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Idlib: Notlage nach jüngster Eskalation

Foto: Islamic Relief Deutschland

Köln (Islamic Relief Deutschland). Das humanitäre Hilfsnetzwerk Islamic Relief verurteilt die erneuten Anschläge auf Idlib aufs Schärfste. Zwei weitere Krankenhäuser, die von Islamic Relief unterstützt wurden, sind vergangene Woche zerstört worden. Der Bedarf an humanitärer Hilfe steigt stetig an, während die Lage für Hilfsorganisationen immer unsicherer wird und mehr als zweidrittel der Menschen in Idlib ohne Lebensmittelsicherheit ums Überleben kämpfen. Insgesamt wurden seit Dezember 2019 bereits 15 Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen, die von Islamic Relief unterstützt wurden, getroffen. Besonders Zivilisten in Idlib, darunter 50 Prozent Kinder, fallen Angriffen zum Opfer.

Die Angriffe trafen am Mittwochabend letzter Woche die Städte Ma’arat Al Numan und Ariha im Nordwesten Idlibs und zerstörten das Al-Shami Krankenhaus in der Stadt Ariha, das von Islamic Relief unterstützt worden war und jeden Monat rund 3.000 Menschen versorgte. Mindestens zehn Menschen wurden getötet, darunter vier Kinder und sechs Frauen, davon eine humanitäre Helferin einer lokalen NGO. Mehr als 35 Personen wurden verletzt, darunter vier Krankenschwestern. Am Wochenende wurde ein weiteres Krankenhaus getroffen, jedoch ohne Opfer, aufgrund vorheriger Evakuierung.

„Wir sind sehr besorgt über die jüngste Eskalation der Gewalt im Nordwesten Syriens und verurteilen den Angriff auf Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen aufs Schärfste. Unsere Teams sind zutiefst besorgt, dass die Zunahme der Gewalt in den letzten Tagen den Beginn einer weiteren großen Offensive zur Wiedereroberung des Gebietes signalisieren könnte, in dem etwa 3 Millionen Menschen leben – die Hälfte davon Kinder”, sagt Ahmed Mahmoud, Leiter der Mission von Islamic Relief in Syrien, zur Situation in Idlib.

Laut dem Euro-Mediterranean Human Rights Monitor wurden gestern erneut neun Zivilisten, darunter vier Kinder, von Kampfflugzeugen des syrischen Regimes in ihrem Fahrzeug getötet, als sie aus dem westlichen Aleppo flüchten wollten. Vorgestern wurden 14 Zivilisten durch syrische und russische Angriffe auf Gebiete im Gouvernement Idlib und Umgebung getötet, darunter eine siebenköpfige Familie.

Islamic Relief ist eine der wenigen internationalen Nichtregierungsorganisationen, die noch vor Ort in Idlib tätig sind. Ahmed Mahmoud ergänzt: „Angriffe wie diese zwingen die Menschen, ihre Häuser in Scharen zu verlassen, aber da sie sich in Idlib nirgends hinwenden können, sind die meisten von ihnen jetzt in provisorischen Siedlungen untergebracht und leben unter katastrophalen Bedingungen.”

Die Bedingungen in den Lagern sind schlecht, mehrere Familien sind gezwungen, sich ein Zelt zu teilen, weil Platz fehlt und täglich mehr Menschen ankommen. Die Zelte sind kalt und undicht, es gibt massive Engpässe bei Nahrungsmitteln, Wasser, Treibstoff und Strom, der während des harten syrischen Winters dringend benötigt wird. Obwohl es über 1000 Lager für die Menschen gibt, die in Idlib vertrieben wurden, herrscht aufgrund von Überbelastung Platzmangel für viele der neu Vertriebenen.

Die 25-jährige Umm Rami floh aus Ma’rat al-Numan, nachdem bei den Anschlägen am vergangenen Mittwoch ihr Mann getötet worden war. Zusammen mit vielen anderen aus ihrer Heimatstadt wurde sie gezwungen, am Rande eines Lagers in den Bergen entlang der syrisch-türkischen Grenze zu bleiben. Die junge Mutter hat Angst: „Ich bin versteinert von der Dunkelheit, mein Herz zittert, wenn ich nachts ein Geräusch höre oder jemanden an meinem Zelt vorbeigehen höre.” Umm Rami spricht weiter: „Ich habe sehr erschreckende Gedanken. Ich brauche ein Zelt, Matratzen und Decken für mein Kind und mich, damit ich im Lager leben kann. Ich habe hier Angst.”

Die Mehrheit der insgesamt 3 Millionen Einwohner Idlibs wurde bereits einmal aus ihren eigenen Häusern im Land vertrieben. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind seit dem 1. Dezember mehr als 517.000 Menschen in Idlib wegen anhaltender Gewalt aus ihren Häusern geflohen. Diejenigen, die durch die jüngste Gewalt vertrieben wurden, sagten den Mitarbeitern von Islamic Relief wiederholt, dass sie fürchteten, dass es für sie und ihre Kinder nirgendwo sicher ist.

Ahmed Mahmoud zeigt sich über die Lage der Menschen besorgt: „Die humanitäre Lage vor Ort ist schrecklich. Vor den Anschlägen litten mehr als zwei Drittel der Familien in Idlib bereits an Lebensmittelunsicherheit, und jetzt hat sich der Bedarf nochmal erhöht. Viele Hilfsorganisationen werden aufgrund der unbeständigen Sicherheit gezwungen, ihre Tätigkeit in der Region einzustellen, was einen erheblichen humanitären Bedarf geschaffen hat.“

Gleichzeitig versichert er: „Unsere Teams, die vor Ort bleiben, tun ihr Bestes, um jede erdenkliche Hilfe zu leisten. Sie haben Matratzen, Decken, Zelte, Lebensmittel und Kleidung für Kinder sowie Heizungsgeräte verteilt, aber es bleibt noch viel zu tun.“

„Wir fordern alle Parteien nachdrücklich auf, das Waffenstillstandsabkommen einzuhalten und ihren Verpflichtungen gegenüber den Internationalen Menschenrechten nachzukommen und keine Zivilisten und humanitären Helfer ins Visier zu nehmen sowie Zurückhaltung zu üben, um die Wasserversorgung, Gesundheitseinrichtungen, Schulen und Lager für die vertriebenen Menschen zu schützen“, so Mahmoud.