstützung der Peschmerga mit Gewehren und Ausbildung hatte der Bundestag im vorigen trotz großer Bedenken beschlossen. Nebenbei bemerkt: In Deutschland gibt es rund 14 000 PKK-Mitglieder.

Frage: Was kann die PKK gewinnen?

Antwort: Die PKK kann aus einer Eskalation keinen großen Gewinn schlagen. Dass der Konflikt nicht militärisch gelöst werden kann, hat die Erfahrung der letzten 30 Jahre gezeigt. Die islamisch- konservative AKP-Regierung sollte ebenfalls kein Interesse am Scheitern des Friedensprozesses mit den Kurden haben, schließlich wurde dieser von AKP-Mitbegründer und Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan angestoßen.

Frage: Spekuliert Erdogan wegen der schwierigen Regierungsbildung auf Neuwahlen und bringt sich mit Härte in Stellung?

Antwort: Die pro-kurdische Oppositionspartei HDP wirft Erdogan genau das vor. Allerdings ist das reine Spekulation. Die Regierungsbildung in der Türkei war schon vor den Luftschlägen und der Verschärfung des Konflikts schwierig. Sollte es tatsächlich zu Neuwahlen kommen, könnte die HDP aus dem Parlament fliegen. Das würde die AKP stärken und damit auch Erdogan. Die HDP hatte bei den Wahlen am 7. Juni erstmals die Zehn-Prozent-Hürde überwunden.

Frage: Wie reagiert die türkische Bevölkerung?

Antwort: Generell sind viele besorgt und haben Angst vor IS-Anschlägen auch in der Westtürkei. Das würde vor allem den Tourismussektor treffen.