Während Wladimir Putin weiter Krieg gegen die Ukraine führt, versucht er, den russischen Einfluss im Nahen Osten und in Afrika auszuweiten. Längst beschäftigt das Treiben der Wagner-Söldner nicht nur Politik-Experten. Von Katrin Gänsler, Markus Schönherr und Joachim Heinz
Pretoria/Porto-Novo/Bonn (KNA). Zum Beispiel Mali. Im September 2021 hieß es aus dem westafrikanischen Staat erstmals, dass die Übergangsregierung unter Assimi Goita einen Vertrag mit der russischen Wagner-Truppe unterzeichnen wolle. Goita, der sich im August 2020 mit einer Gruppe von Generälen an die Macht geputscht hatte, zahlt Berichten zufolge den bis zu 1.000 Söldnern monatlich umgerechnet gut 9,1 Millionen Euro.
Im April dieses Jahres bemühte sich Außenminister Abdoulaye Diop, die Angelegenheit herunterzuspielen: Man unterhalte seit langem eine Kooperation mit dem russischen Staat. Mali ist kein Einzelfall. Die Söldner sollen auch etwa in Libyen, der Zentralafrikanischen Republik, im Sudan oder in Mosambik operieren.
Politik-Experten beobachten das Treiben der Gruppe, die nicht Teil der regulären russischen Streitkräfte ist, mit Sorge. Und das nicht nur, weil Russland sich mit diesem Engagement Einfluss in Afrika sichern will. Im Syrien-Krieg stellten die Söldner unter Beweis, dass bei ihnen Menschenleben nicht viel zählen.
Kenner der Szene wunderte es kaum, als die Vereinten Nationen Anfang August über ein Massaker der malischen Armee an der Grenze zu Mauretanien berichteten. Betroffen davon: Angehörige der ethnischen Gruppe der Peulh. Im Schlepptau der Malier: „weiße Soldaten“, mutmaßlich Wagner-Söldner. Sie sollen auch für den Tod von bis zu 400 Menschen in Moura im Zentrum des Landes mitverantwortlich sein.
Als Gründer der Truppe wird immer wieder Oberstleutnant Dmitri Utkin genannt, ehemals Mitglied des russischen Militärgeheimdienstes GRU. „Er wählte den Namen Wagner als Hommage an den deutschen Komponisten und wegen des damit verbundenen Symbolcharakters“, heißt es in einem unlängst erschienenen Buch über „Putins geheime Armee“. Utkin sei „ein großer Bewunderer des Dritten Reichs und Adolf Hitlers“. In den Sozialen Netzwerken bezeichneten sich die Söldner in Anspielung darauf als Mitglieder eines Orchesters, „das von einem ‘Komponisten’ geleitet werde und ‘Konzerte’ auf der ganzen Welt gebe“.
Finanziell ist der Dienst in der Truppe durchaus lukrativ. Bis zu 3.000 Euro im Monat können die Söldner im Auslandseinsatz angeblich verdienen – der Durchschnittslohn in Russland lag zuletzt bei 400 Euro. Als wichtigster Geldgeber gilt der Oligarch Jewgeni Prigoschin. Der 62-Jährige saß als junger Mann wegen mehrerer Delikte im Gefängnis. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion begann er eine zweite Karriere und betätigte sich unter anderem als Betreiber einer Hotdog-Kette und mehrerer Luxusrestaurants.
Heute verfügt „Putins Koch“ über einen direkten Draht zum Kreml-Herrscher und agiert nach Meinung der Buchautoren wie ein Mafiapate alter Schule: „Allgegenwärtig, aber unsichtbar.“ In Afrika verhalten sich die von ihm unterstützten Kämpfer im Regelfall ähnlich diskret. Ihre Aktivitäten werden gleichwohl aufmerksam registriert – nicht zuletzt von Hilfsorganisationen. Manche äußern sich nur hinter vorgehaltener Hand. Andere wie Misereor sind offener.
„Der Umgang mit den Söldnern ist ein Thema, das bei unseren Partnern in Mali ständig auf der Tagesordnung steht“, sagt der Leiter der Dialog- und Verbindungsstelle von Misereor für Mali, Burkina Faso und Niger, Adegbola Faustin Adeye. Er fügt allerdings hinzu, dass ein Großteil der Bevölkerung in dem krisengebeutelten Land das Engagement durchaus positiv sieht. „Die Menschen in Mali wollen Frieden und Sicherheit, notfalls eine Pazifizierung mit Gewalt“, so Adeye.
Die Sympathien für Russland haben zudem historische Wurzeln, wie der Misereor-Vertreter erklärt. Schon der erste Präsident Malis, Modibo Keita, verfolgte demnach einen sozialistischen Kurs. Studenten wie Militärs seien in der Sowjetunion und den Nachfolgestaaten stets mit offenen Armen empfangen worden. Adeye schätzt, dass etwa die Hälfte der Offiziere in Mali eine militärische Ausbildung in Russland durchlaufen hat.
In der Zentralafrikanischen Republik scheint die Gemengelage ähnlich wie in Mali. „Seit der russischen Intervention herrscht mehr Sicherheit im Land“, sagt eine Akademikerin in der Hauptstadt Bangui. „Sie haben die Rebellen weit genug zurückgedrängt, sodass wir ziemlich angstfrei leben konnten.“ Anders als die UN-Blauhelme im Land hielten die Wagner-Söldner auch mit der Waffe auf ihre Feinde, statt nur mit der Kamera.
Auch der Herausgeber einer Online-Zeitung in Bangui bestätigt die Präsenz russischer Kämpfer: „Vor Beginn des Krieges in der Ukraine waren es 2.500. Mit Kriegsausbruch kehrte ein Teil davon nach Russland zurück.“ Allerdings habe durch „Misshandlungen“ ein Umdenken in Bevölkerung stattgefunden: „Sie sind nicht mehr beliebt. Die Menschen wollen, dass sie gehen.“
In Mosambik versuchte die Regierung, den 2017 begonnenen Aufstand von Islamisten mithilfe der Wagner-Gruppe niederzuschlagen. Doch die Mission war ein „blanker Misserfolg“, wie Mosambik-Experte Eric Morier-Genoud berichtet. „Wenn ich mich recht entsinne, wurden sechs oder acht ihrer Männer durch die Aufständischen geköpft, woraufhin sie beschlossen, wieder abzuziehen.“ Auch in dem südafrikanischen Land mehrten sich in dieser Zeit Berichte von „Angriffen auf Zivilisten“, erinnert sich Johan Viljoen, Direktor des katholischen Denis-Hurley-Friedensinstituts in Pretoria.
Wo immer Wagner-Kämpfer auftreten, reißen sie Teile der lokalen Wirtschaft an sich. In Sudans Goldsektor mischen sie ebenso mit wie in den zentralafrikanischen Diamantenminen; sogar ins Kaffee- und Zuckergeschäft sollen sie eingestiegen sein. In Mali geht es neben Gold um Gas, Erdöl, Kali, Uran – und Wasser. Das Land hat Anschluss an ein riesiges Reservoir, das bis nach Libyen reicht.
Neben Söldnern schickte Moskau zuletzt vermehrt politische und wirtschaftliche Hilfe, auch in Form von Waffen, sagt Gustavo de Carvalho. Putin nutze das Misstrauen aus, das zwischen dem Westen und einigen afrikanischen Ländern herrsche, analysiert der Experte des Südafrikanischen Instituts für Internationale Angelegenheiten (SAIIA). Er bezweifelt jedoch, dass das russische Engagement langfristig Stabilität bringt.
Unterdessen bereitet „Putins Koch“ Prigoschin offenbar den Boden für weitere Allianzen. Anfang des Monats meldete er sich nach dem Putsch in Burkina Faso zu Wort. „Ich grüße und unterstütze Hauptmann Ibrahim Traore.“
* Marat Gabidullin, „Wagner – Putins geheime Armee. Ein Insiderbericht. Mit einem Vorwort von Ksenia Bolchakova und Alexandra Jousset“, Econ, Berlin 2022, 22,99 Euro.